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Die Soldaten

Gero Schließ21. August 2012

Es war die aufwendigste und am meisten mit Spannung erwartete Opernproduktion bei den diesjährigen Salzburger Festspielen: "Die Soldaten" von Bernd Alois Zimmermann.

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Szene aus "Die Soldaten" (Foto: © Ruth Walz)
Bild: Ruth Walz

Eine junge Frau geht unter. Immer tiefer und unaufhaltsam sinkt sie, bis sie schließlich in der Gosse endet und den Tod sucht. Selbst ihr eigener Vater erkennt sie nicht mehr. Wie konnte das passieren? Bernd Alois Zimmermanns Antwort ist auch die des Regisseurs Alvis Hermanis: Jedem kann das passieren, zu jeder Zeit, überall.

Bei Zimmermann - nach der Textvorlage des Sturm und Drang-Dichters und Goethe-Zeitgenossen Jakob Michael Reinhold Lenz - geht die Story so: Das Mädchen Marie, wohlbehütete Tochter im kleinbürgerlichen Haushalt des Kaufmanns Wesener, erliegt den Avancen des jungen Offiziers Desportes. Der sieht sie als nette Abwechslung, während sie an Liebe und gesellschaftlichen Aufstieg glaubt. Nachdem er selbst das Interesse an ihr verloren hat, gibt Desportes das Mädchen seinem Burschen zur Vergewaltigung frei: der grausame Höhepunkt in einer Reihe von Erniedrigungen, Entehrungen, Entbehrungen.

Die Kugelgestalt der Zeit

Hermanis nutzt den breiten Bühnenraum der Felsenreitschule für die Inszenierung der oftmals parallelen Handlungsstränge: Hier im rauen Wirtshaustrubel der Glaskubus mit der zur Schau gestellten Marie, dort die Stube ihres ehemaligen Freundes Stolzius und seiner heftig anklagenden Mutter. In den Arkadengängen im Hintergrund führen die Landsknechte ihre Pferde, was allerdings eher dekorativ wirkt und nicht unbedingt wie ein Symbol ungestümer männlicher Kraft.

Marie im Käfig im Wirtshaus (Foto: © Ruth Walz)
Die gedemütigte Marie wird zur Schau gestelltBild: Ruth Walz

Zimmermanns Theorie von der Kugelgestalt der Zeit und von der Gleichzeitigkeit verschiedener Handlungs- und Zeitschichten entwickelt in der Salzburger Premiere eine zwingende dramaturgische Kraft. Dabei erzählen Musik und Bühne bis zu sieben Handlungsschichten gleichzeitig; Vergangenheit und Zukunft treffen sich in der Bühnengegenwart. Das musikalisch auf den Punkt zu bringen ist eine extrem hohe Herausforderung, die dem Dirigenten Ingo Metzmacher und seinem Ensemble hervorragend gelungen ist.

Der Schrecken des Krieges

"Die Geschichte der 'Soldaten' lässt wenig Raum zur Hoffnung", sagte Metzmacher. "Das ist sehr deutsch." Als Bernd Alois Zimmermann das Werk 1960 vollendete, stand er noch unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges. Gewalt und Verwüstung, die Deformation des Menschen als Resultat von Ausnahme- und Extremzuständen: All das vermitteln "Die Soldaten" mit großer Sogkraft.

Alfred Muff (Wesener), und Laura Aikin (Marie) auf der Bühne (Foto: © Ruth Walz)
Vater Wesener tröstet seine Tochter MarieBild: Ruth Walz

Zimmermanns direkte Bezüge zum Krieg und seinen offensichtlichen Protest gegen jede Art von Militarismus stellt Hermanis bewusst zurück. Er vermeidet es, aktuelle Bezüge zu den Grausamkeiten des syrischen Bürgerkriegs oder anderen aktuellen Auseinandersetzungen herzustellen.

Die Geschichte, beim Textdichter Lenz vor mehr als 200 Jahren angesiedelt, verlegt er in die Zeit des I. Weltkriegs. Doch so überzeitlich, wie er sie inszeniert, könnte sie auch zu einem anderen Zeitpunkt spielen.

Den Pussy Riots gewidmet

Zimmermanns expressive Musik spreizt sich bis hin zur Schmerzgrenze, die Musiker und vor allem die Sänger müssen extreme Lagen und weite Intervallsprünge bewältigen. Der Klang ist bohrend und wirkt gequält. Mit den Wiener Philharmonikern läuft Metzmacher zu Höchstform auf. Die mehr als 100 Musiker des weltweit gerühmten Orchesters sind an vier Stellen der Felsenreitschule verteilt, der Zuschauer wird vom machtvollen Orchestersound umtost.

Die Felsenreitschule-Bühne (Foto: © Ruth Walz)
Ungewöhnliche Bühne: die FelsenreitschuleBild: Ruth Walz

Laura Aikin als Marie sowie Gabriela Beňačková als Gräfin de la Roche sind unter dem 22-köpfigen Gesangsensemble besonders hervorzuheben. Vor allem ihnen und dem Dirigenten Ingo Metzmacher, der hier wieder einmal seine Kompetenz für komplexe moderne Partituren bewiesen hat, galten die Jubelstürme des Salzburger Premierenpublikums.

Wegen der enormen Herausforderung ging die Kölner Uraufführung des epochalen Werkes übrigens erst am 15. Februar 1965, mit fünfjähriger Verzögerung, über die Bühne. Zimmermanns großer dramatischer Gestus ist heute so frisch und zeitgemäß wie vor fast 50 Jahren. Und so wirkt es alles andere als deplaziert, dass Regisseur Alvis Hermanis, der aus Lettland stammt, die Aufführung den gerade verurteilten Musikerinnen der russischen Frauenband Pussy Riots widmet. Denn auch diese Frauen sind Opfer einer männlich dominierten Machtmaschinerie geworden: wehrlos, hoffnungslos, zerbrechlich.