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16. April 2009
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Reichstag Berlin (Foto: AP)
Bild: AP
Berlin Reichstagsgebäude um 1928
Bild: picture-alliance / akg-images

Nach den Plänen des Architekten Paul Wallot wurde in der Nähe des Brandenburger Tores der Reichstag gebaut. Das am 18. Januar 1871 proklamierte Kaiserreich unter Kaiser Wilhelm II. mit Berlin als Hauptstadt brauchte ein repräsentatives Gebäude. Der Kaiser aber verschmähte das Parlamentsgebäude mit der markanten Kuppel und den vier Ecktürmen als Symbole für das ungeliebte Parlament und nannte es "Reichsaffenhaus".

Nach dem militärischen Zusammenbruch des Deutschen Reichs im 1. Weltkrieg, der Novemberrevolution und der Abdankung des Kaisers saß ab 1918 das Parlament der Weimarer Republik im Reichstag. Weltwirtschaftkrise und Massenarbeitslosigkeit ließen die rechtsextremen Kräfte unter Adolf Hitler erstarken. Im Februar 1933 brennt der Reichstag - für die Nationalsozialisten ein willkommener Anlass wichtige Grundrechte außer Kraft zu setzen.

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Bild: picture-alliance / akg-images / RIA Nowosti

Im 2. Weltkrieg steht das Reichstagsgebäude im Mittelpunkt des "Endkampfes um Berlin". Der Reichstag war für die Sowjets das Symbol für das nationalsozialistische Deutschland. Deshalb hisst ein Soldat der roten Armee am 30. April 1945 die Fahne mit Hammer und Sichel auf dem Hauptgesims der Ostfassade des Reichstagsgebäudes - als Symbol für die Niederlage des "Tausendjährigen Reiches". Die historische Szene wurde am 2. Mai 1945 für den russischen Kriegsfotografen Jewgeni Chaldej nachgestellt.

Durch das Viermächteabkommen vom 3. Juni 1972 zwischen Frankreich, Großbritannien, der UdSSR und den USA war auch die Präsenz des Bundes in Berlin genau geregelt. Der Reichstag durfte in der BRD zwar zu Fraktionssitzungen, nicht aber zu Bundestagssitzungen genutzt werden.

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Bild: picture-alliance/ dpa

Am 20. Juni 1991 entscheidet der Bundestag in Bonn über den Umzug von Parlament und Teilen der Regierung von Bonn nach Berlin. Berlin wird, wenn auch mit knapper Mehrheit (338:320 Stimmen) zum Regierungssitz bestimmt. Hauptstadt des vereinigten Deutschlands war Berlin bereits mit dem Einigungsvertrag zum 3. Oktober 1990 geworden.

Der deutschen Wiedervereinigung vorausgegangen war die Öffnung der Sowjetunion unter Parteichef Michail Gorbatschow zum Westen hin. Gorbatschow begann Mitte der 80er-Jahre mit umfassenden Reformen und verzichtete auf die Vorherrschaft über den Ostblock. Damit gab er den Weg frei für eine allmähliche Demokratisierung der Ostblockstaaten. Am Abend des 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer.

Die Präsidien des Bundestages in Bonn und der DDR-Volkskammer in Berlin vereinbarten eine enge Zusammenarbeit zwischen beiden Parlamenten. In der Nacht zum 3. Oktober 1990 feierten tausende Menschen mit Glockengeläut und Feuerwerk vor dem Reichstagsgebäude in Berlin den Beitritt der DDR zum Bundesgebiet. Am 4. Oktober 1990 kam der gemeinsame deutsche Bundestag zu seiner ersten Sitzung im Reichstag zusammen, das Viermächteabkommen vom 3. Juni 1972 gilt nicht mehr. Damit war die staatliche Einheit Deutschlands nach 45 Jahren wiederhergestellt.

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Bild: picture-alliance / dpa

Vor dem Beginn der Rück- und Umbauten des Reichstagsgebäudes gab der Bundestag im Jahr 1994 grünes Licht für das Projekt des Künstlerpaars Christo und Jeanne-Claude. Schon 1971 entstand die Idee, den Reichstag zu verhüllen. 23 Jahre arbeiteten die beiden an der Verwirklichung ihres Berliner Projektes "Wrapped Reichstag". Vom 23. Juni bis zum 6. Juli 1995 zeigt sich das Gebäude dem Betrachter in matt schimmernder "Verpackung". Dazu wurden 100.000 Quadratmeter feuerfestes, mit einer Aluminiumschicht überzogenes Polypropylengewebe und 15.600 Meter Seil verarbeitet. Millionen von Menschen folgen der Einladung von Christo und Jeanne-Claude, sich dem Reichstag als gigantischem Kunstwerk zu nähern. Die spektakuläre Verhüllungsaktion symbolisierte zugleich die besondere geschichtliche Bedeutung des Gebäudes.

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Bild: picture-alliance / dpa

Sechs Jahre nach dem Umzugsbeschluss des Parlaments sind die Arbeiten für die Hauptstadt in vollem Gange. Am Reichstagsgebäude drehen sich die Kräne, über dessen Eingang bereits das Stahlskelett der zukünftigen Glaskuppel montiert wird. Bald soll jeder Bundestagsabgeordnete ein Büro in Berlin haben. Die meisten Ministerien werden 1999 vom Rhein an die Spree ziehen. Der Umbau des Reichstags kostet den deutschen Steuerzahler mehr als 600 Millionen Euro.

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Ein stolzer und glücklicher Hausherr: Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hält am 19. April 1999 den symbolischen Schlüssel für den Reichstag in seinen Händen. Mit ihm freuen sich Bundespräsident Roman Herzog, Bundeskanzler Gerhard Schröder und Altkanzler Helmut Kohl. Ganz rechts im Bild ist der Architekt Sir Norman Foster. Er hatte den schwierigen Auftrag übernommen, ein modernes Parlamentsgebäude zu errichten, ohne dabei die historische Bausubstanz des Reichstags aufzugeben.

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Die 33. Sitzung des 14. Deutschen Bundestages am 19. April 1999 ist kein Routinetermin. An diesem Tag geht es nur um ein Thema, nämlich um die "Übernahme und feierliche Eröffnung des Plenarbereiches Reichstagsgebäude". Die Abgeordneten tagen zum ersten Mal an ihrer neuen, frisch renovierten Wirkungsstätte. Aber natürlich geht es an diesem Tag nicht primär um Architektur, sondern um Symbolik - den Umzug der Regierung in die Hauptstadt Berlin. Oder, wie es Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner Rede vor den Parlamentariern ausdrückte: "Mit der heutigen Plenarsitzung endet ein weiteres Provisorium in der Geschichte unserer Republik."

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Umzugskisten für das neue Bundeswirtschaftsministerium in der Invalidenstraße - die bisherige Außenstelle erhält Ende Mai 1999 weitere personelle Verstärkung aus Bonn. Die Mittelstands- und Industrieabteilung zieht mit etwa 120 Mitarbeitern und 2400 Metern Akten nach Berlin. 500 der zukünftig 1700 Arbeitsplätze sind dann in dem völlig sanierten alten Gebäude besetzt. Ende August 1999 kommen der Wirtschaftsminister mit der Leitung des Ministeriums und der Zentralabteilung in die Hauptstadt. Mit Arbeitsbeginn des Bundestages nach der Sommerpause 1999 ist das Wirtschaftsministerium arbeitsfähig.

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Parlamentarischer Umzug nach Berlin: Im Juli 1999 werden an den Wochentagen täglich 40 Umzugscontainer vom Rhein an die Spree gebracht. Abgeordnete und Bundestagsmitarbeiter haben rund 46.000 Umzugskisten gepackt. Die Container wurden in Köln vom Lkw auf die Schiene verladen. 19 Mal fährt ein Nachtzug die Strecke nach Berlin. In Berlin wird das Umzugsgut auf 18 Gebäude verteilt. Neben den 669 Abgeordneten verlegen auch deren 1500 Mitarbeiter und 854 Fraktionsbeschäftigte und vorerst 1123 Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung ihren Dienstsitz nach Berlin.

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Bild: picture-alliance/ dpa/dpaweb

Am westlichen Arm des Spreebogens und auf einer Achse mit den neuen Parlamentsgebäuden leuchtet das neue Bundeskanzleramt. Durch den Platz der Republik ist der von Axel Schultes und Charlotte Frank konzipierte Neubau, der 2001 nach vier Jahren Bauzeit eingeweiht wurde, vom Reichstagsgebäude getrennt. Das breite "Band des Bundes", das die beiden Spreerufer verbindet, symbolisiert städtebaulich die deutsche und die Berliner Wiedervereinigung. Zu dem Ensemble gehören auch das Paul-Löbe-Haus für die Ausschüsse des Parlaments, das Jakob-Kaiser-Haus für die Abgeordneten und das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus für die Bibliothek und den wissenschaftlichen Dienst. Die Spree, frühere Grenze zwischen Ost und West, ist in die Architektur integriert und wird immer wieder durch Brücken überwunden.

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Bild: AP

Zu jedem Berlin-Besuch gehört die Besichtigung der Reichstagskuppel. Die Konstruktion aus Glas und Stahl ist rund 23 Meter hoch und 40 Meter breit. Die zum Himmel hin offene Kuppel versorgt den Plenarsaal mit natürlichem Tageslicht und dient gleichzeitig der Belüftung. Besucher können von oben in den Plenarsaal blicken und ihrer Regierung im wahrsten Sinne des Wortes aufs Dach steigen - ob sich die Abgeordneten davon beeindrucken lassen, ist noch nicht erforscht. Wer bis Mitternacht einen unvergleichlichen Rundblick über Berlin und das Parlaments- und Regierungsviertel genießen will, geht zu Fuß zur Aussichtsplattform in 40 Meter Höhe.

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Bild: Deutscher Bundestag/ Meldepress/AMS

Das Reichstagsgebäude ist heute ein modernes Parlamentsgebäude, mit allem, was ein Arbeitsparlament benötigt. Durch die gelungene Zusammenführung von fortschrittlicher Architektur mit der noch vorhandenen Bausubstanz gab Architekt Sir Norman Foster dem Reichstagsgebäude einen Teil seiner historischen Identität zurück. Forster versteht den Reichstag als ein lebendiges Museum der deutschen Geschichte und Symbol für das wiedervereinigte Deutschland und das neue Europa. Der Reichstag ist eine der meist besuchten Sehenswürdigkeiten Berlins.

Autor: Christel Becker-Rau / Anne Clauberg

Redaktion: Kay-Alexander Scholz