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"Wie im Hochsicherheitstrakt"

Charlotte Potts4. Februar 2016

Im neuen Lesesaal im Wirtschaftsministerium können Parlamentarier TTIP-Verhandlungstexte einsehen. Einige kritisieren die Bedingungen. Im DW-Interview berichtet Klaus Ernst von den Linken von seinen Erfahrungen.

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TTIP-Leseraum für Abgeordnete (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

DW: Seit dem 1. Februar können die Abgeordneten des Deutschen Bundestages im Lesesaal Dokumente zum transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) einsehen. Sie waren dort. Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen?

Klaus Ernst: Die Abgeordneten selber haben nur sehr restriktiven Zugang zu den Unterlagen. Sie müssen ihr Handy abgeben. Sie sind unter Beobachtung von jemandem, der im Raum sitzt und auch kontrollieren kann, was man aufschreibt.

Die Texte sind in Englisch. Das ist insofern ein Problem, weil es sich um handelsrechtliche Fachtexte handelt, wo selbst normale Dolmetscher Probleme haben, und wir dürfen keine Mitarbeiter mitnehmen. Damit können wir die Texte nicht vernünftig auswerten.

Die Zeit ist auf zwei Stunden beschränkt. Selbst das Papier, auf dem man schreibt, wird gestellt. Und auch der Stift. Das ist schon merkwürdig. Ich darf Ihnen auch über die Inhalte nichts sagen, das ist ja auch geheim.

Wenn Sie nicht über konkrete Inhalte sprechen dürfen, was können Sie über die Dokumente sagen?

Uns werden Verhandlungstexte zur Verfügung gestellt. Ob das alle sind, können wir gar nicht beurteilen. Was mir aufgefallen ist: Zu den privaten Schiedsgerichten gibt es sehr umfangreiche Texte. Ich war überrascht, wie weit man in den Verhandlungen bei dieser Frage schon ist.

Die EU-Kommission und die USA argumentieren, mehr Transparenz würde die Verhandlungen gefährden. Warum halten Sie es für sinnvoll, Einblicke in noch laufende Verhandlungen zu bekommen?

Die Auswirkungen dieses Handelsabkommens werden alle Bereiche des Lebens betreffen. Ein Beispiel: Bei uns muss der Blinker am Auto gelb sein, dann kann das für die Amerikaner ein Handelshemmnis sein, weil bei denen der Blinker rot ist. Und um den Abbau dieser Handelshemmnisse geht es.

Man wird sich nicht auf den höchsten Standard einigen, sonst würde es ja teurer werden. Man wird sich unterhalb der besten Standards einigen. Und das bedeutet dann den Abbau von Regularien in Europa in den Nationalstaaten, hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsschutzes, des Umweltschutzes, des Verbraucherschutzes.

Ich möchte nur am Rande an das Chlorhühnchen und die Gentechnik erinnern, die zu uns herüberschwappen könnte. All diese Dinge werden hinter dem Rücken der Menschen verhandelt.

Sie zeichnen ein düsteres Bild. Ein Amerikaner könnte einwenden, ein Hühnchen in Chlor zu tunken sei besser, weil so keine Salmonellen entstehen. Und in Deutschland wird Fertigsalat ebenfalls in Chlor gereinigt. Ist es nicht gut, eine Debatte darüber zu führen, was wo besser ist - und dabei vom anderen zu lernen?

Das kann man ja machen. Die Frage ist nur, ob man dazu ein Handelsabkommen braucht. Das Chlorhühnchen lenkt ja von entscheidenden Themen ab: Wir haben vollkommen unterschiedliche Voraussetzungen, auch bei den Sozialstandards.

Ein anderes Thema sind rohe Eier. In den letzten Verhandlungen wurde darüber diskutiert, wie man den Handel mit rohen Eiern über den Atlantik liberalisieren kann. Ich halte das schon vom Ansatz für bescheuert, dass man Eier über den Ozean schippert angesichts von Umweltproblemen. Es geht um die Liberalisierung des Handels und nicht um die jeweils besseren Standards.

Die pazifischen Staaten haben gerade das Freihandelsabkommen mit den USA ratifiziert. Die Verhandlungen zu TTIP ziehen sich dagegen hin, es gab massive Proteste. Wie sehen Sie die Chancen für einen Abschluss?

Das Risiko, dass dieses Abkommen zustande kommt, ist nach wie vor sehr groß. Es liegt am Widerstand der Bürger, der Parlamente und der Presse, ob man ein solches Abkommen verhindern kann oder nicht. Ich hoffe, wir können es.

Das heißt, der TTIP-Lesesaal ist für Sie mehr Farce als Meilenstein?

Der Lesesaal ist eine nette Idee, es wird so getan, als ob es transparent wäre. Der Bürger weiß das, weil er selbst keine Einsicht hat. Ich hatte das Gefühl, ich gehe in einen Hochsicherheitstrakt. Ich kann nur sagen, ich fühle mich in der Ausübung meines freien Mandats von der Art dieser Regelung äußerst behindert. Und wir prüfen nun, ob es juristische Schritte gibt.

Klaus Ernst ist Abgeordneter der Partei "Die Linke" im Bundestag. Der ehemalige Gewerkschaftsfunktionär war einer von acht Spitzenkandidaten seiner Partei bei der Bundestagswahl 2013. Als Mitglied des Deutschen Bundestages gehört er den Ausschüssen für Arbeit und Soziales und dem Ausschuss für Wirtschaft und Energie an.

Das Interview führte Charlotte Potts.