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Typisch Klischee

1. Juni 2011

Das Russland-Bild der Deutschen ist von Klischees geprägt. Aber die russischen Medien kultivieren ebenso Stereotype. Darüber diskutierten in Moskau junge Deutsche und Russen mit Journalisten aus beiden Ländern.

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Matroschka-Steckpuppen in Moskau auf einem Souvenirmarkt, Motive sind Spieler der deutschen und russischen Nationalmannschaft (Foto: DW)
Deutsche und russische Matroschka-PuppenBild: DW

Den Russen werde immer unterstellt, sie würden zu viel Alkohol trinken, "dabei unterscheiden sich die Trinkgewohnheiten der Mittelschicht nicht von der in Erfurt oder Manchester", meint Sergej Sumlenny, Berliner Korrespondent der russischen Wirtschaftszeitschrift Expert. Von den Deutschen werde er immer gefragt, ob er frei berichten dürfe. Die Zensur in Russland und der Wettbewerb zwischen Präsident und Premier interessiere die Deutschen. Ansonsten rattere nur die transsibirische Eisenbahn durch die Köpfe der Deutschen, wenn sie an Russland denken, erzählt der 30-Jährige.

Die Deutschen gelten bei den Russen als pünktlich und technisch begabt. "Deutsche Autos, Bier und Würste sind beliebte Themen", so Sumlenny. Bayern sei der Inbegriff des Deutschtums, kernige Tradition mit Lederhosen und Jägermützen. Dass er in Berlin wochenlang auf Möbel, Telefon und Internet gewartet habe, wolle ihm in Moskau niemand glauben. "Du wirst vom Kreml bezahlt, um Deutschland schlecht darzustellen", hört Sumlenny manchmal über seine kritischen Berichte aus Berlin.

Differenzierte Darstellung nötig

Sergej Sumlenny, Deutschland-Korrespondent der Wirtschaftszeitschrift Expert, Spiegel-Redakteur Benjamin Bidder, Torsten Brezina, Direktor des Deutsch-Russischen Hauses (Foto: DW)
Die Journalisten Sergej Sumlenny und Benjamin Bidder sowie Torsten Brezina vom Deutsch-Russischen HausBild: DW

Um Klischees drehten sich die Moskauer Gespräche am Dienstag (31.05.2011) im Deutsch-Russischen Haus in Moskau. "Typisch Russisch, typisch Deutsch: Alles nur Klischee?", zu diesem Thema hatte das Deutsch-Russische Forum, die Moskauer Deutsche Zeitung und das Deutsch-Russische Haus junge Leute aus beiden Ländern zu einer Diskussion mit Journalisten geladen.

Klar wurde dabei, dass Medien Klischees gezielt nutzen, um ihre Kundschaft anzusprechen. Ob es um freizügige russische Frauen oder korrupte Polizisten geht – besonders die Überschriften bestätigen den deutschen Leser in dem, was er schon immer über Russland wusste. "An den Klischees von Winter, Wodka und korrupter Miliz ist auch etwas dran", sagt Spiegel-Redakteur Benjamin Bidder. "Dies sollte aber den Blick für eine vertiefte Darstellung nicht verstellen", fügt der deutsche Journalist mahnend hinzu.

Das Problem sei allerdings häufig, dass es eben an einer differenzierten Darstellung hapere, räumen sowohl Sumlenny als auch Bidder ein. Häufig wiederholte Floskeln würden neue Klischees bilden. So sei zum Beispiel in Russland die Ansicht populär, Deutschland sei zu tolerant und gehe zu wenig gegen Einwanderer vor. Das russische Fernsehen zeige immer wieder Neukölln als Zitadelle muslimischer Zuwanderer, berichtet Sumlenny.

Warum Klischees bleiben

Gebäude des Deutsch-Russischen Hauses in Moskau (Foto: DW)
Das Deutsch-Russische Haus in MoskauBild: DW / Victor Weitz

Wie schnell alte Klischees von Krieg und Ost-West-Konflikt aus der Mottenkiste der längst vergangenen Feindschaft zwischen Russen und Deutschen geholt werden können, zeigte der Krieg zwischen Russland und Georgien um Südossetien im August 2008. Bidder war damals in Tiflis eingesetzt und erinnert sich noch gut an den Aufmacher seines Magazins mit Panzern und Putin - der Titel: "Der gefährliche Nachbar". "Der Reflex war sehr schnell, die Rhetorik vom Kalten Krieg wieder aufzunehmen", so Bidder.

Klischees würden deshalb auch bleiben, weil sie die kollektiven Erfahrungen der Menschen widerspiegelten, meint der Spiegel-Redakteur. Er sieht auch nicht die Aufgabe von Medien darin, Klischees mit positiven Gegenbeispielen zu entkräften, sie müssten aber die sozialen Prozesse erklären, fordert er. Allerdings steht die Medienwirklichkeit solcher Aufklärung oft entgegen: Viele Medien leisten sich keine Korrespondenten, Redaktionen sind knapp besetzt, tagesaktuelle Geschichten verdrängen den Hintergrund.

Gerade wenn die Zeit knapp ist, helfen Klischees die Realität zu ordnen. Wenn der Berliner Korrespondent Sumlenny von einer Gay-Parade in Deutschland berichtet, glauben viele Russen nicht, dass diese friedlich verlaufen kann. Denn in Russland werden solche Veranstaltungen meist verboten und niedergeschlagen. "Das bestätigt dann wieder das Klischee: Russland ist leider homophob, Russland ist nicht tolerant", so Sumlenny. Mit diesem Vorurteil ist der russische Journalist einverstanden.

Autorin: Susanne Spahn

Redaktion: Markian Ostaptschuk