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Politik

Grundsatzurteil zu inhaftierten Journalisten

11. Januar 2018

Zwei türkische Journalisten, die seit mehr als einem Jahr in U-Haft sitzen, müssen freigelassen werden. Das Urteil könnte auch Deniz Yücel helfen. Julia Hahn aus Istanbul.

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Türkei Verfassungsgericht in Ankara
Bild: Getty Images/AFP/A. Altan

Seit mehr als fünfzehn Monaten sitzen die beiden türkischen Kolumnisten Mehmet Altan und Sahin Alpay ohne Urteil im Gefängnis. Das sei unrechtmäßig, haben jetzt die Verfassungsrichter in Ankara entschieden, wie mehrere türkische Medien übereinstimmend berichten. Beobachter rechnen damit, dass die beiden Männer bald aus der Haftanstalt Silivri bei Istanbul entlassen werden.

Es ist ein Urteil mit womöglich weitreichenden Folgen für viele andere inhaftierte Journalisten in der Türkei. "Wir sind erleichtert und freuen uns für die beiden Kollegen und ihre Familien", sagte Erol Öderoğlu, der Türkei-Mitarbeiter von Reporter ohne Grenzen, im Gespräch mit der DW. "Wir hoffen jetzt, dass dieses Urteil auch anderen inhaftierten Journalisten den Weg in die Freiheit ebnet".

Präzedenzfall, der Hoffnung macht

Nach Angaben verschiedener Nichtregierungsorganisationen sitzen bis zu 151 Journalisten in türkischen Gefängnissen. Darunter mehrere Mitarbeiter der Oppositionszeitung Cumhuriyet und der deutsche "Welt"-Korrespondent Deniz Yücel, der ebenfalls Beschwerde beim Verfassungsgericht eingelegt hatte. Sein Fall ist der derzeit größte Streitpunkt in den deutsch-türkischen Beziehungen.

"Das ist ein wichtiges Urteil für Deniz und die anderen Journalisten", sagte sein Anwalt Veysel Ok der DW. "Es zeigt, dass es unrechtmäßig ist, Journalisten allein wegen ihrer Berichterstattung über Monate hinweg im Gefängnis zu behalten". Yücel sitzt seit fast elf Monaten in Untersuchungshaft. Die Behörden werfen ihm "Terrorunterstützung" und "Volksverhetzung" vor. Eine Anklageschrift legte die türkische Justiz aber bislang nicht vor.

Türkei Journalist und Author Mehmet Altan
Der türkische Autor und Journalist Mehmet AltanBild: picture-alliance/AA/A. Izgi

Klagen wurden monatelang ignoriert

Konkret hat das Gericht heute über die Verfassungsbeschwerden von insgesamt drei inhaftierten türkischen Journalisten entschieden. Geklagt hatten neben den Kolumnisten Sahin Alpay und Mehmet Altan auch Turhan Günay, der Chef der Buchbeilage der Oppositionszeitung Cumhuriyet. Sie alle wurden kurz nach dem Putschversuch im Juli 2016 wegen Terror- und Umsturzvorwürfen verhaftet. Günay wurde vor einigen Monaten vorläufig freigelassen. In den Verfassungsbeschwerden ging es unter anderem um ungerechtfertigten Freiheitsentzug, mangelnde Unabhängigkeit von Richtern und die Verletzung der Pressefreiheit. Monatelang hatte das höchste Gericht in Ankara die Klagen ignoriert, jetzt nahm es sie überraschend auf die Tagesordnung - und gab den Journalisten Recht.

Türkische Regierung unter Druck?

Die Entscheidung der Verfassungsrichter komme nicht von ungefähr, sagt Rechtswissenschaftler Yaman Akdeniz, der an der renommierten Bilgi-Universität in Istanbul unterrichtet. "Ich denke, der Urteilsspruch ist politisch motiviert", so Akdeniz im Gespräch mit der DW. "Die türkische Regierung steht unter Druck, weil auch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ansteht". Mehrere türkische Journalisten, darunter Deniz Yücel, hatten vor dem Straßburger Gericht gegen ihre Haft geklagt. Im Fall Yücel hatte die türkische Regierung Ende November ihre Stellungnahme beim Menschengerichtshof eingereicht - nach zwei Fristverlängerungen.

Journalist Deniz Yücel
Urteil könnte auch ihm helfen: Deniz YücelBild: picture-alliance/Eventpress/Stauffenberg

Beobachter werten auch das als Zeichen, dass Bewegung in den Fall des deutschen Journalisten kommt. Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu hatte zudem kürzlich einen "Neustart" in den Beziehungen seines Landes zu Deutschland gefordert. Präsident Erdoğan wolle persönlich mit Kanzlerin Merkel zusammenkommen, sobald in Deutschland eine Koalitionsregierung gebildet sei, sagte Çavuşoğlu jetzt bei einem Treffen mit Journalisten in Antalya. "Ich versichere Ihnen, Deniz Yücel ist kein politisch motivierter Fall. Was ist mein Vorteil, wenn ich Deniz Yücel inhaftiere? Was werde ich im Gegenzug bekommen? Nichts. Es vergiftet unsere Beziehungen. Gefällt mir das? Nein. Aber ich kann nicht in die Justiz eingreifen, nur um dieses Problem loszuwerden." Yücel selbst hatte sich kürzlich in einer Erklärung aus dem Gefängnis, die seine Anwälte auch der DW zukommen ließen, als "Geisel" bezeichnet.

Um den Fall des deutschen Korrespondenten könnte es auch bei einem weiteren Treffen zwischen Çavuşoğlu und seinem deutschen Kollegen Gabriel gehen. Die beiden Minister wollen in den nächsten Wochen zusammenkommen - dieses Mal in Istanbul.