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Tsipras wagt die Rentenreform

Jannis Papadimitriou, Athen12. Januar 2016

Regierungschef Alexis Tsipras macht Druck: Ohne Reformen seien die Kassen in fünf Jahren nicht mehr in der Lage, Renten zu zahlen. Auf die Bürger kommen Rentenkürzungen zu. Doch der Widerstand wächst.

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Griechenland Rentner (Foto: picture-alliance/Rainer Hackenberg)
Bild: picture-alliance/Rainer Hackenberg

Das Rentensystem in Griechenland gilt als eines der teuersten in Europa. Athener Politiker bringen schon seit den 1990er Jahren einen Umbau ins Gespräch - und distanzieren sich doch wieder davon. Oder sie führen nur kleine Reförmchen statt großer Reformen durch.

Während in den frühen 1980er Jahren vier Arbeitnehmer für einen Rentner aufkommen mussten, erwirtschaften derzeit vier Arbeitnehmer die Rente für drei Ruheständler. Immerhin: Nach Ausbruch der Schuldenkrise wurde das allgemeine Renteneintrittsalter in Griechenland auf 67 Jahre erhöht - allerdings nur für diejenigen, die erst nach 1993 in den Arbeitsmarkt eingetreten sind.

Doch das reicht offenbar nicht. "Der Umbau des Rentensystems ist ein Dauerthema in der griechischen Gesellschaft, allerdings konnten mächtige Interessengruppen eine grundlegende Rentenreform bisher immer wieder blockieren, damit sie weiterhin von günstigen Bedingungen und von der staatlichen Direktfinanzierung ihrer Sozialkassen profitieren", erklärt Dimitris Sotiropoulos, Privatdozent für Politikwissenschaft an der Universität Athen. Zu den privilegierten Versichertengruppen gehörten unter anderem Juristen, Bankangestellte und Journalisten, deren Rentenkassen nicht zuletzt durch indirekte Steuern mitfinanziert würden. "Wenn sich nichts ändert, werden wir in 20 Jahren etwa 35 Prozent unserer Wirtschaftsleistung für Altersbezüge ausgeben müssen", mahnt Sotiropoulos.

Alexis Tsipras im Staatsfernsehen ERT (Foto: EPA/ALEXANDROS VLACHOS )
Alexis Tsipras wirbt für eine Reform des griechischen RentensystemsBild: picture-alliance/dpa/A. Vlachos

384 Euro als Grundrente

Um die Versorgungslücke zu schließen, arbeitet Arbeitsminister Jorgos Katrougalos derzeit an einer grundlegenden Rentenreform, deren Details mit den Kreditgebern Griechenlands immer noch ausgehandelt werden. So viel scheint festzustehen: Künftig bekommt jeder Grieche mit 15 Beitragsjahren eine staatlich garantierte Grundrente von 384 Euro monatlich, die als absolutes Existenzminimum gilt. Dazu kommt eine weitere Teilrente, deren Höhe von den Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung abhängt - die aber nicht mehr als 2.300 Euro beträgt. Wer mehr will, wird offenbar privat vorsorgen müssen. Damit stelle sich auch in Griechenland die Frage der Generationengerechtigkeit, mahnt Sotiropoulos. "Wir schätzen, dass diejenigen, die ab 2016 nach den neuen Regeln in Rente gehen, faktische Rentenkürzungen von bis zu 30 Prozent erleiden. Ähnliche Reformansätze gab es zwar in der Vergangenheit in anderen europäischen Ländern. Allerdings waren Übergangszeiten und -regelungen dort großzügiger", beklagt der Politik-Experte.

Nach Medienberichten müssen die heutigen Beitragszahler in Griechenland Rentenkürzungen von durchschnittlich 15 Prozent hinnehmen. Dabei geht es nicht nur um die Rentabilität des Rentensystems: Für die links geführte Regierung von Alexis Tsipras gilt eine Rentenreform als wichtigste Voraussetzung für die sogenannte Evaluierung der griechischen Wirtschaft durch die Kreditgeber. Diese soll den Weg für eine tragfähige Schuldenregelung ebnen. Zu diesem Zweck werden die Kontrolleure des "Quartetts" (früher Troika) noch in dieser Woche in Athen erwartet, doch der Termin scheint sich zu verzögern.

Die vorgeschlagene Rentenreform werde noch "geprüft", erklärte EU-Kommissionssprecher Margaritis Schinas am Montag in Brüssel. Das griechische Staatsfernsehen mahnt zur Eile - mit der Begründung, ohne Rentenreform sei eine tragfähige Schuldenregelung nicht zu haben. Auch Regierungschef Tsipras macht Druck: Ohne Reformen wären die Rentenkassen in fünf Jahren nicht mehr in der Lage, Pensionen zu zahlen, mahnte der Linkspolitiker in bisher ungewohnter Schärfe Anfang Januar.

Protestaktionen gegen Beitragserhöhungen

Damit der Unmut in der Bevölkerung nicht zu groß wird, greift die Regierung in den vergangenen Tagen verstärkt auf eine Alternative zurück: Einschnitte würden nach Möglichkeit vermieden, dafür müssten allerdings die Sozialbeiträge erheblich steigen, heißt es in Athen. Sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer werden Pflichtzahlungen zur gesetzlichen Rentenversicherung vermutlich um etwa ein Prozent erhöht. Selbstständige sind noch stärker davon betroffen: Wer zum Beispiel bei einem Jahreseinkommen von 30.000 Euro heute 5.163 Euro in die Sozialkasse abführt, muss sich ab 2016 auf Zahlungen in Höhe von 8.085 Euro einstellen - eine Beitragserhöhung von 56,5 Prozent. Auch Landwirte gehören zu den Verlierern, da ihre Sozialbeiträge ab 2017 beinahe verdreifacht werden. "Beitragserhöhungen wirken abschreckend, hemmen die Beschäftigung und verleiten zur Steuervermeidung", mahnt Sozialexperte Xenophon Kontiadis im TV-Sender Skai. Er war Mitglied einer Kommission, die seit August 2015 Reformansätze des griechischen Rentenwesens ausgearbeitet hat. Doch ihre Vorschläge würden von der Regierung größtenteils ignoriert, beklagt der Jurist.

Protest der Rentner in Athen (Foto: EPA/ORESTIS PANAGIOTOU, dpa)
Tiefe Einschnitte stehen bevor: Protest der Rentner in AthenBild: picture-alliance/dpa

Für Mittwoch haben Bauernverbände Protestaktionen angekündigt, Anwälte drohen mit einem Dauerstreik. Bestreikt wird zudem die Versicherungskasse der Seeleute NAT, die demnächst mit anderen Kassen zusammengelegt werden soll. Für Samstag ruft die mächtige Beamtengewerkschaft ADEDY zu einer Massenkundgebung in Athen gegen die Rentenreform auf.