1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Und tschüss!

Monika Dittrich29. Juli 2008

Sie sind jung, gut ausgebildet, abenteuerlustig und genervt von Deutschland. Immer mehr Akademiker verlassen die Bundesrepublik – und suchen ihr Glück im Ausland. Eine Rückkehr ist nicht immer einfach.

https://p.dw.com/p/Eluj
Elektronikfachmann am Arbeitstisch (Quelle: DW)
Fachkräfte vereisen - nicht viele kommen zurückBild: DW-TV

Christian Vogt ist es einfach satt, so satt. "Es steht mir bis hier", sagt er und hält sich die flache Hand unters Kinn. 37 Jahre ist er alt, von Beruf Architekt, seit sechs Jahren fest angestellt. Er hat eine gute Position in einem Architekturbüro, betreut ein großes Bauvorhaben. Und doch will er weg von hier.

"Meine Leistung wird überhaupt nicht gewürdigt", sagt er. Christian Vogt spricht von Ausbeutung, von schlechten Arbeitsbedingungen, von zu wenig Geld trotz vieler Überstunden.

In Australien heiß begehrt

Ende des Jahres will Christian Vogt nach Australien aufbrechen. Da war er zwar noch nie. Aber er weiß, dass er dort als Architekt – anders als in Deutschland – heiß begehrt ist: Die australische Regierung hat seinen Beruf auf die Liste der am dringendsten gesuchten Fachkräfte gesetzt.

So wie Christian Vogt machen es immer mehr Akademiker. Das Statistische Bundesamt zählte im vergangenen Jahr mehr als 160.000 Auswanderer – so viele wie seit 1954 nicht mehr. Die meisten von ihnen sind jung und sehr gut ausgebildet. Zugleich klagt die deutsche Wirtschaft über Fachkräftemangel.

Hoffnung auf bessere Karrierechancen

Die Gründe fürs Auswandern hat kürzlich das Bundeswirtschaftsministerium erfragen lassen: Bessere Karrierechancen und ein höheres Gehalt zählen zu den wichtigsten Motiven. Aber auch zu hohe Steuern und die Bürokratie in Deutschland spielen eine Rolle. Ein bisschen Abenteuerlust gehört vermutlich auch dazu.

Frau neben Kartons (Quelle: DW)
Für Martina Merklinger heißt es wieder auspackenBild: DW / Monika Dittrich

"Für einige Berufe sind die Möglichkeiten im Ausland tatsächlich sehr gut", weiß Auswanderungsberater Manuel Wagner vom katholischen Raphaels-Werk. "Ärzte zum Beispiel werden derzeit fast überall gesucht." Das Raphaels-Werk gehört zur Caritas und arbeitet im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz. Mehr als 20 Beratungsstellen in ganz Deutschland kümmern sich um Auswanderer, aber auch um Migranten, die in ihre Heimat zurück möchten und um ausgewanderte Deutsche, die eine Rückkehr planen.

"In Deutschland nicht alle Türen verschließen"

Auch Christian Vogt hat das Raphaels-Werk aufgesucht und sich in der Kölner Beratungsstelle von Manuel Wagner informiert. 25 Euro kostet die Beratung. "Mir ging es vor allem um praktische Tipps, von den Einreisebestimmungen bis hin zur Anerkennung meines Diploms", sagt Vogt. Doch Manuel Wagner fragt auch nach den Hoffnungen, die mit dem Auswandern verbunden sind.

"Oftmals sehe ich, dass Menschen Probleme haben und glauben, im Ausland würde automatisch alles besser werden. In solchen Fällen rate ich vom Auswandern ab", sagt Manuel Wagner. Egal wie gut die Voraussetzungen für einen Neustart im Ausland sind - Manuel Wagner empfiehlt immer, auch eine Rückkehr nach Deutschland nicht auszuschließen. "Man sollte in der Heimat nicht alle Türen versperren", so Wagner. "In einem fremden Land kann vieles schief gehen."

Rückkehr mit Hindernissen

Selbst wenn nicht, ist eine Rückkehr nicht immer ganz einfach. Diese Erfahrung hat Martina Merklinger gemacht. Fast vier Jahre lang hat sie als Kunsthistorikern an einem Forschungsinstitut in Sao Paulo in Brasilien gearbeitet. Jetzt sitzt sie in ihrer neuen Wohnung in Stuttgart und packt Umzugskisten aus.

"Ich hätte mir gut vorstellen können, noch sehr viel länger in Brasilien zu bleiben." Sie war mit einem Forschungsstipendium nach Brasilien gegangen, daraus hatte sich ein Arbeitsangebot ergeben. Martina Merklinger war erfolgreich, hatte eine verantwortungsvolle Position mit gutem Gehalt, sie mochte die brasilianische Lebensart und das warme Klima.

Neustart in Deutschland

"Ich bin aus Liebe zu meinem Freund und künftigen Ehemann nach Deutschland zurückgekehrt", sagt die 39jährige. Sie genieße es, die Beziehung nun endlich nicht mehr über den Ozean führen zu müssen, und irgendwie sei es auch schön, wieder in Deutschland zu sein.

Doch der berufliche Neuanfang ist schwierig. "Ich habe nicht den Eindruck, dass ich mit meiner Ausbildung, den Sprachkenntnissen und der Auslandserfahrung in Deutschland besonders willkommen bin." Mehr als dreißig Bewerbungen hat sie schon geschrieben, bislang erfolglos. Enttäuscht ist sie von der Bundesagentur für Arbeit, die sich nicht um sie gekümmert habe. "Es sollte eine zentrale Stelle für Rückkehrer geben, wo man sich informieren kann und vielleicht auch eine finanzielle Starthilfe bekommt."

Heimweh nach Deutschland?

Martina Merklinger lebt jetzt von ihren Ersparnissen, auch ihr Freund unterstützt sie. Einen Anspruch auf Sozialleistungen hat sie nicht, da sie in den vergangenen Jahren in Deutschland keine Sozialversichungsbeiträge geleistet hat. Ihre Zeit im Ausland will sie trotzdem nicht missen: "Ich kann nur jedem empfehlen, diese Erfahrung zu machen. Und wenn die Leute zurückkommen, dann haben sie etwas gelernt, das sie hier in Deutschland einsetzen können." Allerdings müsse es mehr Anreize geben, damit die Auswanderer zurückkehrten: "Sonst sind sie für immer und ewig verloren."

Ob Christian Vogt für immer in Australien bleiben will, weiß er noch nicht. "Ich will mich auf dem australischen Arbeitsmarkt erst mal versuchen", sagt er. Vom Auswanderungsberater des Raphaels-Werks hat er dafür eine positive Prognose erhalten. Dass es derzeit eine regelrechte Akademiker-Flucht aus Deutschland gibt, findet Christian Vogt gar nicht schlecht: "Dann müssen wir eben mehr ausländische Fachkräfte in Deutschland integrieren." Und vielleicht kämen viele Auswanderer ja sowieso zurück – weil sie Heimweh nach Deutschland hätten.