Tunesien: „Die alten Vorstellungen werden sich nicht halten“ | Newsletter & Co. | DW | 14.04.2011
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Tunesien: „Die alten Vorstellungen werden sich nicht halten“

Auch in Tunesien haben sich in den vergangenen Wochen die Ereignisse überschlagen. Ein Gespräch mit Michael Tecklenburg, Projektmanager und Koordinator für die Region Nordafrika, über die Lage der Medien in Tunesien.

Warum ist die Unterstützung der Medien in Tunesien jetzt so wichtig?

Nach dem Umsturz zu Beginn des Jahres haben wir sehr schnell von den Journalisten vor Ort gehört, dass sie sich in einer Art Vakuum befinden. Die tunesischen Kolleginnen und Kollegen sind in den Tagen der Revolution zum ersten Mal rausgegangen und haben live berichtet. Das war ein ganz großer Augenblick für die Medien in Tunesien, als man live und unzensiert Volkes Stimme auf den Sender bringen konnte. Ab einem bestimmten Punkt haben die Kollegen aber gemerkt, dass ihnen gewisses Handwerkszeug fehlt. 25 Jahre lang hat Journalismus in Tunesien eigentlich nicht stattgefunden. Bislang hatte man den Machthabern die Mikrofone hingehalten und in diesem Sinne berichtet, aber niemals journalistisch auf den Zuschauer oder Zuhörer hin ausgerichtet.

Wie engagiert sich die DW-AKADEMIE in Tunesien?

Zunächst gibt es Sofortmaßnahmen im Hinblick auf die Wahlen am 24. Juli. Wir werden im Mai mit einer Trainingsreihe für Radiojournalisten zum Thema Wahlberichterstattung beginnen. Es wird für die Kollegen wichtig sein, zu lernen, wie man aus der Rolle des „Mikrofonhinhalters“ rauskommt und journalistisch sauber berichtet, was einzelne Parteien und Kandidaten tatsächlich vorhaben. Im Anschluss daran wird es ein Training für TV-Redakteure geben. Darüber hinaus sind Trainings geplant, in denen es darum geht, journalistisches Handwerkszeug weiterzugeben, aber auch zielgerichtet an bestimmte Inhalte heranzugehen. Letztendlich soll das alles den Demokratisierungsprozess in Tunesien unterstützen. Man muss sich immer vor Augen halten, dass die tunesische Gesellschaft im Umbruch ist und gerade eine ganz andere politische Kultur entsteht.

Wie haben Sie sich einen Überblick über die Medienlandschaft verschafft und herausgefunden, mit wem Sie in Zukunft zusammenarbeiten werden?

Wir sind von Sender zu Sender gegangen und haben mit den Verantwortlichen gesprochen. Zudem haben wir gemeinsam mit der Friedrich-Ebert-Stiftung Ende Februar einen Workshop in Tunis veranstaltet. Das Treffen war sehr hochrangig mit Journalisten, Chefredakteuren, Vertretern der staatlichen und privaten Medien und der Zivilgesellschaft besetzt. Also sehr unterschiedliche, wichtige Personen in den tunesischen Medien. In diesem Kreis sind Mindestanforderungen erarbeitet worden, die der Staat per Verfassung in Zukunft sichern muss, damit Medien frei und unabhängig berichten können – all das, was für uns als Journalisten in einer westlichen Demokratie selbstverständlich ist. Darüber hinaus gibt es Verbindungen zum staatlichen Sender. Wenn es zu einer Umgestaltung hin zu einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk kommen sollte, werden wir beratend zur Seite stehen.

Müsste die DW-AKADEMIE nach einem solchen politischen Umsturz nicht eher auf Abstand zum Staatssender gehen?

Ich denke, dass im Staatssender nach wie vor Vertreter des alten Regimes arbeiten, ebenso wie es auch dort starke Reformkräfte gibt. Auf der anderen Seite muss man sehen, dass auch die privaten Sender, die in der Ben Ali-Ära eine Zulassung bekommen haben, nicht frei und unabhängig waren. Andernfalls hätten sie die Sendelizenz niemals bekommen. Es gibt einen Sender, bei dem die Tochter des gestürzten Präsidenten Ben Alis im März noch die Geschäfte geführt hat und dort täglich ein und aus ging. Und so müssen wir jeden Sender genau beobachten und beurteilen, wie stark dort der Wille zur Veränderung ist. Es gibt Situationen, in denen man womöglich nicht an den Vertretern des alten Regimes vorbeikommt. Würden diese alle entlassen, entstünde aber zum Beispiel in der Verwaltung ein Vakuum, was die Weiterarbeit erschweren würde. Was mich sehr positiv stimmt ist, dass Tunesien eine recht junge Gesellschaft ist. Da existiert ein sehr großer Veränderungswille. Die alten Vorstellungen werden sich auf Dauer nicht halten können.

Die Problemlagen in den Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas sind ähnlich. Reagiert die DW-AKADEMIE auch mit ähnlichen Programmen?

Es sind zum Teil sehr unterschiedliche Länder mit sehr verschiedenen Entwicklungen. Sicher: Es hat Umbrüche gegeben und es wird Wahlen geben, aber das kann von Land zu Land sehr unterschiedlich ausgehen. Wir werden nicht überall in der Region mit den gleichen Konzepten arbeiten. Es ist die Stärke der DW-AKADEMIE, dass wir sagen: Wir bieten Hilfe an, aber die Partner müssen sagen, was sie wollen und was sie brauchen. Und dementsprechend reagieren wir. So wird die Arbeit der DW-AKADEMIE in Tunesien oder Marokko anders sein als in Ägypten, Jemen oder Syrien.

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