1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Ungarische Roma-Politik auf dem Prüfstand

25. Mai 2004

- Budapest muss mehr als Worthülsen liefern

https://p.dw.com/p/56Sc

Budapest, 25.5.2004, PESTER LLOYD, deutsch, Áron G. Papp

Wenn wieder einmal Wahlen anstehen, entdecken Budapester Politiker die an den Rand der Gesellschaft gedrängten Roma für ihre medienwirksamen Kampagnen, um sie anschließend möglichst schnell wieder zu vergessen. Roma-Vertreter sehen im Vorfeld der bevorstehenden Wahlen zum Europa-Parlament im EU-Beitritt Ungarns die erste und zugleich letzte wirkliche Chance für ihre Volksgruppe.

Die ungarische Roma-Politik der vergangenen 15 Jahre ist eine Geschichte der leeren Deklarationen, beklagen Vertreter der fast eine Millionen Menschen umfassenden Volksgruppe in Ungarn. Der Begriff der gesellschaftlichen Integration hat sich nach der politischen Wende abgenutzt, und in den vergangenen Jahren hat sich diesbezüglich kaum etwas getan. "Es sind keine wichtigen Schritte unternommen worden. Die dringenden Feuerwehrübungen in Sachen Roma-Politik werden meist von zivilen Organisation erledigt", stellt Roma-Politiker Aladár Horváth fest. Der Beitritt Ungarns zur Europäischen Union sei wahrscheinlich die einzige und zugleich letzte Möglichkeit, die Roma Ungarns aus ihrer Randlage in der Gesellschaft loszulösen, betonte Horváth gegenüber der Tageszeitung Magyar Hírlap. Die meisten Ungarn sind in ihrer Wahrnehmung dieses virulenten Problems wenig aufgeschlossen.

Ein dumpfer Rassismus in Form des Antiziganismus ist in Ungarn allgegenwärtig und geht praktisch durch alle Alters-, Gesellschafts- und Bildungsschichten. Bezeichnenderweise gibt es in Ungarn kaum ein Feld des Alltagslebens, in dem Roma eine echte Chance auf Aufstieg oder gar Prosperität durch gesellschaftliche Integration erhalten. Der Sperrbalken geht quer durch das Alltagsleben. So beherrschte etwa unlängst in Zusammenhang mit einer TV-Talentshow für Nachwuchssänger die ernsthaft geführte Diskussion die ungarischen Medien, ob die Roma mit zwei von vier Teilnehmern im Halbfinale nicht überrepräsentiert seien. Dass dann im Finale die zweifellos ebenso begabte wie attraktive Roma-Sängerin unterlag, wurde in der breiteren Öffentlichkeit mit Genugtuung, wenn nicht sogar mit Erleichterung wahrgenommen. Eine Roma-Sängerin als Siegerin in einem Song-Contest ist in der Musikhochburg Ungarn noch immer undenkbar. Entsprechend verbittert waren folgerichtig die Statements der unterlegenen Roma.

Geradezu grotesk mutet es an, dass sich Ex-Regierungschef Gyula Horn anlässlich der Kampagne zur Europawahl dahingehend zur Roma-Problematik äußerte, die wichtigste Aufgabe der linksliberalen Regierung in Budapest sei neben dem Krisenmanagement die Einleitung des gesellschaftlichen Aufstiegs der Roma. Offenbar war ihm dieser Umstand in seiner vierjährigen Zeit als Premier nicht ausreichend bewusst. Die Wahl-Broschüre der Roma-Sektion der Sozialisten zur Europawahl steht bezeichnenderweise unter dem Motto: "Wir glauben an uns und vertrauen auf die Zukunft – Aufgabe und Chancen der Roma in der Europäischen Union." Mit der EU-Erweiterung wurden mindestens zwei Millionen Roma – ihre Zahl kennt niemand genau – Bürger der europäischen Gemeinschaft. Doch auch in Brüssel herrscht weitgehend Ratlosigkeit, wie die tickende soziale Zeitbombe der größten Minderheit in Europa wirksam entschärft werden kann.

Zwar wird bei den verantwortlichen Stellen in Budapest meist betont, Roma-Unruhen wie unlängst in der benachbarten Slowakei seien in Ungarn nicht möglich. Der gesellschaftliche Status und die wirtschaftliche Lage dieser Minderheit sei in Ungarn unvergleichlich besser. Kenner der Roma-Problematik sind sich da nicht so sicher. Die Zustände in den Roma-Slums in der Innenstadt von Budapest geben ein ebenso tristes Bild wie die jämmerlichen Behausungen, in denen viele Roma-Familien auf dem flachen Land leben müssen. Die Arbeitslosigkeit unter den Roma ist auch in Ungarn exorbitant hoch. Amtlichen Angaben messen unabhängige Experten in diesem Zusammenhang nicht mehr als kosmetische Bedeutung bei.

Die Bereitschaft breiterer Gesellschaftsschichten, sich ernsthaft mit diesem für Ungarn auch aus demografischer Sicht drückenden Problem auseinander zu setzen, ist allen Öffentlichkeits- und Medienkampagnen zum Trotz traditionell eher gering. Anderslautende offizielle Statements gelten fast reihum in der politischen Landschaft Ungarns als Lippenbekenntnisse. Hinzu kommt erschwerend, dass mittlerweile auch die Roma wie die gesamte ungarische Gesellschaft politisch in zwei unversöhnliche Lager gespalten sind – diese Entwicklung ist aus Sicht der Roma fast die einzige und zugleich verhängnisvolle politische Errungenschaft der jungen ungarischen Demokratie.

Der auf Regierungsstufe für Romafragen zuständige Staatssekretär, selbst ein Roma, erhielt kürzlich einen ernst zu nehmenden Drohbrief mit lebensbedrohlichen Schmähungen, weil er sich verstärkt für die Integration der Roma-Kinder bereits auf Vorschulstufe einsetzt. Viele Roma-Kinder lernen nämlich erst im Kindergarten Ungarisch – der Fehlstart in die Gesellschaft ist damit meist schon vorprogrammiert. Doch auch auf den ersten Blick neutrale Stellen wissen nicht wirklich, wie sie sich Roma gegenüber korrekt zu verhalten haben. So wurde beispielsweise einem bekannten Roma-Popstar nach einem zweistündigen Verhör mit Konsularbeamten von der Budapester US-Botschaft das Visum zur Einreise verweigert – natürlich ohne nähere Angaben von Gründen. Der Roma-Star will nun wegen diskriminierender Vorgehensweise gerichtlich gegen die USA vorgehen. (fp)