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Ungarn strebt nach Osten

Keno Verseck2. Februar 2015

Die Beziehungen zwischen Ungarn und der EU sind frostig. Nun reist Angela Merkel zum ersten Mal nach Budapest zu Viktor Orbán. Es wird kein normaler Besuch, denn den Regierungschef zieht es nach Russland.

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Ungarischer Ministerpräsident Viktor Orbán mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (Foto: picture alliance/AP Photo/MTI/T. Illyes)
Bild: picture-alliance/AP Photo/MTI/T. Illyes

Ungarn ist seit Jahren das politische Sorgenkind der Europäischen Union. Regierungschef Viktor Orbán, im Frühjahr 2010 mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit an die Macht gekommen, hat das Land umgestaltet - im Widerspruch zu vielen europäischen Grundwerten. Seitdem sind die Beziehungen zwischen Ungarn und der Union stetig schlechter geworden. Auch die Verhältnisse zu Deutschland, Ungarns wichtigstem wirtschaftlichen und lange Zeit auch politischen Partner, haben Schaden genommen.

Dessen ungeachtet reist Bundeskanzlerin Angela Merkel an diesem Montag zu einem Kurzbesuch nach Budapest - zum ersten Mal überhaupt seit Orbáns Machtantritt. Es ist eine überraschende Visite - immerhin hatte sich Merkel im vergangenen Jahr noch geweigert, zu den 25-Jahr-Feiern zum Fall des Eisernen Vorhanges nach Ungarn zu reisen. Obwohl aus Budapest intensiv um eine Teilnahme der Kanzlerin geworben wurde. Die Politik Orbans provoziert eben Widerspruch: Am Vorabend des Besuchs von Kanzlerin Merkel demonstrierten in Budapest nach einem Bericht der Nachrichtenagentur AFP etwa 4000 Menschen gegen den Kurs der Regierung.

Merkel nimmt sich nur fünf Stunden

Während ihres lediglich fünfstündigen Aufenthaltes trifft Merkel nun den ungarischen Regierungschef im Rahmen eines Arbeitsessens, außerdem Staatspräsident János Áder, Vertreter der Jüdischen Gemeinde sowie Studenten. Merkel und Orbán wollten "bilaterale und europapolitische Themen, aktuelle Entwicklungen in Ungarn sowie die Lage in der Ukraine erörtern", heißt es in der knappen Mitteilung des Bundespresseamtes.

Der ungarische Regierungssprecher Zoltán Kovács ist nicht viel auskunftsfreudiger: "Deutschland ist Ungarns wichtigster strategischer Partner", so Kovács. "Die derzeitige Änderung der geopolitischen Lage, die Lage in der Ukraine, aber auch die Energiepolitik und die engen deutsch-ungarischen Wirtschaftsbeziehungen sind Faktoren, die aus sich selbst heraus für den Besuch der Bundeskanzlerin in Budapest sprechen."

Reizthema Russlandsanktionen

Tatsächlich jedoch dürfte Merkels Besuch in Budapest vor allem mit dem Krieg in der Ukraine und den Sanktionen gegen Russland zusammenhängen, glauben Beobachter. Als EU-Mitglied hat Ungarn den Sanktionen nur zähneknirschend zugestimmt. Sie schadeten den wirtschaftlichen Interessen Ungarns wie auch denen der Europäischen Union, und bewirkten politisch nichts, beschwerte sich Orbán mehrmals. "Merkels Besuch in Budapest ist daher eine Art Test", sagt der ehemalige Diplomat und Außenpolitik-Experte Attila Ara-Kovács. "Die Bundeskanzlerin will sondieren, wie weit Orbán geht und ob sie ihn im Zaum halten kann."

Schließlich steht nicht nur die Sanktionsfrage im Raum, sondern Ungarns generelle "Politik der Öffnung nach Osten". Um die wirtschaftliche Abhängigkeit von der EU zu verringern, strebt Orbán seit längerem intensivere Beziehungen zu Russland, China sowie Aserbaidschan, Turkmenistan und Kasachstan an.

Orbáns Deals mit Putin

Russland spielt dabei eine Schlüsselrolle: Mit Putin vereinbarte Orbán vor einem Jahr einen Zehn-Milliarden-Euro-Kredit zur Erweiterung des Atomkraftwerks in Paks südlich von Budapest. Vergangenen Sommer lobte er Russland als Erfolgsmodell und kündigte zugleich an, in Ungarn werde fortan ein "illiberaler Staat" errichtet, dessen Hauptwerte Nation, Gemeinschaft und Arbeit seien. Und vor kurzem plädierte Orbán dafür, dass sich Nicht-Regierungsorganisationen, die in Ungarn tätig sind und Geld aus dem Ausland erhalten, speziell registrieren lassen müssen - ähnlich wie in Russland.

Blick in den Leitstand des ungarischen Atomkraftwerks in Paks (Foto: dpa)
Mit russischem Geld wird das Atomkraftwerk in Paks erweitertBild: picture-alliance/dpa

So mutet es zumindest wie ein außenpolitisches Pokerspiel an, wenn nur zwei Wochen nach der Bundeskanzlerin, am 17. Februar, der russische Staatspräsident Wladimir Putin nach Budapest kommt. Vordergründig soll es vor allem um die ungarische Energiepolitik gehen. Denn noch sind längst nicht alle Details der geheimen Vereinbarung zur Pakser Atomkraftwerkserweiterung geklärt. Außerdem, so Regierungssprecher Zoltán Kovács, laufe in diesem Jahr der Vertrag über russische Gaslieferungen nach Ungarn aus. Und Russland sei beim Thema Energie der Schlüsselpartner. Im Übrigen bedeute Putins Besuch nicht, dass Ungarn seine europäischen und euroatlantischen Verpflichtungen in Frage stelle.

Genau das jedoch wolle Putin erreichen, glaubt der ungarische Soziologe Pál Tamás, seit langem einer der besten Kenner des ungarisch-russischen Verhältnisses: "Der russischen Staatsphilosophie zufolge ist Orbán wie der biblische Jonas, der vom EU-Walfisch verschluckt wurde und nun aus dessen Magen heraus Zeichen gibt", sagt Tamás. "Weil im Walfisch noch zahlreiche andere Kleine sind, könnten Orbáns Zeichen auch sie ermutigen. Das würde Putin gefallen."