1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Ungarische Politiker werden durchleuchtet

19. Juli 2002

- Folge der Affäre um Ministerpräsident Medgyessy

https://p.dw.com/p/2UlI

Budapest, 18.7.2002, PESTER LLOYD, deutsch

Als eine Folge der Affäre um Ministerpräsident Péter Medgyessy, der bekannt gab, einst in der Spionageabwehr der Staatssicherheit gearbeitet zu haben, beschloss das Parlament, die Vergangenheit aller Politiker nach der Wende zu untersuchen.

Für das Aufstellen eines Sonderauschusses stimmten sowohl die Regierungs- als auch die Oppositionsparteien. Der Ausschuss soll alle Regierungschefs, Minister und politischen Staatssekretäre seit der Wende untersuchen und seine Tätigkeit bis zum 20.9.2002 abschließen. Gleichzeitig wurde auf Anregung der Opposition ein anderer Sonderausschuss mit der Aufgabe aufgestellt, die Vergangenheit Medgyessys vollständig aufzuklären: ob es weitere Dokumente zu seiner Tätigkeit gebe bzw. ob er auch zur Inneren Sicherheit Kontakte gehabt hatte. Die Opposition protestierte gegen den Mehrheitsbeschluss der Regierungskoalition, und zwar dagegen, dass dieser eingesetzte Ausschuss seine Arbeit schon am 15.8. abschließen soll. (Das Hohe Haus geht nach der Sitzung am 16. d.M. in die Sommerpause).

Gleichzeitig reichte die regierende Koalition der Sozialisten und der Liberalen Gesetzesentwürfe über weitere Schritte zur Aufklärung der Vergangenheit ein. Dementsprechend soll eine Kommission die früheren Verbindungen von Personen des öffentlichen Lebens zur einstigen Staatssicherheit aufklären und festhalten. In die Kommission sollen der Parlamentsvorsitzende, die parlamentarischen Fraktionen, der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofes, der Generalstaatsanwalt, der Justiz - und der Kulturminister je ein Mitglied delegieren. Die Körperschaft soll die Vergangenheit der Staatspräsidenten, der Parlamentsabgeordneten, Mitglieder der Regierungen, der Höchstgerichte, der Leiter der Generalstaatsanwaltschaft, der Vorsitzenden der Nationalbank, aber auch die der Bürgermeister aller größeren Städte, der Vorsitzenden der Kommunalversammlungen, auch deren Stellvertreter, weiters die der Journalisten in leitenden Positionen untersuchen. Diese Ausweitung auf Lokalpolitiker bedeutet im Vergleich zum schon gültigen Gesetz eine bedeutende Ausdehnung, ebenso die Absicht, auch die führenden Persönlichkeiten der Kirchen mit einzubeziehen.

Sollte festgestellt werden, dass davon Betroffene zwischen Dezember 1944 und Februar 1990 bei der Staatssicherheit tätig gewesen waren, für diese Berichte schrieben und dafür entlohnt wurden, werden ihre Namen öffentlich gemacht werden. Nach einem seit 1994 geltenden Gesetz wird ein breiter Kreis von Personen des öffentlichen Lebens schon durchleuchtet.

Aber auch dieses frühere Gesetz kennt außer der Öffentlichkeit keine Sanktionierung. Sollte der Betroffene, nachdem er über seine Belastetheit (sic) in Kenntnis gesetzt wurde, seinen Posten nicht aufgeben, kann er dazu auch nicht gezwungen werden.

Die Opposition, die ein wesentlich strengeres Gesetz möchte, kritisiert den Entwurf u.a. eben aus diesem Grund. Nach ihrer Ansicht sollten die Betroffenen aus dem öffentlichem Leben entfernt werden. Sie bemängeln auch, dass die Polizisten, die 1956-57 halfen, den Aufstand niederzuschlagen, nicht mehr unter das neue Gesetz fallen, ebenso wenig die früheren Parteifunktionäre, die die Berichte der Staatssicherheit empfangen hatten. Nach der Opposition sei die aus politischen Kandidaten bestehende Kommission ein Rückschritt im Vergleich zur gegenwärtigen Situation, wo die Untersuchung Aufgabe von Richtern ist. Ein anderer Gesetzesvorschlag sieht die Aufstellung eines Geschichtsarchivs der Staatssicherheitsdienste vor. All die Akten dieser Organe, die im genannten Zeitraum entstanden sind, sollen in dieses neue Archiv kommen und frei zugänglich gemacht werden. Ausgenommen sind Akten über Personen, die auch nach der Wende für die Nationale Sicherheit tätig waren, bzw. die durch die Veröffentlichung im Ausland verfolgt oder benachteiligt werden könnten. (...)

Der Standpunkt der Opposition ist der, dass das seit Jahren bestehende Amt für Geschichte, das die Akten der Staatssicherheit übernommen hatte, ohnehin schon den nötigen Rahmen für diese Tätigkeiten biete.

Nachdem die Gesetzesvorschläge jedoch erst im September ins Plenum kommen, wird mit deren Annahme nicht vor Oktober zu rechnen sein.(fp)