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Tunesien kommt nicht zur Ruhe

28. Februar 2011

Noch hält die Revolte gegen das alte politische System unter dem erfolgreich vertriebenen Kleptokraten Ben Ali an. Für viele Tunesier stellen sich aber schon jetzt Fragen, wie es danach weitergehen soll.

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Demonstrant wirft Brandsatz (Foto: dpa)
Die Unzufriedenheit der Tunesier bleibtBild: picture alliance/abaca

Drei Tage nacheinander tobten wieder Straßenkämpfe im Zentrum von Tunis. Das vorläufige Ergebnis: mindestens vier Tote, ein zurückgetretener Premier- und ein zurückgetretener Industrieminister, viele verunsicherte Menschen - nicht nur in der Hauptstadt Tunis. Der Druck von der Straße ist nach wie vor da. Die Revolte gegen das alte politische System unter dem erfolgreich vertriebenen Kleptokraten Ben Ali hält an.

Es sind nach wie vor die jungen Heißsporne, die nichts zu verlieren haben, auf der Straße, darunter auch überraschend viele Frauen. Längst nicht alle Tunesier sind damit einverstanden. Sie meinen, dass jetzt Schluss sein müsse mit den Demonstrationen, dass ihr Land jetzt vor allem Ruhe brauche, um sich neu orientieren zu können.

Tunesien braucht wieder Touristen

Strand mit leeren Strandliegen auf Djerba (Foto: TUI)
Angst vor ausbleibenden TouristenBild: TUI

Alarmstufe Rot herrscht vor allem in der Tourismusindustrie. Die Wintertouristen aus Europa sind fast komplett ausgeblieben, an den Stränden, in den Lobbys der Hotels - gähnende Leere. Nur wenige Geschäfte sind geöffnet. Nun herrscht größte Sorge, dass auch die Sommersaison ausfallen könnte, falls sich die Lage nicht beruhigt. Auch wenn es in Tunis heiß hergehen sollte, davon ist an den Stränden, in den Oasen oder den atemraubend gut erhaltenen römischen Denkmälern im Landesinneren nichts zu spüren.

Der Tourismus ernährt das Land zu einem erheblichen Teil. Tausende Kellner, Führer, Fahrer, Zimmermädchen, die ihr Auskommen und das ihrer Familien in den großen touristischen Zentren wie Hammamet, Sousse oder der Insel Djerba finden, stehen vor dem Nichts.

Die Demokratie braucht Zeit

"Das größte Problem ist, dass es noch keine wirkliche Alternative zur alten politischen Klasse gibt", meint eine Journalistin von der Vereinigung Tunesischer Journalisten in Tunis. "Die, die jetzt aus dem Exil zurückkommen, waren zu lange fort. Und im Land selbst gibt es wegen der Unterdrückung keine gewachsene Opposition."

Karte Tunesien (Grafik: DW)
Karte Tunesien

Es haben sich in den Tagen der "Jasmin-Revolution" viele Parteien neu gegründet - fast 40 an der Zahl, mit den unterschiedlichsten politischen Ausrichtungen. Es wird eine Zeit brauchen, bis sich daraus wirklich starke Kräfte entwickeln können. Sofortige Neuwahlen, wie die Demonstranten fordern, bedeuten weiteres Chaos.

Auf Hilfe aus dem Ausland zu warten, ist auch kein gutes Rezept. Die zugesagten drei Millionen Euro Soforthilfe der EU-Kommission für die Flüchtlinge werden in Tunis geradezu als Beleidigung angesehen, angesichts der Zehntausenden, die weiter über die Grenze zu Libyen drängen.

Die Revolte ist gelungen. Das Land wird demokratisch werden - es ist nur eine Frage der Zeit. Die meisten Tunesier sind begierig auf politische Gespräche mit Europäern, etwas, was sie viele Jahre lang nicht wagen durften.

Autor: Martin Beutler, zurzeit Tunis
Redaktion: Kay-Alexander Scholz