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Unabhängiges Meinungsforschungsinstitut in Belarus muss aufgeben

21. April 2005

Das Oberste Gericht in Minsk hat die Schließung eines Forschungsinstituts angeordnet. Begründung: Das Institut habe mehrfach gegen geltende Gesetze verstoßen. Beobachter sehen darin eine rein politische Entscheidung.

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Wurde bereits 2004 geschlossen: Europäische Universität in MinskBild: AP

Das "Institut für sozioökonomische und politische Forschungen" (NISEPI) war der belarussischen Regierung schon immer ein Dorn im Auge. Durch repräsentative Meinungsumfragen und Prognosen haben Experten des Instituts untersucht, wie die belarussischen Bürger die Situation in ihrem Land einschätzen und wie hoch die einzelnen Politiker im Kurs stehen. Institutsleiter Oleg Manajew bedauert: "Die Führung des Landes ist immer stärker daran interessiert, dass in die Gesellschaft keine objektiven Informationen darüber gelangen, was in Belarus tatsächlich passiert."

Öffentliche Meinung beeinflusst?

Kürzlich leitete das belarussische Justizministerium eine Klage gegen das Institut beim Obersten Gericht ein. Dem NISEPI wurden Vorstöße gegen geltende Gesetze vorgeworfen. Über den anstehenden Prozess wurde der Leiter des Instituts, Oleg Manaev, erst 10 Tage vor Beginn der Gerichtsverhandlung informiert. Er bezeichnet die meisten Beschuldigungen als absurd. Unter anderem werde ihm und seinen Mitarbeitern vorgeworfen, die öffentliche Meinung nicht nur zu erforschen, sondern auch zu beeinflussen, und zwar durch die Veröffentlichung der Umfrage-Ergebnisse in den Medien.

Mit einer negativen Entscheidung des Obersten Gerichts hat Institutsleiter Manajew gerechnet. Mehrere Monate habe der Staat auf ihn und seine Mitarbeiter massiven Druck ausgeübt. Dafür gebe es eine einfache Erklärung, so Manaev: "Unsere Umfragen ergeben ein ganz anderes Meinungsbild in der Bevölkerung, als das, was die Regierung darstellt. Und diese Abweichungen werden immer größer. Die Führung des Landes will keinen Unterschied zwischen der öffentlichen Meinung und ihrer offiziellen Auslegung zulassen."

Keine unabhängigen Informationen mehr

Das unabhängige NISEPI war in der Bevölkerung sehr beliebt. Auf die Ergebnisse seiner Umfragen beriefen sich renommierte Organisationen im In- und Ausland sowie unabhängige Journalisten. Es war die einzige Informationsquelle, der sie vertrauten, so Swetlana Kalinkina, stellvertretende Chefredakteurin der letzten unabhängigen Zeitung in Belarus "Narodnaja Wolja" ("Der Volkswille"): "Lukaschenkos Macht basiert auf Einbildungen. Die größte davon ist, dass er vom ganzen Volk unterstützt wird. Dieses Hirngespinst hat das NISEPI durch seine Umfragen immer wieder dementiert. Nach seiner letzten Umfrage unterstützen Lukaschenko weniger als 40 Prozent der Bürger. Da der Präsident keine handfesten Beweise dagegen hat, schafft er diese unerwünschte Institution einfach aus der Welt."

Es wurden bereits mehrere Versuche unternommen, die öffentliche Meinung zu kontrollieren, erinnert sich Swetlana Kalinkina, die mit dem geschlossenen Meinungsforschungsinstitut eng zusammengearbeitet hat. "Im vergangenen Jahr wurde zum Beispiel angeordnet, alle soziologischen Umfragen mit dem Staat abzustimmen. Vor jeder Umfrage mussten die Soziologen beim Ministerrat vorlegen, welche Fragen sie haben und zu welchem Zweck sie gestellt werden."

Auf dem Weg zum neo-sowjetischen Staat?

Auf diese Weise will der belarussische Präsident Lukaschenko sämtliche Bereiche des öffentlichen Lebens kontrollieren. Wer nicht mitmacht, muss mit Konsequenzen rechnen. Das betrifft auch Vertreter ausländischer Organisationen, die in Belarus tätig sind. Der ehemalige Leiter der OSZE-Berater- und Beobachtergruppe in Minsk, Hans-Georg Wieck, kennt die üblichen Schikanen des belarussischen Regimes aus eigener Erfahrung: "Dieser weitere Schritt ist nur die Fortsetzung der schon seit Jahren betriebenen Umwandlung des Landes in ein neo-sowjetisches Land. Das fing an mit der Beseitigung der staatlichen Institutionen - Parlament, Justiz und Regierung - und setzte sich fort in der Umsetzung des Monopols in den elektronischen Medien, der Marginalisierung der unabhängigen Presse, der Schließung der freien akademisch-wissenschaftlichen Einrichtungen, wie die Europäische Humanistische Universität, und nun die der Politikberatung und Meinungsforschung."

Lukaschenko fixiert auf Machterhalt

Auch die Vorsitzende der deutsch-belarussischen Parlamentariergruppe, Uta Zapf, findet die aktuelle Entwicklung in Belarus besorgniserregend. Seit Jahren setzt sich die SPD-Bundestagsabgeordnete für die Demokratisierung des autoritär regierten Landes ein. In der Schließung des letzten unabhängigen Meinungsforschungsinstituts sieht Uta Zapf jedoch ein Zeichen: "Das Ganze zeigt, dass Lukaschenko jetzt Panik hat. Er reagiert panisch auf die Versuche der Europäischen Union, andere Wege zu finden, um Demokratie und Menschenrechte in Belarus zu unterstützen. Es ist offensichtlich von ihm nicht erwünscht, eine andere Politik zu entwickeln, die offener und demokratischer ist und den Kontakt zum Westen aufnimmt. Offensichtlich ist er so auf seinen Machterhalt fixiert, dass ihm das ziemlich egal ist."

Trotz des Verbots seiner Institution will Oleg Manajew alles daran setzen, um die Arbeit in Belarus fortzusetzen. Gegenüber der Deutschen Welle betonte er: "Wir werden auch weiterhin die öffentliche Meinung in Belarus erforschen und die Bürger des Landes mit ihrer eigenen Meinung konfrontieren. Denn unsere Mission besteht darin, durch repräsentative Meinungsumfragen zur Förderung der Zivilgesellschaft, der Demokratie und der Marktwirtschaft im unabhängigen Belarus beizutragen".

Olja Melnik
DW-RADIO, 20.4.2005, Fokus Ost-Südost