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Ukraine: Justizreform im Wartestand

16. Juli 2009

Es sieht nicht so aus, als würde die längst überfällige Justizreform bald in Angriff genommen. Dabei wäre die dringend nötig.

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Korruption in der ukrainischen Justiz weit verbreitetBild: picture-alliance/ dpa

Glaubt man aktuellen Umfragen, dann stellen die Bürger der Ukraine ihrer Justiz ein Armutszeugnis aus: Mehr als 90 Prozent misstrauen ihrer Justiz. Die Gründe für soviel Argwohn sind vielfältig: Viele Ukrainer warten monatelang, dass ihr Fall geprüft wird. Der Ausgang hängt angeblich oft von der Höhe der Schmiergelder an die Richter ab. Umgekehrt beklagen die Gerichtsverwaltungen, ihnen fehle Geld für die Begleichung von Stromrechnungen und Portokosten. Das ziehe Verfahren in die Länge und begünstige Korruption. Die staatliche Finanzierung reiche gerade für die Gehälter der Mitarbeiter.

Der ukrainische Anwalt Wiktor Tschewhus schildert: Die Höhe der Schmiergelder, die an ukrainische Richter fließen, sei allgemein bekannt und hänge meist von der Klagesumme ab. Beispielsweise würden in Zivilsachen 10 bis 15 Prozent der Klagesumme genommen. Längst wenden sich daher viele Ukrainer an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. In den vergangenen Jahren fällte der Gerichtshof nach Klagen ukrainischer Bürger rund 540 Urteile, von denen nur vier zugunsten des ukrainischen Staates ausfielen.

Gerichte im Dienste der Politik?

Vor kurzem besuchte der zuständige Berichterstatter der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, Christos Pourgourides, Kiew. Dort äußerte er die Sorge, die Ukraine verzögere die Justizreform. Pourgourides sagte, die Wahl von Berufsrichtern auf unbestimmte Zeit durch die Abgeordneten des Parlaments könnte in der aktuellen Situation politischen Charakter annehmen, was sich auf die Unabhängigkeit der Justiz als Ganzes negativ auswirken würde.

Für den Zerfall der Justiz macht der für Rechtsfragen zuständige stellvertretende Leiter des ukrainischen Präsidenten-Sekretariats, Ihor Pukschyn, das Oberste Gericht des Landes verantwortlich. "Wir brauchen ein echtes Oberstes Gericht, es darf nicht einer konkreten politischen Kraft oder konkreten Person dienen", sagte er. Pukschyn meint, heute gebe es in der Ukraine faktisch kein Oberstes Gericht. Er macht darauf aufmerksam, dass der Vorsitzende des Gerichts, Wasyl Onopenko, dem Block Julija Tymoschenko nahe stehe.

Reformstau im Parlament

Die nationale Kommission zur Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die bereits im Jahr 2005 geschaffen wurde, erarbeitete im Einklang mit europäischen Normen ein Konzept zur Verbesserung der Gerichtsverfahren. Danach legte Präsident Juschtschenko dem Parlament zwei Gesetzentwürfe zur Bestätigung vor. Das Problem: Seit fünf Jahren gelingt es den Abgeordneten nicht, den Gesetzentwurf "Über Besonderheiten zur Finanzierung der Justiz" in letzter Lesung zu verabschieden.

Verabschiedet ist bislang lediglich ein Gesetz, das dem Obersten Gericht die Befugnis entzieht, im Falle einer Klage gegen ein Ergebnis einer Präsidentenwahl zu entscheiden. Nach Ansicht von Juristen wird dies künftig eine Situation wie im Jahr 2004 verhindern, als das Oberste Gericht faktisch den Sieger der Präsidentenwahl bestimmte.

Gesetze zur Reform der Justiz wird der Oberste Rat in nächster Zeit wohl nicht mehr verabschieden, denn die Abgeordneten treten ihren Urlaub an. Danach, so glaubt Serhij Soboljew, Mitglied des Parlamentsausschusses für Justiz, würden die Abgeordneten erst recht keine Gesetzesnovellierungen mehr in Angriff nehmen: "Im Herbst wird der Präsidentschaftswahlkampf in vollem Gange sein. Daher ist zu erwarten, dass erst ein neuer Präsident gemeinsam mit dem Parlament eine neue Verfassung und Justizreform erarbeiten wird."

Autor: Oleksandr Sawyzkyj / Markian Ostaptschuk
Redaktion: Birgit Görtz