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Umberto Eco: Der Friedhof in Prag

4. November 2011

Umberto Ecos neuer Roman führt tief ins 19. Jahrhundert und ist randvoll mit Fälschungen und Verschwörungen. Der Protagonist ist ein Widerling. Und ein Adressat der Geschichte sitzt im römischen Regierungspalast.

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Portrait Umberto Eco © Léa Crespi, 2009
Umberto EcoBild: Léa Crespi, 2009

Gut 30 Jahre ist es her, dass der damals nur Eingeweihten bekannte italienische Semiotik-Professor Umberto Eco den Roman "Der Name der Rose" veröffentlichte. Die Folgen sind bekannt: Das Buch wurde ein Weltbestseller und der Name des Autors zur Marke für postmoderne Literatur – Literatur also, die die Grenzen zwischen Fakten und Fiktion bewusst verwischt.

Seither steht Eco für diese Art des Schreibens – und auch sein neuer Roman "Der Friedhof in Prag" macht da keine Ausnahme: In einem Nachwort beteuert Eco, dass lediglich die Hauptfigur erfunden sei - alle anderen Personen hätten historische Vorlagen. Sie "haben wirklich existiert und haben gesagt und getan, was sie hier sagen und tun". Und anhand dieser Figuren führt Eco den Leser tief ins 19. Jahrhundert, weitgehend erzählt von Ecos Hauptfigur Simone Simonini, aufgewachsen in Italien, wohnhaft in Paris, aber nirgendwo wirklich zu Hause.

Er hasst alles und jeden

Wenn es in der Literaturgeschichte eine Hitparade der widerlichsten Protagonisten eines Romans gäbe – Simone Simonini hätte herausragende Chancen, einen der vordersten Plätze zu belegen. Simonini hasst alles und jeden: die Deutschen ("Die denkbar niedrigste Stufe der Menschheit."), die Franzosen ("Sie sind böse. Sie töten aus Langeweile."), die Italiener ("Der Italiener ist treulos, verlogen, feige, verräterisch."). Darüber hinaus hasst er die Frauen, die Jesuiten, Freimaurer, Kommunisten und vor allem die Juden.

Im Laufe der 520 Seiten fälscht, bespitzelt und intrigiert Simonini – und selbst vor Mord schreckt er nicht zurück. Im Leben dieses Menschen gibt es nur eine Sache, die er voller Hingabe liebt – und das ist gutes Essen. Selbst aus dem technischen Fortschritt macht er sich nicht viel: "Die einzig interessante Erfindung der neuen Zeit war eine Art Schüssel aus Porzellan, auf der man im Sitzen sein Geschäft verrichten konnte."

Ein Parforceritt durch die Historie

Buchcover Umberto Eco: Der Friedhof in Prag (Hanser Verlag)

Mit großer Detailverliebtheit schildert Eco die Spitzel- und Fälscher-Einsätze seines Protagonisten. Simonini intrigiert bei den Truppen des italienischen Nationalhelden Giuseppe Garibaldis, er spielt den Agent Provocateur, der im Auftrag der napoleonischen Regierung anarchistische Bombenanschläge in Paris inszeniert und er fälscht das Dokument, dass den jüdischen Hauptmann Alfred Dreyfuss als Spion belastet. Sein Opus Magnum aber werden die berüchtigten "Protokolle der Weisen von Zion", jenes offenkundig gefälschte Pamphlet also, das von Antisemiten aller Couleur von den Nationalsozialisten über islamistische Extremisten bis hin zu New-Age-Sektierern als Beleg für eine jüdische Weltverschwörung benutzt wurde.

Eco will zeigen, dass die Mächtigen schon immer Sündenböcke gebraucht haben. Von Simonini befragt, warum er ausgerechnet eine jüdische Verschwörung inszenieren solle sagt der russische Auftraggeber: "Ich wünsche nicht, dass mein Volk seine Unzufriedenheit gegen den Zaren kehrt. Also braucht es einen Feind. (…) Deswegen die Juden: Die göttliche Vorhersehung hat sie uns gegeben, also benutzen wir sie doch, Herrgottnochmal, und beten wir dafür, dass es immer ein paar Juden gibt, die man fürchten und hassen kann. Wir brauchen einen Feind, um dem Volk eine Hoffnung zu geben."

Vom Zaren zu Berlusconi

Für italienische Leser liegt damit der zeitgenössische Bezug auf der Hand, und Eco bemüht sich gar nicht, den Eindruck zu vermeiden, dass er auch den italienischen Regierungschef Silvio Berlusconi im Visier hat. Berlusconi rechne es sich immer noch als seinen Verdienst an, Italien vor den Kommunisten zu retten, obwohl es dort kaum noch Kommunisten gebe. Dafür gebe es "mindestens zwei Tageszeitungen in Italien, die an Berlusconi gebunden sind, die jeden Tag falsche und niederträchtige Nachrichten verbreiten", sagte Eco dem Berliner "Tagesspiegel".

Ecos Buch macht deutlich, dass unsere komplexe Welt auf eine Vielzahl von Aussagen gegründet ist, deren Wahrheitsgehalt wir nur schwer oder gar nicht einschätzen können. Und so ist seine Warnung vor der Gefahr der Worte nur zu einleuchtend. Doch in einigen Kapiteln von "Der Friedhof von Prag" geht Eco seiner eigenen Waffe auf den Leim. Dann tritt die Handlung in den Hintergrund und der Autor ergeht sich über viel zu viele Seiten in historische Abhandlungen – etwa über den italienischen Risorgimento. Bei der Lektüre dieser – historisch korrekten, aber ermüdenden - Passagen wünscht man sich Eco einen intelligenten Fälscher an den Hals, der die wahre Historie in spannende Fiktion umwandelt.


Autor: Martin Muno
Redaktion: Gabriela Schaaf


Umberto Eco, Der Friedhof in Prag, Hanser Verlag 2011, ISBN 978-3446237360, 26 Euro.

Hörbuchausgabe:
"Der Friedhof in Prag". Gelesen von Jens Wawrczeck und Gert Heidenreich. Der Hörverlag 2011. 14 CDs. 29,99 Euro.