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Tymoschenko zur Energiefrage der Ukraine: "Wir spüren am Hals den Strick"

23. November 2006

Über die Ukraine und die Energiesicherheit in Europa diskutierte die ehemalige Premierministerin der Ukraine, Julija Tymoschenko, mit deutschen Politikern und Experten in Berlin.

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Julija Tymoschenko warnt vor Abhängigkeit von RusslandBild: AP

Während ihres Besuchs in Berlin auf Einladung des Körber-Zentrums der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik hat die ehemalige ukrainische Premierministerin Julija Tymoschenko die Überzeugung geäußert, die Ukraine könne eine wichtige Rolle bei der Diversifizierung der Erdgaslieferungen in die Europäische Union spielen. Dazu fehle aber bisher der politische Wille auf beiden Seiten, betonte sie am Donnerstag (23.11.) in ihrem Vortrag vor Politikern und Experten im Berliner Hotel Adlon. Zur Lage der Ukraine sagte sie: "Noch nie war die Ukraine von russischen Energieträgern so abhängig wie heute.Wenn wir gewisse Schritte unternehmen, die den nationalen Interessen Russlands zuwiderlaufen, aber den nationalen Interessen der Ukraine entsprechen, dann spüren wir am Hals den Strick, der nach Bedarf enger gezogen wird."

Tymoschenko stellt Ostsee-Pipeline in Frage

Die ukrainische Oppositionsführerin war bemüht, sich in ihrem Vortag nicht allzu kritisch gegenüber Russland zu geben, aber dies gelang nicht immer. So sagte die Führerin der Partei Block Julija Tymoschenko (BJuT) im Zusammenhang mit der geplanten Nordeuropäischen Erdgaspipeline von Russland nach Deutschland, diese sei eine Angelegenheit der russisch-deutschen Beziehungen. Zugleich erklärte sie aber, die neue Pipeline durch die Ostsee werde Deutschland keine störungsfreien Erdgaslieferungen garantieren.

Tymoschenko sagte, die bestehenden Pipeline-Verbindungen nach Deutschland seien stärker nutzbar: "Die Pipeline, die durch die Ukraine verläuft, ist nicht voll ausgelastet, sie hat noch freie Kapazitäten. Ich möchte Geschäftsleuten eine Frage stellen: Wenn es einen Korridor gibt, der nicht ausgelastet ist, und jetzt noch eine neue Erdgaspipeline gebaut wird, dann sagen Sie bitte unter Berücksichtung des Rückgangs der Erdgasförderung in Russland: womit soll diese Pipeline gefüllt werden? Wie soll es sich rechnen? Ist das ein politisches Projekt?"

Neue Pipelines vom Kaspischen Meer?

Die Energie-Unabhängigkeit Europas und der Ukraine könnten indes neue Erdgas-Pipelines aus Turkmenistan, Usbekistan und Kasachstan durch das Kaspische und Schwarze Meer nach Europa sichern, unterstrich Tymoschenko. Dem stimmte Karl-Georg Wellmann, Abgeordneter des Deutschen Bundestages und Mitglied des Auswärtigen Ausschusses, zu. Er berichtete, einflussreiche Kräfte in Turkmenistan seien bereit, über den Bau einer solchen Erdgasleitung zu sprechen: "Ich bin vor zehn Tagen in Turkmenistan gewesen. Sie haben ein gewisses Interesse, zusätzliche Lieferwege zu erstellen, insbesondere eine Pipeline Richtung Westen." Wellmann stellte aber fest, die turkmenische Regierung sei in politischer Hinsicht die schwierigste, die es in der Region gebe.

Diskussion um Erdgaspreis für Ukraine

In der Diskussion mit Julija Tymoschenko äußerten deutsche Politiker Unverständnis, warum die Ukraine sich nach 15 Jahren Unabhängigkeit noch immer nicht an die Weltmarktpreise für Energieträger angepasst habe. Nach Ansicht des ehemaligen deutschen Verteidigungsministers Volker Rühe hat auch die Regierung unter Julija Tymoschenko nichts dafür getan. Rühe sagte: "Wenn man nicht mehr Teil der Sowjetunion ist, kann man auch nicht sowjetische Preise für Gas zahlen. Also, warum hat die Regierung Tymoschenko nicht die Initiative ergriffen, um in einem Mehr-Jahres-Plan einen graduellen Anstieg der Gaspreise mit Russland auszuhandeln, wie das einem unabhängigen Land entspricht. Wieso sollen Sie auf die Dauer geringere Preise zahlen als die Mitgliedstaaten der Europäischen Union? Liegt da nicht ein Versäumnis Ihrerseits vor? Nach meiner Einschätzung hätten sich die Schwierigkeiten Anfang des Jahres gar nicht ergeben, wenn die Ukraine, unter anderem auch bereit bewesen wäre, die Pipeline zu privatisieren, die durch die Ukraine führt. Warum ist es nicht möglich, diese Pipeline in einen privaten Besitz zu bringen, eine russische Firma, eine ukrainische Firma und eine Firma aus dem Bereich der EU?"

Schrittweise zu Weltmarktpreisen

Tymoschenko entgegnete Rühe, sie unterstütze den vollständigen Übergang zu Weltmarktpreisen, aber dieser müsse schrittweise erfolgen. Zuvor hatte sie daran erinnerte, dass der einstige Preis von 50 Dollar pro 1000 Kubikmeter Erdgas in langfristigen Abkommen zwischen der Ukraine und Russland festgelegt worden sei. Diese Abkommen würden auch den Preis für die Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte in der Ukraine beinhalten.

Was die Privatisierung des ukrainischen Erdgasleitungsnetzes betreffe, so sei hier die Zustimmung des ukrainischen Parlamentes notwendig. Diese Zustimmung wird das Parlament Tymoschenko zufolge aber vorerst nicht geben. Für die Mehrheit der ukrainischen Politiker stelle das Erdgasleitungsnetz ihres Landes einen Stabilitätsfaktor dar.

Natalja Fiebrig
DW-RADIO/Ukrainisch, 23.11.2006, Fokus Ost-Südost