1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

UNESCO und Europa: Krisenstimmung?

Aya Bach24. Mai 2013

Europa hat mehr UNESCO-Weltkulturerbe-Stätten als der gesamte “Rest der Welt“: Der eher kleine Kontinent ist der Kulturorganisation eng verbunden. Sollte man meinen. Doch wie groß ist die Liebe wirklich?

https://p.dw.com/p/18dMU
Die Fahnen der Unesco-Mitgliedsländer, dahinter das Logo (Archivfoto: picture-alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Der Kölner Dom hat es, die Stadt Venedig oder auch der Pilgerweg nach Santiago de Compostela: das begehrte Gütesiegel "Weltkulturerbe". 378 solcher Stätten sind allein in Europa zu finden. Der gesamte Rest der Welt zusammen kommt auf 367. Schon länger versucht man in der UNESCO, diese eurozentristische Schieflage zu überwinden. Doch bisher hat Europa die Nase vorn – ausgerechnet beim Thema Kulturerbe, das weltweit so populär ist wie keine andere Aktivität der UNESCO. Aber lässt sich daraus ablesen, dass der Kontinent die UNESCO dominiert oder sich gar besonders für die Kulturorganisation der Vereinten Nationen engagiert?

Tatsächlich war Europa dort über Jahrzehnte tonangebend: Bereits 1943, mitten im Zweiten Weltkrieg, tagten in London die Erziehungsminister von acht alliierten europäischen Ländern, um das Projekt einer internationalen Bildungs- und Kulturinstitution auf den Weg zu bringen. Ihre Sichtweise prägte auch die Gründung der UNESCO 1945. Ganz oben auf der Agenda: durch Dialog weltweit Frieden schaffen.


Menschenrechte und Demokratie

Weltkulturerbe seit 1996: Kölner Dom
Weltkulturerbe seit 1996: Der Kölner Dom

Erstaunlich schnell, schon 1951, wurde die junge Bundesrepublik aufgenommen. Die UNESCO war eine der ersten internationalen Organisationen, die ihr nach den Verbrechen der NS-Zeit den Weg zurück in die Völkergemeinschaft ermöglichte: Sie beendete damit die kulturelle und politische Isolation, die unter Hitler entstanden war. Grund genug für Deutschland, sich besonders in der UNESCO zu engagieren. Nach den verheerenden Erfahrungen von Krieg, Völkermord und Diktatur lag der Wertekanon der UNESCO auf der Hand: Humanismus, Menschenrechte und Demokratie standen im Zentrum. Werte, die einst in Europa erstritten wurden – und die sich im 21. Jahrhundert keineswegs erledigt haben. Doch wie steht es heute um das Engagement der europäischen Staaten in der UN-Kulturorganisation?


"Mehr einbringen als Europäer!"

Eine eher triste Bilanz zog gerade die Hauptversammlung der Deutschen UNESCO-Kommission (DUK) in Bonn: Die Vorreiterrolle, die Deutschland und Europa über Jahrzehnte hatten, ist dahin, moniert etwa Hans d'Orville, Beigeordneter UNESCO-Generaldirektor für Strategische Planung: "Wir könnten sehr viel stärker dabei sein", so d'Orville, "indem wir mit anderen kooperieren und zeigen, was wir einbringen können als Europäer." Einzubringen, so die Diagnose in Bonn, wäre vor allem das, was das Denken in Europa einmal ausmachte: Aufklärung, Reflexion, Kritikfähigkeit. Allzu oft wurden sie auf dem Altar ökonomischer Erfolge geopfert.

UNESCO Charity Gala (Foto: Andreas Rentz/Getty Images)
Kampf gegen Armut, Hass und Terrorismus: Die Werte der UNESCO prangen über den Teilnehmern einer Charity Gala 2012 in DüsseldorfBild: Andreas Rentz/Getty Images

Denn das Wachstum moderner Gesellschaften beruht auf ökologischen und sozialen Verwerfungen, die man bewusst in Kauf und in Anspruch nimmt. "Es gibt kaum Kräfte im globalen Maßstab, die dem etwas entgegensetzen", kritisiert Uwe Schneidewind, Präsident des Wuppertal-Instituts, das seine Forschung in den Dienst der Nachhaltigkeit stellt: "Genau hier kommen Bildung, Wissenschaft und Kultur ins Spiel, denn sie sind die Reflexionsebene, in der Alternativen vorgedacht und angedacht werden können."


Humanismus als Auslaufmodell?

Doch derzeit hat der Humanismus, wie er der UNESCO einmal vorschwebte, schlechte Karten. Das gilt auch für die Wissenschaftspolitik, ein zentrales, aber in der Öffentlichkeit kaum bekanntes Arbeitsgebiet der UNESCO. Statt einseitig auf technologische Forschung zu setzen, müsste man Sozial- und Kulturwissenschaften stärken, fordert Schneidewind. Ein Beispiel: das Modell der Mikrokredite in Entwicklungsländern, die Menschen in die Lage versetzen, ihre Existenz zu sichern. "Solche Wissensbestände entstehen nicht im High-Tech-Labor, sondern werden von Wissenschaftlern vor Ort generiert, die sich in den jeweiligen kulturellen Kontext einfühlen können."

Rückendeckung erhält er von Augustine Omare-Okurut, als Generalsekretär der Ugandischen UNESCO-Kommission zu Gast in Bonn. Die Bildung in seinem Land, kritisiert er, sei kommerzialisiert und vom Wirtschaftsliberalismus getrieben: "Überall schießen Unis aus dem Boden, die Zahl der Kurse hat sich verdoppelt, die Substanz hat sich aber nicht verbessert." Das Endergebnis: "intellektuelle Zombies", die von den Unis kommen, aber keinerlei kritisches Denken gelernt haben. "Da müsste die UNESCO ansetzen. Wir brauchen Philosophie-Programme, die sich damit befassen, wie soziale Umbrüche zu bewältigen sind".


Europäische Werte: "Europa müsste schon konsequent sein!"

Das Hauptquartier der Unesco in Paris (Archivfoto: picture-alliance/dpa)
Tradition Europa: Das UNESCO-Hauptquartier in ParisBild: picture-alliance/dpa

Mehr europäische Präsenz wünscht sich auch Brasiliens UNESCO-Botschafterin Maria Laura da Rocha: "Europa redet immer von seiner Krise, da ist viel Pessimismus. Wir sehen das nicht so! Jetzt ist der Moment, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen." Zu viel Nabelschau also auf dem Kontinent? Auch der Präsident der Deutschen UNESCO-Kommission, Walter Hirche, nimmt Europa in die Pflicht: "Man muss vermeiden, dass die Innensicht überhand gewinnt. Wir müssen stärker gemeinsam nach außen schauen und Dialog und Offenheit zum Prinzip machen." Ehrlichkeit müsste wohl auch dazu gehören. Gerade wenn es um Werte geht, auf die Europa so stolz ist. "Unsere Erfahrung in Afrika sagt: Beim Thema Demokratie sollte Europa führend sein! Aber wir sehen, dass Europa aus ökonomischen und politischen Gründen lieber nicht so genau hinschaut, wenn es um sehr undemokratische Regierungen in Afrika geht. Dasselbe gilt für die Menschenrechte", moniert Augustine Omare-Okurut. "Ich frage mich: Ist das ein Wert, den ich von Europa übernehmen soll? Wegschauen, wenn nicht alles so gut läuft? Das möchte ich nicht haben. Europa müsste schon konsequent sein! Wenn Demokratie gut für Europa ist, dann sollte sie es auch für Afrika sein."