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Hoffen auf Hilfe aus Deutschland

Frank Hofmann1. April 2015

Der ukrainische Ministerpräsident Jazenjuk ist zu Besuch in Berlin. Die deutsche Wirtschaft sitzt bei den Gesprächen mit am Tisch. Sie will über ihr Engagement im Land sprechen. Es gibt viele Wünsche und Fragen.

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Ukrainischer Ministerpräsident Jazenjuk mit Merkel im Kanzleramt am 08.01.2015 - (Foto: C. Koall/Getty Images)
Bild: C. Koall/Getty Images

Die Stimmung ist mies unter den deutschen Managern in Kiew. Sie treibt die Frage um, ob die Ukraine als Staat scheitert. "Wir fahren an der Kante entlang", sagt ein deutscher Industrievertreter.

2000 Firmen mit deutscher Beteiligung gibt es im Land. Viele sind im Westen des zweitgrößten Flächenstaates Europas tätig, einige aber auch 1200 Kilometer weiter östlich, im vom Krieg betroffenen Donbass. Manche wie Heidelberger Zement mussten ihre Produktionsstätten schon ganz dicht machen. Denn in der Anlage auf halbem Wege zwischen der Rebellenhochburg Donezk und der russischen Grenze haben jetzt prorussische Rebellen das Sagen.

Und es wird weiter geschossen - jeden Tag, wie die Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in ihren täglichen Berichten festhalten. Das Mitte Februar geschlossene Minsker Waffenstillstandsabkommen ist brüchig.

Drohendes Kriegsrecht - mit Folgen

Den Firmen bereitet auch Sorgen, dass sich der Krieg nach und nach in die Betriebe schleicht, in die Familien der Mitarbeiter. "Wir müssen unseren Leuten den Einberufungsbefehl überreichen", berichtet ein Geschäftsführer. Nach ukrainischem Recht müssen die Unternehmen auch Mitarbeiterlisten bereit halten mit Angaben über Familienstand und Zahl der Kinder eines Wehrpflichtigen. Und wird erst einer eingezogen, müssen die Firmen seinen Arbeitsplatz vorhalten - egal, in welcher Verfassung der Soldat zurückkommt.

Vor kurzem hat die Kiewer Vertretung der deutschen Wirtschaft zu einem runden Tisch geladen, damit sich die Manager über die Kriegsfolgen in ihren Betrieben austauschen können. Ganz oben auf der Sorgenliste stand dort die Frage, ob Präsident Petro Poroschenko doch noch das Kriegsrecht über das Land verhängen wird. Denn dann könnten auch Firmenteile zu Kriegszwecken beschlagnahmt werden, vorneweg der Fuhrpark. Der müsste dann zwar nach dem Kriegseinsatz wieder zurückgebracht werden - allerdings egal in welchem Zustand.

Unternehmen wollen Sicherheit

Und so hat sich die Lagebeschreibung in den Firmenberichten an die Zentralen in Deutschland eingetrübt. Dort hat man bereits reagiert: Die Firmenzentralen kürzen die Warenkredite für ihre ukrainischen Töchter.

Sie hoffen nun auf die Politik: Beim Besuch des ukrainischen Ministerpräsidenten Arseni Jazenjuk in Berlin wollen die deutschen Wirtschaftsvertreter mit dem Kanzleramt über einen Krisenfonds für die Ukraine diskutieren. Dieser Fonds soll - ähnlich wie Hermes-Bürgschaften - die Risiken für die Unternehmen bei der Kreditaufnahme abfedern.

Der ukrainische Regierungschef wird das gerne hören, hat er doch noch ganz andere Nöte: 500 Millionen Euro hat Deutschland der Ukraine als Nothilfe versprochen, vor allem zum Wiederaufbau im kriegsgeschundenen Osten des Landes. Nur ist bis heute nicht absehbar, ob bis Ende des Jahres auch nur ein Euro der Direkthilfen fließen kann.

Regierung unter Reformdruck

"Es fehlt schlicht an guten Projekten", sagt ein Diplomat in Kiew. Und an Vertrauen wegen der hohen Korruption. Dieses Problem "zieht sich von ganz unten nach ganz oben durch", sagt ein Mittelständler. Zum Beispiel habe er eine Stadtverwaltung in der Ukraine um die Reparatur eines Generators gebeten, erzählt er. "Das kostet eigentlich nicht mehr als 10.000 Euro." Am Ende wurden es aber 100.000 Euro, weil auf jeder Genehmigungs- und Entscheidungsebene jemand gewesen sei, der die Hand aufhielt. Letztlich sei das verständlich, sagt er. Denn die Währung Griwna hat nach Monaten galoppierender Inflation massiv an Wert verloren. Wer, fragt er, könne von umgerechnet 80 bis 110 Euro im Monat leben? Ein Teufelskreis.

Die Kiewer Regierung steht unter Zeitdruck: Sie muss schnell Reformen auf den Weg bringen. Denn "Länder wie Litauen, Polen, Lettland oder Estland werden so lange wie nötig die Ukraine unterstützen", sagt der litauische EU-Abgeordnete Gabrielius Landsbergis im DW-Interview. Doch die Staaten im Westen der EU könnten seiner Einschätzung nach die Lust verlieren, wenn es bei den Reformen nicht bald deutliche Fortschritte gibt.

Nahe der ostukrainischen Stadt Luhansk halten prorussische Streitkräfte eine Militärübung ab (Foto: Getty Images/Afp/Petro Zadorozhnyy)
Manöver in der Ostukraine: Flammt der Krieg wieder auf?Bild: Getty Images/Afp/Petro Zadorozhnyy

Um die gröbsten Löcher zu stopfen, sollen 200 Millionen Euro aus Berlin nun direkt in den ukrainischen Haushalt fließen - ein Signal an die Gläubiger des Landes. Denn der Wirtschaftsdienst Bloomberg kommt in seiner jüngsten Analyse zur Einschätzung, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Ukraine pleite geht, bei 30 Prozent liege. Hinter den Kulissen verhandelt die ukrainische Finanzministerin Natalia Jaresko über eine Stundung der Schulden - um Zeit zu gewinnen, damit die Ukraine wieder auf die Beine kommen kann. Klar scheint schon jetzt: Von den rund 30 ukrainischen Banken werden am Ende wohl nur noch sieben übrig bleiben, heißt es in Kiew. Mit oder ohne Unterstützung aus dem Westen.

Noch wollen die Firmen bleiben

Allerdings sind die deutschen Geschäftsführer in Kiew überzeugt: Die Hilfen funktionieren nur, wenn im Osten des Landes nicht wieder Krieg aufbricht, so wie Anfang des Jahres bei den Kämpfen um den Flughafen von Donezk und die Kleinstadt Debalzewe. Die deutschen Firmen wollen bleiben - noch. Wenn aber die von Russland mit Waffen und wahrscheinlich auch Soldaten unterstützten Rebellen im Osten ihr Gebiet ausweiten sollten, wird auch das ungewiss.

Denn schon mit der Annexion der Krim durch Russland und dem Verlust der Stahl- und Kohlegebiete zwischen den Rebellenhochburgen Donezk und Luhansk hat Kiew mehr als 20 Prozent der Wirtschaftsleistung verloren. Weiter westlich liegen die beiden zweitwichtigsten industriellen Kernregionen Dnipropetrowsk und Saporischja, wo das Land das größte Atomkraftwerk Europas betreibt. "Wenn diese Regionen auch noch fallen, ist von der Ukraine nur noch wenig übrig“, sagt ein deutscher Spitzenmanager in Kiew. Es ist eben alles auf Kante genäht in der Ukraine.