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Ukraine-Konflikt spaltet das "russische Berlin"

Nikita Jolkver / Markian Ostaptschuk7. Januar 2016

In Berlin leben zehntausende Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, von Einheimischen "Russen" genannt. In Berlin leben aber auch viele Ukrainer. Alle bekommen jetzt zu spüren, was mit der Annexion der Krim begann.

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Eine russische Flagge weht hinter ukrainischen Unterstützer während eines Besuchs von Präsident Petro Poroschenko in Berlin (Foto: REUTERS/Fabrizio Bensch)
Eine russische Flagge hinter den ukrainischen Anhängern von Petro Poroschenko bei dessen Berlin-BesuchBild: Reuters/F. Bensch

Vor sieben Jahren heiratete Anastasia einen Deutschen und zog zu ihm nach Berlin. Kennengelernt hatte sie ihn auf der 2014 von Russland annektierten ukrainischen Halbinsel Krim, wo er Urlaub machte, und sie, eine Studentin aus Donezk, in den Ferien arbeitete. Anastasias Familie lebt nach wie vor in Donezk. Anfangs habe sich ihre Schwägerin einen Anschluss der Region an Russland gewünscht - doch das Verhalten russischer Soldaten in der Ostukraine habe ihr missfallen. "Mein Vater, meine Mutter und mein Bruder waren dagegen und von Anfang an für die neue Regierung in Kiew", betont Anastasia. Die Korruption unter dem nach Russland geflüchteten früheren Präsidenten Viktor Janukowitsch sei erdrückend gewesen.

Viele ihrer russischsprachigen Bekannten in Berlin hat Anastasia bei Demonstrationen zur Unterstützung der prowestlichen ukrainischen Maidan-Bewegung kennengelernt. Gleichzeitig habe sie Leute aus ihren Kontaktlisten in sozialen Medien entfernt, die sie deswegen als "Faschistin" beschimpften.

Ukrainische Demo vor dem Auswärtigen Amt in Berlin (Foto: DW)
Ukrainer in Berlin fordern vor dem Auswärtigen Amt Sanktionen gegen RusslandBild: DW/N.Jolkver

Meist seien solche Beschimpfungen auf Propaganda russischer Medien zurückzuführen, meint der aus Odessa stammende Efim. Er kennt viele Russen und Ukrainer in Berlin. Viele, die er in Bars und Restaurants treffe, würden von einer weltweiten amerikanischen Verschwörung reden. "Es gibt auch Ukrainer, die für Putin sind. Wenn sie von morgens bis abends russisches Fernsehen schauen, werden auch Menschen in Berlin einer Gehirnwäsche unterzogen", beklagt Efim.

Aljona mag keine "Putin-Versteher"

Genau wie Efim wundert sich auch Aljona aus dem ukrainischen Saporischja über Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion in Berlin, die eine positive Sicht auf Russlands Präsidenten Wladimir Putin haben. Es sei unmöglich, mit solch "sturen Menschen" zu diskutieren. "Sie hören keine Argumente und haben selbst keine. Sie geben nur das wieder, was sie im russischen TV sehen", meint Aljona, die seit drei Jahren in Deutschland lebt.

Aljona Volkova, ukrainische Studentin in Berlin (Foto: DW)
Aljona wünscht sich schnellere Veränderungen in der UkraineBild: DW/N.Jolkver

Die Maidan-Bewegung ließ auch sie nicht kalt. Im Frühjahr 2014 half die Studentin der Medienwissenschaften verwundeten ukrainischen Soldaten, die in Berliner Krankenhäusern behandelt wurden. Aber in ihrer Stimme ist Enttäuschung zu hören über das, was heute in der Ukraine geschieht. Reformen würden zu langsam angegangen. Deshalb wolle sie nicht mehr zurück. Es mache sie traurig, dass sie in ihrer Heimat keine Perspektive sehe.

Emil zieht russische Sender vor

Vor 14 Jahren kam Emil als Teenager von Moskau nach Berlin. Er informiere sich über russische, ukrainische und deutsche TV-Sender, betont er. Gehirnwäsche würden sie alle betreiben, doch am meisten vertraue er den russischen. "Das russische Fernsehen bringt im Gegensatz zum ukrainischen wenigstens Fakten", so Emil. Er glaubt, Putin mache in der Außenpolitik alles richtig. Den russischen Außenminister mag er, den amerikanischen hingegen nennt er einen "Clown". Und die neue Regierung in Kiew hält Emil für korrupt: Sie habe die Hoffnungen der Menschen nicht erfüllt.

Russische T-Shirts mit Aufdrucken, die die Annexion der Halbinsel Krim begrüßen (Foto: DW)
T-Shirts verherrlichen die Annexion der Halbinsel Krim und PutinBild: DW/Y. Vishnevetskaya

Zu allen Bekannten in Berlin, die nicht die Position Moskaus, sondern jene Kiews teilen, hat er den Kontakt abgebrochen. Es sei sinnlos, mit Menschen zu sprechen, die einen "übertriebenen Patriotismus" verträten. Ferner könne er den Trend nicht nachvollziehen, traditionelle ukrainische Hemden und Blusen zu tragen. Das sei "ländliche Kleidung". Er selbst trage manchmal ein T-Shirt mit einer russischen Flagge oder eines mit der russischen Losung "Die Krim ist unser". Das tue er nicht Putin zuliebe, sondern aus Protest gegen den "in Deutschland vorherrschenden proukrainischen Mainstream".

Sergejs neue ukrainischen Freunde

Sergej aus Moskau mag hingegen traditionelle ukrainische Hemden. Für ihn sind sie ein Ausdruck der Einheit der ukrainischen Nation. Unter seinen Bekannten an der Berliner Wirtschaftsfakultät sind viele Russen und Ukrainer. "Über Politik spricht man nicht gleich, aber alle haben dieses Thema im Hinterkopf. In den russisch-ukrainischen Streit steigt man nur sehr vorsichtig ein", sagt er.

Wyschywanka. Traditionell bestrickte Hemden und Blusen in der Ukraine (Foto: EPA/TATYANA ZENKOVICH)
Wyschywanka - so nennen die Ukrainer ihre traditionell bestrickten Hemden und BlusenBild: picture-alliance/epa/T. Zenkovich

Die Bekanntschaft mit Ukrainern in Berlin sei für Sergej etwas Neues. Unerwartet sei vor allem, dass sich die Ukrainer, obwohl sie aus verschiedenen Landesteilen kämen, als ein Volk und Bürger eines Staates fühlten.

Russen sind im Internet vorsichtig

Auch Irina kommt aus Russland. In Berlin studiert sie internationale Beziehungen. Sie und die meisten ihrer russischen und ukrainischen Freunde sympathisierten mit der Maidan-Bewegung. Im Unterschied zu den Ukrainern seien die Russen aber vorsichtig mit Äußerungen auf Facebook, in Chats und auf Skype. "Irgendwann müssen sie nach Hause. Sie fürchten, dass sie abgehört werden. Solange man einen russischen Pass hat, sollte man besser still sein", sagt Irina.

Vor kurzem hat sie über soziale Medien eine Schulfreundin wiedergefunden. Stundenlang sprachen sie auf Skype über alte Zeiten. "Erst um drei Uhr nachts traute sie sich, mich zu fragen: Was meinst du, wem gehört die Krim?" erzählt Irina. Wie sich herausstellte, war ihre Freundin an den Kreml-kritischen Demonstrationen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz zwischen Dezember 2011 und Mai 2012 beteiligt. Die Freundschaft der beiden Frauen ist nun noch intensiver.