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Umarmung des Drachen

26. November 2010

In den letzten zwei Jahren musste Deutschland einige Titel an China abgeben: den des Exportweltmeisters und den der drittgrößten Wirtschaftsmacht.

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China Landkarte
Auch für die EU ist China ein sehr wichtiger HandelspartnerBild: DW

China ist nach den USA der zweitgrößte Handelspartner der EU. In der ersten Hälfte 2010 legte der Export aller EU-Länder in die Volksrepublik um über 40 Prozent zu. Doch auch das Handelsdefizit mit China stieg auf 71 Milliarden Euro. Ein Grund aus europäischer Sicht: der niedrig bewertete Yuan. Auch sonst mangelt es nicht an Streitthemen zwischen der aufsteigenden Wirtschaftsmacht China und den traditionellen Industrienationen in Europa: die Klage europäischer Unternehmen über Marktbarrieren in China und die chinesische Exportbeschränkung einiger wichtiger Rohstoffe, um nur zwei brisante Themen zu nennen. Genügend Gesprächstoff für den vierten "Hamburg Summit – China meets Europe" (25. und 26 November), einen inoffiziellen Wirtschaftsgipfel, der alle zwei Jahre in der Hansestadt stattfindet.

Frank Horch, Präsident der Hamburger Handelskammer. Foto: Handelskammer/Perrey
Frank Horch: Hamburg ist Drehkreuz für ChinaBild: Handelskammer/Perrey

Der Hamburger Hafen hat besonders vom Wachstumswunder in Asien profitiert. Kein Wunder, dass Frank Horch, Präsident der Handelskammer Hamburg und Gastgeber des Hamburg Summits, ins Schwärmen kommt: "Wir sind hier das Drehkreuz für China in Europa. Jeder dritte Container in Hamburg hat in irgendeiner Weise mit China zu tun."

Ein kommunistisches Land als Retter

Die Finanz- und Wirtschaftkrise hat auch die Beziehung zwischen China und Europa verändert, meint Eberhard Sandschneider von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik: "Das hat sie insofern verändert, als Europäer festgestellt haben, dass ein formal kommunistisches System plötzlich wichtig ist, um den westlichen Kapitalismus nicht nur in finanzieller Hinsicht zu retten, oder zu einer Rettung beizutragen." Das habe die Gewichte schon merklich verschoben.

Nicht immer zur Freude Europas, denn der immer wichtigere Partner erweist sich oft als ein schwieriger. So hat die EU-Handelskammer in Peking vor kurzem in einem Positionspapier Beispiele genannt, wie China ausländischen Unternehmen den Marktzutritt erschwere oder sie gegenüber den inländischen benachteilige. Zudem sei ein Markteintritt oft mit einem erzwungenen Technologietransfer verbunden, für deutsche Firmen ein gewaltiges Problem, sagt Sandschneider: "Abfluss von Technologie ist eine strategische Gefahr für viele Unternehmen, für große, aber erst recht für mittelständische Unternehmen." Langfristig würden sich dadurch Wettbewerbsverhältnisse verschieben.

Mangelnder Schutz geistigen Eigentums

Ein chinesischer Hochgeschwindigkeitszug am Bahnhof von Tianjin, China. Foto: AP
Nicht nur die Großen wie Siemens fürchten TechnologieklauBild: AP

Auch klagen deutsche und europäische Unternehmen über den mangelnden Schutz geistigen Eigentums im Reich der Mitte. Liu Haiyan, Vizepräsident des chinesischen Industrieverbandes, verweist auf die Bemühungen der chinesischen Regierung hinsichtlich der Gesetzgebung und die harte Strafe gegen Technologieklau: "Der Schutz geistigen Eigentums ist nicht nur ein Versprechen, das China beim WTO-Beitritt abgeben hat, er liegt auch im Interesse der einheimischen Unternehmen." Die Regierung setze auf Eigenständigkeit und Innovation. "Da werden wir nicht dulden, dass die Innovationen von manchen verletzt werden", sagt Liu weiter.

Umarmung des Drachen

Trotz manch negativer Erfahrung will sich kaum ein europäisches Unternehmen aus dem chinesischen Markt zurückziehen. Zu verlockend sind die Erwartungen an die Dynamik dieses riesigen Marktes. Außerdem würden europäische Firmen in China vor allem für den chinesischen Markt produzieren, so die Untersuchung der EU-Handelskammer in Peking. Vom "Pakt mit dem Teufel" ist in manchen deutschen Medien die Rede. Droht einem bei der Umarmung des Drachen die Luft auszugehen? China-Experte Sandschneider: "Das haben die Drachen so an sich, dass sie sich zwar umarmen lassen, aber wenn sie anfangen zurück zu umarmen, man aus der Umarmung dann ziemlich schnell Angstzustände bekommt." Das sei eine gute Beschreibung der derzeitigen China-Diskussion. Denn China begnügt sich nicht mehr damit, Werkbank für die ganze Welt zu sein. Sie will eigene Champions haben, die auch in die reiche Welt kommen, um vor allem in der Krise Top-Unternehmen zum Schnäppchenpreis aufzukaufen. Das irritiert den Westen. "Doch im Zeitalter von Globalisierung ist es völlig normal, dass sich auch chinesische Global Player in Europa und in Amerika global aufstellen und damit auch in Wettbewerbssituation mit unseren Unternehmen kommen", sagt Sandschneider.

Ist Chinas Aufstieg unser Abstieg?

Symbolbild
In Griechenland nutzen chinesische Investoren die Gunst der StundeBild: DW/Sebastian Müller - Fotolia

Die Shanghai Fosun High Technology Group ist so ein Global Player, der in Europa bereits 100 Millionen Euro investiert hat und nach weiteren Möglichkeiten sucht. Vorstandsvorsitzender Guo Guangchang kann nicht bestätigen, dass ihm Misstrauen entgegengebracht werde: "Wenn ausreichend kommuniziert wird, können wir Vertrauen zu europäischen Unternehmern aufbauen. Unsere Erfahrung zeigt, dass diese Kommunikation kein Problem ist." Starke Marken in Italien und Frankreich würden chinesische Investoren interessieren, in Deutschland seien es vor allem mittelständische Unternehmen mit einer Technologieführerschaft, sagt Guo weiter.

Solche Aussagen taugen hierzulande dazu, Angst hervorzurufen. Angst davor, dass Chinas Durst nach Wohlstand, nach Rohstoffen und nach Märkten zu einem Verteilungskampf führt, den Europa zu verlieren droht. Ist also "Chinas Aufstieg unser Abstieg", wie manchmal zu lesen ist? China-Experte Sandschneider: "Das ist eine schöne These. Und ich vertrete sie auch ganz aktiv. Ich würde sie aber anders formulieren."

Lieber spricht er vom erfolgreichen Abstieg Europas: "Der hat ein bisschen mit Wohlstandsverzicht zu tun, Platzmachen für andere." Das bedeute nicht, dass Europa zugrunde gehen würde. Das sei ein ganz normaler Prozess, den es über die Jahrhunderte immer wieder gegeben hat. "Europa kommt vom Gipfel und sollte sich vielleicht an die Bergsteigermetapher erinnern, dass nur nach dem Abstieg der Erfolg sicher ist. Vorher ist man in der Hand des Berges."

Autorin: Zhang Danhong

Redaktion: Henrik Böhme