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Ukraine wagt neues Machtspiel mit Gazprom

Roman Goncharenko / Juri Schejko 2. Juli 2015

Die Ukraine kauft kein russisches Gas mehr und erhöht den Druck auf Gazprom. Kiew strebt eine Einigung über Lieferpreise im Winter an, doch Moskau lehnt ab. In der Zwischenzeit hofft die Ukraine auf Gas aus der EU.

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Symbolbild - Gasstreit Russland Ukraine
Bild: picture-alliance/Danil Shamkin/NurPhoto

Keine Vorkasse, kein Geld: Der russische Energiekonzern Gazprom stoppte am Mittwochmorgen Gaslieferungen in die Ukraine. Überraschend war das nicht. Gazproms ukrainischer Kunde Naftogaz erklärte am Abend zuvor, die Ukraine werde zunächst kein Gas mehr aus Russland kaufen. "So lange es keine Einigung gibt, werden wir von anderen Quellen Gas kaufen", sagte der ukrainische Energieminister Wolodymyr Demtschyschyn und meinte damit Europa. Es war die Konsequenz der gescheiterten Verhandlungen in Wien Ende Juni. Ein Vermittlungsversuch der Europäischen Union brachte keinen Durchbruch.

Streit um Dauer der Lieferungen

Gestritten wird laut EU-Kommissar Maros Sefcovic, der als Vermittler fungiert, über drei Kernfragen: Preis, Dauer und Umfang der Lieferungen. Russland bietet der Ukraine im dritten Quartal sein Gas zu einem Preis von 247 US-Dollar (rund 222 Euro) pro Tausend Kubikmeter an. Mit eingerechnet ist der Nachlass in Höhe von 40 Dollar, den Russland der Ukraine über niedrigere Exportzölle gewährt. Allerdings ist dieser Nachlass deutlich geschrumpft im Vergleich zum ersten und zweiten Quartal dieses Jahres (100 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter). Die Kürzung des Nachlasses erklärt, warum der Endpreis für die Ukraine gleich bleiben würde, obwohl das Gas insgesamt billiger geworden ist. Die Ukraine hält das Angebot aus Moskau für zu hoch und möchte rund 40 Dollar weniger zahlen.

Während die beiden Seiten beim Preis nicht weit auseinander liegen, sind die Differenzen bei der Dauer der Lieferungen groß. Für manche Beobachter in Kiew sei das der eigentliche Streitpunkt. Russland will den Gaspreis für die Ukraine jedes Quartal neu festlegen. Die Ukraine aber möchte jetzt schon eine langfristige Einigung - mindestens für den kommenden Winter.

Kiew profitiert vom Lieferstopp...

Während es bei den Gasstreits 2006 und 2009 Russland war, das den Lieferstopp initiiert hatte, ergriff die Ukraine nun zum zweiten Mal die Initiative. Vor rund einem Jahr, im Juni 2014, weigerte sich Kiew den aus seiner Sicht zu hohen Preis für russisches Gas im Voraus zu zahlen. Der Lieferstopp dauerte fast ein halbes Jahr. Eine Kompromisslösung wurde erst im Herbst unter EU-Vermittlung gefunden und im Dezember 2014 floss wieder russisches Gas in die Ukraine.

Der Firmensitz von Gazprom in Moskau (Foto: DW)
Gazprom-Sitz in Moskau: Der Energieriese stoppte am Mittwoch die Gaslieferungen in die UkraineBild: DW/E. Samedowa

Ähnlich wie damals kann Kiew den aktuellen Lieferstopp leicht verkraften. Die Heizsaison beginnt frühestens im Oktober, der Gasbedarf ist niedrig. Kein Geld an Russland zahlen zu müssen kommt der Ukraine auch nicht ganz ungelegen: Die Staatskasse ist leer. Die Ukraine, die seit Ende 2013 am Rande des Staatsbankrotts balanciert, könnte sich bereits Ende Juli für zahlungsunfähig erklären. Damit rechnen sowohl die Regierung, als auch viele Experten. Verhandlungen mit ausländischen Gläubigern über eine Restrukturierung der Staatsschulden in Höhe von rund 20 Milliarden US-Dollar brachten bisher keine Einigung. Kiew möchte einen Schuldenschnitt und eine Verschiebung von Rückzahlungen.

…und erhöht Druck auf Moskau

Vor diesem Hintergrund lässt sich die Ukraine auf ein Machtspiel mit Gazprom ein. Kiew braucht jeden Dollar, um den Staatsbankrott doch noch abzuwenden. Außerdem erhöht Kiew den Druck auf Gazprom: Das Unternehmen muss nun seine Gasförderung drosseln.

Außerdem braucht der russische Energieriese ukrainische Gasspeicher, um Kunden in der Europäischen Union im kommenden Winter stabil zu beliefern. Sowohl Russland, als auch die Ukraine versichern, dass der jetzige Streit keine Auswirkungen auf Transitlieferungen nach Europa haben werde. In den kommenden Tagen wird in Kiew mit europäischen Geldgebern über finanzielle Hilfe für die Ukraine beraten, damit rechtzeitig Gas in die Speicher gepumpt wird. Benötigt wird nach Kiews Angaben mindestens eine Milliarde US-Dollar.

Kann Europa Kiew helfen?

Bei der Lösung des Streits hofft die Ukraine wie im vergangenen Jahr auf die EU. Kiew möchte immer mehr Gas in Europa kaufen, wie jetzt in der Slowakei. Damit will die Ukraine ihre Abhängigkeit von Russland reduzieren. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2015 importierte die Ukraine nach offiziellen Angaben fast doppelt so viel Gas aus der EU wie aus Russland: 6,3 Milliarden Kubikmeter im Vergleich zu 3,7 Milliarden. Die Begründung: Europäisches Gas sei billiger als russisches.

Porträt der Energie-Expertin Claudia Kemfert (Foto: DIW)
Energie-Expertin Kemfert: Europa wird weiter auf Verhandlungen drängenBild: Getty Images

Mirek Topolanek vom slowakischen Gasunternehmen Eustream erklärt im Gespräch mit der DW, die Ukraine könnte bis zu 23 Milliarden Kubikmeter Gas aus der Slowakei, Ungarn und Polen erhalten. Das wäre rund die Hälfte des Jahresbedarfs. Doch es gebe auch Schwierigkeiten, sagt Claudia Kemfert, Energie-Expertin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). "Einige Gasverträge mit Russland sehen nicht vor, dass Gas von West nach Ost weiterverkauft werden darf", gibt sie zu bedenken.

Schließlich hofft die Ukraine weiterhin auf eine Vermittlung der EU in den Gesprächen mit Gazprom. "Europa wird weiter auf Verhandlungen drängen", prognostiziert die Expertin. Die nächste Runde ist für September geplant.