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Glaube

Unentschieden – Unfromme Gedanken zu Pfingsten

2. Juni 2017

La-Ola-Schwingung, Aufbruch, Begeisterung, die bestehende Grenzen durchbricht! Oder Angst vor Veränderung, Verurteilung, Ausschluss? Hildegard König von der katholischen Kirche über Pfingsten und den Heiligen Geist.

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Begeisterte Fußballfans: Welcher Geist hat die Begeisterung entfacht?Bild: Ingo Bartussek/fotolia.de

Der Wind trug mir ein leises Rauschen zu, das sich vom Klangbild der Stadt abhob: „Was ist das?“, fragte ich mich. Ich war zu Fuß unterwegs, dem Wind und Rauschen entgegen. Es zog mich an, dieses Rauschen, machte mich hellhörig, denn Schritt für Schritt gewann es mehr Struktur, Rhythmus und Tönung.

 

Und plötzlich war alles klar: Viele Leute am Singen, dann Aufjubeln, Wechselgesänge, La-Ola-Schwingung. Irgendwas war los im Stadion, welches noch nicht zu sehen, aber jetzt deutlich zu hören war. Ein paar Minuten später und im Vorbeigehen sah ich Fußballfans in die Arena strömen, Gruppen standen Bier trinkend vor den Eingängen. „Die sind doch alle jetzt schon besoffen“, vernahm ich den misslaunigen Kommentar von irgendwoher in meiner Nähe. „Sind am Vorglühen“, bemerkte jemand dazu.

 

Mich faszinierte die Begeisterung, die im Rund um den Platz vielstimmig zum Kochen kam in Erwartung des Spiels und eines Sieges des heimischen Teams. Noch war nicht angepfiffen und dieses Vorspiel wirkte wie eine kollektive Beschwörung des Schicksals…

 

Begeisterung, die bestehende Grenzen durchbricht

 

„Eigentlich wie Pfingsten damals“, ging es mir beim Weitergehen durch den Kopf. Auch damals war das Geschehen anfangs nicht eindeutig auszumachen und die Sache, um die es ging, mehr als unentschieden. Doch Begeisterung war spürbar und zog viele in ihren Bann: Begeisterung, die die bestehenden Grenzen durchbrach, die Sprachgrenzen, die Grenzen des Herkommens und des sozialen Status, damals wie heute.

 

Begeisterung – fragt sich, welcher Geist die Begeisterung entfacht. Für die frühesten Christen, die ihre Begeisterung zur Sprache und zu Papier brachten, war es „Heiliger Geist“ (Apg 2; Joh 20,22), ein Geist, der sie belebte und antrieb, der Neues kreierte und Gemeinschaft ermöglichte. Beste Bedingungen für ein erfolgreiches Spiel, denke ich in Richtung Stadion. Ob aber ein heiliger oder unheiliger Geist im Spiel ist, entscheiden die Beteiligten, die auf dem Spielfeld und die auf den Rängen.

 

Auch damals in Jerusalem vor fast 2.000 Jahren war es wohl so: Welcher Geist sollte sich durchsetzen? Mit der Erfahrung, dass das Spiel auf Leben und Tod gegen alle Erwartung für das Leben entschieden worden war, mit einem österlich inspirierten Aufleben der Verlierer verband sich die Herausforderung zur Entscheidung: „Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben. Wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert“. Das ist im Evangelium des Pfingsttages zu hören (Joh 20,23): Es geht um zwei Geisteshaltungen.

 

Aufbruch oder Angst vor Veränderung?

 

Damals erzeugte Heiliger Geist Furchtlosigkeit, Versöhnungsbereitschaft und Vergebung. Das war der Aufbruch aus Depression und Rückzug, der Anfang einer Erfolgsgeschichte. Aber das Gegenteil war und ist immer auch im Spiel: Angst vor Veränderung und Unversöhnlichkeit, Verurteilung und Ausschluss. Wie die Sache ausgeht, wer letztlich gewinnt oder verliert, hängt davon ab, welcher Geist sich durchsetzen kann, sei es im Sport, in der Kirche und auch sonst im Leben. Und diese Entscheidung liegt bei uns, bei jeder und jedem Einzelnen, die liegt bei mir selbst.

 

Später am Abend erfuhr ich, dass es ein spannendes Fußballspiel gewesen war. Das heimische Team hatte aber trotz aller Begeisterung verloren. Die Fans blieben in guter Stimmung und friedlich, wusste die Polizei zu berichten. Ich habe an diesem Abend die Stadt ganz lebendig erlebt, mit Musik und vielen Menschen, die miteinander redeten, fröhlich waren und sich zuprosteten. Trotz der Niederlage waren sie am Feiern. Für mich lag in diesem Moment ein Hauch von heiligem Geist in der Luft.

 

Bildunterzeile/Fotorechte
Begeisterte Fußballfans: Welcher Geist hat die Begeisterung entfacht?   Foto: Ingo Bartussek/fotolia.de

 

Hildegard König Wort zum Sonntag Chemnitz NEU
Bild: Hildegard König

Professorin Dr. Hildegard König hat in Tübingen katholische Theologie und Germanistik studiert. Ein Schwerpunkt ihrer Forschung liegt im Bereich „Alte Kirchengeschichte und Patristik“. Nach einem Studienaufenthalt in Rom lehrte sie an den Universitäten Luzern, Frankfurt, Tübingen und an der RWTH Aachen. Nach einer Gastprofessur an der LMU München arbeitet sie seit 2011 als Professorin für Kirchengeschichte an der Technischen Universität Dresden. Darüber hinaus ist sie als freie Dozentin tätig.