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Ungarn möchte möglichst wenige Asylbewerber ins Land lassen

25. Juni 2004

- Gespräch mit Ferenc Köszeg, dem Vorsitzenden des Ungarischen Helsinki-Komitees

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Budapest, 25.6.2004, PESTER LLOYD, deutsch

Die demokratische Opposition in Ungarn, der auch Ferenc Köszeg angehörte, hält seit den 80er Jahren Kontakt zu Helsinki-Gruppen, deren Aufgabe die Überwachung der Einhaltung von Menschenrechten ist. Köszeg engagierte sich vor der politischen Wende für die Samisdat-Zeitschrift "Beszélö" (Der Sprecher). 1990 wurde er Parlamentsabgeordneter des SZDSZ und übernahm 1998 den Vorsitz des Ungarischen Helsinki-Komitees, zu dessen Gründern er seinerzeit gehörte.

Frage: Welche Probleme sehen Sie in der Asylpolitik Ungarns?

Antwort: Flüchtlinge und Migration sind zur Zeit unter den wichtigsten Feldern unserer Tätigkeit. Bei der Ausarbeitung eines neuen Asylgesetzes haben wir Veränderungen vorgeschlagen. Im wesentlichen ging es bei dem großen Gesetzespaket darum, das ungarische Recht an das europäische anzupassen. Bei der Asylfrage gibt es viele Missverständnisse. Es herrscht eine unbegründete Angst. Vor allem denken Bevölkerung und Politiker, dass sich überwiegend Wirtschaftsflüchtlinge um Asyl bewerben. Die Zahlen der Asylbewerber zeigen hingegen, dass besonders in Krisenzeiten, wie zur Zeit des Kosovokrieges oder des Irakkrieges, viele Asylanträge gestellt werden. Der überwiegende Teil der Antragsteller kommt auch aus den Krisenregionen. Nach unserer Beobachtung lässt die Grenzpolizei die Asylantragstellenden nicht ins Land, obwohl sie aus dem Irak oder Afghanistan kommen. Sie erkennen einfach nicht an, dass sie wegen politischer Verfolgung den Antrag stellen. Zum Beispiel wurden im letzten Jahr 141 Drittlandsbürger in die Ukraine abgeschoben. Darunter befanden sich 30 Iraker und viele Kurden aus der Türkei – also höchstwahrscheinlich politisch Verfolgte. Im ungarischen Gesetz heißt es aber, dass, wenn ein politisch Verfolgter in Ungarn Schutz sucht, der Antrag an die Flüchtlingsbehörde weitergeleitet werden muss. Diese entscheidet dann, ob jemand ein Flüchtling ist oder nicht. Die Grenzpolizei erspart sich diesen Schritt. Allgemeine Vorurteile gegenüber Asylsuchenden sind allerdings ein gesamteuropäisches Problem.

Frage: Welche Motivation hat die Grenzpolizei, die Asylanten abzuschieben?

Antwort: Es ist ein allgemeiner politischer Wille, dass nur wenig schutzsuchende Ausländer ins Land gelangen sollten. Dahinter steht eine Art Fremdenhass. Man hat Angst, dass Ausländer, besonders wenn sie aus weit entfernten Ländern wie dem Irak oder Afghanistan kommen, eine Gefahr bedeuten könnten. Eine andere Sache ist, dass dies eine allgemeine Tendenz in der EU ist: Überall versucht man, den Asylsuchenden entgegenzutreten, ihre Zahl zu begrenzen. Ich habe von besonders schlimmen Zuständen in einem ukrainischen Flüchtlingslager bei der ehemaligen ungarischen Stadt Munkács/Mukacevo gehört. Was schließlich mit den Personen passiert, die abgeschoben werden, wissen wir nicht. (...)

Frage: Gibt es in Ungarn mehr Kriminalität als in Westeuropa?

Antwort: Nach dem ungarischen Gesetz gibt es drei Arten von Strafen: Geldbuße, Freiheitsentzug und gemeinnützige Arbeit. Letztere Möglichkeit wird fast gar nicht genutzt. Die Gefängnisse sind unter anderem deshalb so überfüllt, weil es moderne Methoden wie die gemeinnützige Arbeit nicht gibt. Außerdem kommen die Menschen schon wegen Straftaten ins Gefängnis, die eigentlich nur eine Geldbuße nach sich ziehen würden. Da die Täter aber so arm sind, dass sie die Strafe nicht bezahlen können, gehen sie ins Gefängnis.

Frage: Man hört, dass besonders viele Roma in den Gefängnissen sind. Woher kommt das?

Antwort: An der hohen Kriminalitätsrate unter den Roma erkennt man auch ihre Armut. Die kriminellen Roma begehen im Vergleich zu anderen Kriminellen überwiegend kleinere Delikte. (...)

Frage: Gibt es eine Diskriminierung von Seiten der Polizei?

Antwort: Wir haben 1.100 Gerichtsakten von Leuten, die wegen Diebstahls oder Raubes verurteilt wurden, untersucht. Die Hälfte der Straftäter war Roma, die anderen waren Nicht-Roma. Während 23 Prozent der Nicht-Roma auf frischer Tat ertappt wurden, lag der Anteil der Roma hier bei nur 13 Prozent. Auf der anderen Seite: 29 Prozent der Roma wurde verhaftet, weil eine Polizeistreife sie aufgehalten und den Ausweis verlangt hatte. Bei der Identifizierung darf die Polizei sogar Passanten durchsuchen. Dies geschieht aber häufiger bei Zigeunern, Arabern oder Afrikanern. Von den Nicht-Roma-Straftätern waren es nur 17 Prozent, die so zufälligerweise durch eine Identifizierung verhaftet wurden. Für die Verurteilung eines Zigeuners braucht man vielleicht weniger Beweise. Eine Frau, die zum Opfer eines Raubüberfalles wurde, sagte gegenüber der Polizei, "es war ein Zigeuner mit feurigen, schwarzen Augen". Die Polizei suchte deshalb in der Umgebung nach Zigeunern, die wegen Raubes schon früher verurteilt worden waren. Sie fanden vier, aber drei von ihnen wohnten nicht mehr in der Stadt. Der vierte wurde also vorgeführt. Er sei es gewesen, behauptete die Frau, obwohl bei der Hausdurchsuchung keiner der geraubten Gegenstände oder der von der Frau beschriebenen Kleidungstücke gefunden werden konnte. Die Zeugen, alle Zigeuner, sagten aus, zur Zeit der Tat gemeinsam mit den Angeklagten einen Geburtstag gefeiert zu haben. Diese Zeugenaussagen wurden als unglaubwürdig zurückgewiesen, der Angeklagte zu vier Jahren Freiheitsentzug verurteilt.

Frage: Wie läuft die Zusammenarbeit mit den Behörden?

Antwort: Wir haben sowohl mit den Gefängnissen als auch der Polizei und den Grenzpolizisten Abkommen geschlossen. Wir dürfen alle Institutionen besuchen. Die Berichte, die wir schreiben, werden den jeweiligen Behörden vorgestellt und sie können dann einen Gegenstandpunkt verfassen. Die Dokumente werden anschließend zusammen veröffentlicht. Unsere Anregungen werden allerdings oft mit dem Hinweis auf das geringe Budget abgewiesen. (...) (fp)