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UN-Studie zu Roma: Schlechte Bedingungen besonders für Kinder

8. März 2007

UNICEF hat die Lage der Roma in Europa untersucht. Deren Lebensbedingungen in den Ländern Südosteuropas sind schwierig. Doch es gibt auch zahlreiche Bemühungen zur Integration. Eine Reportage aus Mazedonien.

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Auf dem Markt in Sutka, einem Stadtteil am Rande der mazedonischen Hauptstadt Skopje, versuchen die Händler jeden Tag, ihre Ware an den Mann zu bringen: vor allem Kleidung, aber auch Schmuck oder Nahrungsmittel. Offiziell heißt Sutka "Suto Orizari" - aber allgemein hat sich die Abkürzung Sutka durchgesetzt. Die Einwohner des Stadtteils sind Roma. Es ist eine der größten Roma-Siedlungen weltweit. Und die einzige, die über eine kommunale Selbstverwaltung verfügt. Der Markt ist für die meisten Menschen gleichzeitig auch ihre Lebensgrundlage, erzählt Redzep Redzep, der nur wenige Meter vom geschäftigen Treiben entfernt eine kleine Geldwechselstube betreibt: "In Suto-Orisari haben von rund 30.000 Einwohnern höchstens 100 einen festen Job. Und das ist noch eine optimistische Schätzung." Alle anderen überleben durch den Roma-Markt, wo sie Kleidung und andere Artikel billig verkaufen. "Die Regierung drückt dabei ein Auge zu - das heißt, sie verlangt von den Verkäufern keine Steuern. Die Botschaft ist: Hier könnt ihr euren Geschäften nachgehen, aber mehr könnt ihr von uns nicht verlangen." Redzep klingt bitter, wenn er über die Verhältnisse in seiner Heimat spricht. Er selbst gehört zu den wenigen, die es geschafft haben. Drei Jahre hat Redzep in Deutschland gelebt und als Gabelstapler-Fahrer gearbeitet. Von seinen Ersparnissen konnte er sich nach seiner Rückkehr nach Skopje eine neue Existenz aufbauen.

Not macht erfinderisch

Ganz anders erging es der Familie von Bajram Imerovski. Er kam als Asylbewerber nach Deutschland. Nach vier Jahren - Anfang der 1990er Jahre - musste er wieder gehen. Nachdem die nordrhein-westfälische Landesregierung verkündet hatte, dass Heimkehrer in Mazedonien sozial gut versorgt würden und auch eine Wohnung bereitgestellt bekämen, wurde er nach Hause geschickt. Denn einem bilateralen Vertrag zwischen Mazedonien und Nordrhein-Westfalen zufolge sollte mindestens ein Familienmitglied in Mazedonien Arbeit bekommen. "Wir sind eine Familie mit vier Personen, und mindestens einer von uns muss arbeiten, damit wir überleben können. Aber ich habe keinen Job bekommen, meine Frau genauso wenig, und so ist es bis heute geblieben. Deshalb sind wir eine Last für die Sozialkassen in Mazedonien. Wir bekommen 1.700 Denar Sozialhilfe im Monat, das sind umgerechnet 30 Euro", so Bajram Imerovski. Er versucht, das Beste aus der Situation zu machen. Und er ist erfinderisch: Er sammelt alte und kaputte Schuhe, beispielsweise aus dem Müll, repariert sie und verkauft sie weiter. So wie Bajram geht es den meisten Menschen in Sutka. Sie haben gerade genug, um sich und ihre Familien zu ernähren.

Klagen auf hohem Niveau?

Gut 2,5 Prozent der rund zwei Millionen Einwohner im Vielvölkerstaat Mazedonien sind Roma. Eine kleine Minderheit. Neben den ethnischen Mazedoniern und den Albanern gibt es außerdem Türken, Serben, Bosniaken und Vlachen. Esma Redzepova ist so etwas wie das Aushängeschild der mazedonischen Roma. Die Sängerin ist ein Star, weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Auf der ganzen Welt tritt sie auf, sieht sie sich als Botschafterin der Roma. Esma ist überzeugt davon, dass die Roma in ihrer Heimat auf hohem Niveau klagen: Vergleichsweise gehe es der Roma-Bevölkerung in Mazedonien gut. Durch ihre Reisen könne sie das gut vergleichen, meint Esma. Zudem sei sie Vertreterin im Parlament der Roma-Weltorganisation und erfahre dort auch, wie es anderswo aussehe. "Ich weiß, dass es die Roma in anderen Ländern viel schwerer haben. Die anderen Roma sagen: Ihr in Mazedonien könnt euch glücklich schätzen, weil ihr viel Demokratie habt. Und tatsächlich gibt es hierzulande Demokratie für die Roma." So ist Mazedonien beispielsweise das erste Land, das die Roma sogar in der Verfassung anerkannt hat.

Mammutaufgabe Bildung

Aber auch solche positiven Entwicklungen könnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass noch vieles im Argen liege, meint Saso Klekovski von der Nicht-Regierungsorganisation MCIC - dem Mazedonischen Zentrum für Internationale Zusammenarbeit: "Das Gute ist, dass die Roma über eine Selbstverwaltung verfügen, sie haben einen eigenen Bürgermeister, zwei Roma-Abgeordnete im Parlament, und es gibt auch zwei private Roma-Fernsehsender." Zwar gebe es in einigen Bereichen große Fortschritte, in anderen dagegen gar nicht. Zum Beispiel im Bereich Bildung: In Sutka haben 15 Prozent der Jugendlichen überhaupt keine Schulausbildung. "Beim Rest sieht es auch nicht viel besser aus. Der Prozentsatz der Roma-Kinder, die studieren können, liegt bei 0,3 Prozent. Und mit solchen Zahlen kann man den Lebensstandard innerhalb der Roma-Gemeinschaft nicht steigern", so Klekovski.

Dabei sollten diese Zahlen eigentlich nach oben gehen. Denn seit dem Abkommen von Ohrid, mit dem im Sommer 2001 die schwere innenpolitische Krise beendet wurde, haben die Minderheiten in Mazedonien mehr Rechte. Unter anderem soll sich die multi-ethnische Bevölkerungsstruktur in der öffentlichen Verwaltung widerspiegeln. Den Roma steht demnach auch eine bestimmte Anzahl von Arbeitsplätzen zu. Wie das beispielsweise beim mazedonischen Innenministerium in der neu geschaffenen Dienststelle für Katastrophenschutz in der Praxis aussehen soll, erklärt der Leiter Pande Lazarevski: "Wir haben hier insgesamt 14 Stellen für Roma. Eine davon ist bereits vergeben. Und wir achten besonders darauf, dass diese Jobs nicht alle auf der untersten Stufe angesiedelt sind, sondern auf sämtlichen Ebenen des Ministeriums. Also: von den 13 Stellen für Roma wird für sieben oder acht ein Universitäts-Abschluss notwendig sein. Und deshalb stehen wir auch in Verbindung mit Roma-Institutionen und Nichtregierungsorganisationen, die sich um eine Verbesserung des Bildungsstandards der Roma bemühen."

Diese angestrebte Verbesserung des Bildungsstandards ist eine Mammut-Aufgabe. Eine, die sich über Jahre oder sogar Jahrzehnte hinziehen wird. Für den 14jährigen Sohn von Bajram Imerovski - dem Second-Hand-Schuhverkäufer aus Sutka - werden die Maßnahmen wohl zu spät kommen. Nach acht Jahren Grundschule ist für ihn jetzt Schluss. Gezwungenermaßen. "Ich würde natürlich sehr gerne, aber wegen der existenziellen Umstände kann ich nicht weiter zur Schule gehen", so der junge Imerovski. Stattdessen soll er jetzt seinem Vater beim Reparieren der Schuhe helfen. Um sie dann auf dem Markt von Sutka wieder zu verkaufen.

Esther Broders, Goran Cutanoski
DW-RADIO/Mazedonisch, 5.3.2007, Fokus Ost-Südost