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Deutschlands unbekannte Wahlkämpfer

Silke Wünsch
21. September 2017

Regen oder Sonne, Großstadt oder Dorf: In ganz Deutschland stehen Menschen hinter Infoständen, klingeln an Türen und machen durch Aktionen auf sich und ihre Partei aufmerksam. Egal, wie die Chancen stehen. Wer sind sie?

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SPD-Wahlkämpfer Christoph Strom vom Team Christoph Matschie in Jena (Foto: DW/R. Oberhammer)
Bild: DW/R. Oberhammer

Von Freiburg bis Stralsund, von Köln bis Görlitz: Auf dem Autotacho stehen fast 5000 Kilometer. Ich bin mit DW-Fotografin Ronka Oberhammer in die entlegensten Winkel Deutschlands gereist, wo wir sie aufgespürt haben: Politiker vor Ort, die gemeinsam mit ihren Wahlhelfern um Stimmen kämpfen - für ihre Partei und ihr eigenes Bundestagsmandat. 

FDP - Freie Demokratische Partei

In der Endspurt-Phase lässt man sich schon mal was einfallen: In Freiburg laufen vier Jungliberale im Weihnachtsmannkostümen durch die Stadt und verteilen FDP-Flyer. "Heute schon an morgen denken", ist ihre Devise. Mit dem zeitlich unpassenden Kostüm wollen sie zeigen, dass man früh genug an seine Zukunft denken soll - und meinen damit vor allem die schnelle Digitalisierung. Ein Thema, das für die Freien Demokraten zukunftsweisend ist. Das Publikum auf dem Wochenmarkt am Freiburger Münster ist eher skeptisch. Es sind überwiegend ältere Leute, die für die lustige Idee kein Verständnis haben. Studenten sucht man in der Studentenstadt momentan vergeblich - noch sind Semesterferien. "Auch wenn welche hier sind - um diese Zeit ist eh' noch keiner wach", scherzt Kandidat Adrian Hurrle. 

Wahlkämpfer Adrian Hurrle (FDP) mit seinen vier Wahlhelfern als Weihnachtsmänner verkleidet in Freiburg (Foto: DW/S. Wünsch)
Ein bisschen zu früh ist es schon - FDP-Wahlkämpfer in WeihnachtsstimmungBild: DW/S. Wünsch

SPD - Sozialdemokratische Partei Deutschlands

Im thüringischen Jena steht SPD-Kandidat Christoph Matschie mit seinem Team vor einem Einkaufszentrum. Er kommt mit den Leuten ins Gespräch, die jungen Wahlhelfer verteilen Flyer und Kugelschreiber. Sie haben offensichtlich großen Spaß an der Sache. Der 18-jährige Christoph ist der Jüngste im Team. Mit Kritik, die den jungen Sozialdemokraten auch entgegen schlägt, kann er umgehen: "Man muss akzeptieren, dass die Leute verschiedene Haltungen haben."

Jena ist eine pulsierende Studentenstadt, hier ist überall was los, die Stadt ist lebendig - auch vormittags an einem Wochentag. Ganz anders in den ländlichen Regionen. Viele Ortschaften auf dem Weg nach Norden, in den Harz, sehen verloren aus. So manche Wahlplakate wirken wie bunte Fremdkörper vor den tristen Hausfassaden. Auf den Straßen ist selten jemand zu sehen. In der Ortschaft Osterode sind wir mit Wahlhelfern von Bündnis90/Die Grünen verabredet. Osterode hat knapp 25.000 Einwohner, im Zentrum gibt es eine Einkaufsstraße - kaum ein Mensch verirrt sich unter der Woche zum Shoppen hierher.

Wahlkämpfer von B90/Die Grünen spielen Boules in Osterode (Foto: DW/R. Oberhammer  )
Mit Boules-Kugeln auf Stimmenfang: die Grünen im HarzBild: DW/R. Oberhammer

Bündnis 90/Die Grünen

Wir laufen hinunter zum Fluss - dort haben die Grünen eine kleine Veranstaltung vorbereitet: Sie "boulen um Wählerstimmen" - ein Boule-Turnier, in dem es wohl eher um ein bisschen französische Lebensart geht als um Wahlkampf. Denn die Grünen-Wahlkämpfer sind hier unter sich. Selbst der aufgespannte Schirm, die Gummibärchen und grünen Quietsche-Enten locken keinen herbei. Symptomatisch für die Region Harz. Die Kandidatin Viola von Cramon will für ihren Wahlkreis kämpfen: "Die Bevölkerung schrumpft, alle ziehen weg - die Folge: Kindergärten schließen, Spielplätze werden aufgegeben; das macht sich auch in Schulen und bei der ärztlichen Versorgung bemerkbar. Der Harz muss unbedingt in Berlin vertreten sein." Von Cramon möchte, dass die Region wieder interessanter für Unternehmen wird. Zurzeit sei die Gegend nicht besonders attraktiv zum Wohnen - daher fehlen Fachkräfte. Momentan könne hier man nur mit dem punkten, was da ist: Tolle Natur und günstiger Wohnraum, und das mitten in Deutschland. Aber das reicht eben nicht.

AfD - Alternative für Deutschland

Es geht nach Osten. Ziel: Görlitz. Im Radio werden gerade die Ergebnisse der Umfrage "ARD-Deutschlandtrend" bekannt gegeben. Die AfD liegt demnach momentan an dritter Stelle der zur Wahl stehenden Parteien zum Bundestag. Viele Menschen in Deutschland sind darüber besorgt - sie wollen nicht, dass solch eine rechtspopulistische Partei in den Bundestag einzieht. In Görlitz - und nicht nur dort - sieht man das anders.

AfD-Wahlkämpferin Ramona Poniatowski in Görlitz (Foto: DW/R. Oberhammer)
Kann den "etablierten" Parteien nichts abgewinnen: AfD-Wahlhelferin Ramona PoniatowskiBild: DW/R. Oberhammer

Wir sind an der polnischen Grenze, in der östlichsten Stadt Deutschlands. Es regnet. Die Wahlkämpfer der AfD haben sich trotzdem mit ihrem Stand auf einem Platz neben dem Wochenmarkt aufgestellt. Gleich versammeln sich zahlreiche Interessierte dort. Man gibt sich freundlich, mitteilsam und macht Witze. Ja, die Bevölkerung von Görlitz sei in den letzten Jahren zurückgegangen. Aber nun sei die Zahl wieder angestiegen. Warum, frage ich - die Antwort kommt mit vielsagendem Grinsen: "Na, wegen denen, die von woanders hierherkommen." Doch dieser Bevölkerungszuwachs passt vielen Leuten hier nicht.

Wahlhelferin Ramona Poniatowski hatte sich früher nie wirklich für Politik interessiert. "Bis es dann mit dieser Asylkrise losging. Wir haben eine Bürgerbewegung gegründet, um zu sagen, dass mit dieser Politik was nicht stimmt. Und weil es ja mehr als nur Demos gibt, bin ich in die AfD gegangen. Es ist die einzige Partei, die das vertritt, was ich auch unterstützen möchte." Ihr Wahlspruch ist der, mit dem die AfD in ganz Deutschland polarisiert: "Holt euch Deutschland zurück." Die AfD liegt in diesem Wahlkreis bei über 20 Prozent. 

CDU/CSU - Christlich Demokratische Union/Christlich-Soziale Union

Oberfranken - Wahlplakate im kleinen Dorf Ludwigschorgast in Nordbayern (Foto: DW/S. Wünsch)
Im 1000-Seelen-Dorf Ludwigschorgast scheint es ein Plakat pro Bewohner zu gebenBild: DW/S. Wünsch

Nach Süden. Ziel: der 1000-Seelen-Ort Ludwigschorgast in Oberfranken, in der Nähe von Kulmbach. Auf dem Weg dorthin geht es durchs Erzgebirge, durch die Dörfer des Vogtlandes. Hier, ganz in der Nähe der tschechischen Grenze, scheinen die winzigen Ortschaften so unbedeutend zu sein, dass sich hier kein Wahlkämpfer hin verirrt: Kein Wahlplakat weit und breit, alle Laternenmasten sind leer.

Ganz anders in Ludwigschorgast. Das Dorf ist überdurchschnittlich plakatiert - fast von jedem Laternenpfahl guckt uns ein Politikergesicht an. Vor allem das von einer CSU-Kandidatin, die das junge und frische Gesicht der bayerischen Volkspartei verkörpert. Die erst 30-jährige Emmi Zeulner wird von ihren Fans geliebt: "Unsere Emmi" wirkt freundlich, zart und fast zu lieb für diese Welt. Doch gerade erst hat sie mit ihrer Beharrlichkeit eine Ortsumgehung in der Nachbarschaft bewirkt. Man sollte sich nicht von Emmi Zeulners Erscheinung blenden lassen - sie könne knallhart sein, sagt eine ihrer Mitarbeiterinnen.

Beim Wahlkampf-Abend der bayrischen CSU im Vereinsheim des örtlichen Fußballclubs hat Emmi Zeulner einen Freund dabei: Der streitbare CDU-Politiker Wolfgang Bosbach von der Schwesterpartei ist nach Ludwigschorgast gekommen und steht der CSU-Politikerin wortgewaltig zur Seite.

Die Linke

Es geht nach Köln. Eine Großstadt mit mehr als einer Million Einwohner, die westlichste Station auf der Reise. Der Stadtteil Chorweiler hat einen Migrationsanteil von etwa 75 Prozent. Man hört viele Fremdsprachen - Türkisch, Arabisch, Russisch, Italienisch. Auf dem Wochenmarkt verkaufen Gemüsehändler ihre Ware zu sehr günstigen Preisen. Das müssen sie tun - denn hier können die Menschen nicht viel Geld ausgeben.

Um die Ecke veranstaltet Die Linke eine "Rote Party" - mit Luftballons, Livemusik, Grill- und Getränkestand, Fußballkicker. Die Wahlkreiskandidatin Güldane Tokyürek unterhält sich mit Passanten. Als gebürtige Türkin wirkt sie glaubhaft. Aber erreichen kann sie nicht viele Menschen - die meisten hier Anwesenden haben keinen deutschen Pass und dürfen nicht wählen. Trotzdem kommen sie und nehmen dankbar Kugelschreiber, Luftballons und Windräder mit. Die Wahlhelfer nehmen es gelassen. "Die haben doch kein Geld, um sich Kugelschreiber zu kaufen", sagt die 60-jährige Sigrun Heicapell, die den Kugelschreibern tapfer kleine Flyer dazulegt.

Wahlhelferin Christa Labouvie, Die Linke, in Stralsund (Foto: DW/R. Oberhammer)
Die gebürtige Düsseldorferin Christa Labouvie von den Linken hat "Meck-Pomm" lieben gelerntBild: DW/R. Oberhammer

Im nördöstlichen Stralsund (Mecklenburg-Vorpommern) hat Die Linke bessere Karten. Auf dem Wochenmarkt vor der pittoresken Altstadtkulisse stehen sie direkt neben CDU und SPD. Es ist der Wahlkreis von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Aber die Linke als ehemalige Ostpartei hat hier Heimvorteil, die meisten Leute bleiben heute an ihrem Stand stehen und unterhalten sich mit den Wahlhelfern. Eine davon ist Christa Labouvie, eine ehemalige Grüne, die sich der Linken zugewandt hat - die Grünen waren ihr nicht mehr "links" genug. Die Westdeutsche aus Düsseldorf findet die ostdeutsche Geschichte, die hinter den Menschen steht, "unglaublich spannend" - und fühlt sich hier pudelwohl.

Prominenter Wahlkämpfer

Im hohen Norden stoßen wir schließlich auf einen der beiden bekanntesten Wahlkämpfer: SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz ist nach Lübeck gekommen. Der Herausforderer von CDU-Kanzlerkandidatin Angela Merkel stellt sich in der TV-Sendung "Wahlarena" den Fragen des Publikums. Wir Journalisten haben eine Minute Zeit, um ein Foto von ihm zu machen. Schulz bleibt unnahbar, auch wenn er freundlich in Kameras schaut, mit den Zuschauern redet und auch mal einen Daumen hoch halt. Er ist eben ein prominenter Wahlkämpfer, von Sicherheitskräften abgeschirmt und rhetorisch geschult. Sicher hat auch er schwer zu arbeiten in diesem Wahlkampf. Doch nach unserer Reise sind Ronka und ich davon überzeugt, dass den härtesten Job die unbekannten Wahlkämpfer auf der Straße machen, in ganz Deutschland, von Ost nach West, von Nord nach Süd.