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Ungarn: Vielfache Diskriminierung und Versäumnisse über Jahre

17. Mai 2002

- Ernüchternder Bericht des Minderheitenbeauftragten des Parlaments

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Budapest, 17.5.2002, PESTER LOYYD, deutsch

Der jüngste Bericht des Europarates bezeichnet die Rassendiskriminierung als ein weiterhin schwerwiegendes Problem des Kontinents. Das betrifft, wie aus dem Jahresbericht des Parlamentsbeauftragten für Minderheitenrechte hervorgeht, offenbar auch Ungarn, wo man mit der Annahme entsprechender Gesetze nicht weitergekommen ist. Prof. Jenö Kaltenbach hält es für äußerst bedenklich, dass sowohl die parlamentarische Vertretung der Minderheiten als auch die Probleme um die Wahl der Minderheitenselbstverwaltung weiterhin ungelöst bleiben.

Kaltenbach erfüllt sein zweites, sechsjähriges Mandat. Der Juraprofessor ungarndeutscher Abstammung bezeichnet es in seinem Bericht an das Parlament über das Jahr 2001 als sehr bedauerlich, dass die parlamentarische Vertretung der 13 ethnischen Minderheiten über ein Jahrzehnt nach der Wende noch immer ungelöst ist. Es gehe nicht nur darum, dass die Minderheiten keine Repräsentanten in der Volksvertretung haben; die gegenwärtige Situation sei auch eine kontinuierliche Verletzung der Verfassung, und damit auch der Interessen der Gesellschaft. Die Möglichkeit, Angehörige ethnischer Minderheiten auf Parteilisten ins Parlament zu wählen, seien zwar gegeben, doch im Sinne der Verfassung könne damit die parlamentarische Repräsentanz der Minoritäten auf der Grundlage eines eigenen Wahlrechts nicht gelöst werden, unterstreicht der Bericht.

Minderheitenwahlrecht bedarf dringender Reform

Der Ombudsmann musste auch in diesem Jahr auf die Frage der unnormalen Verhältnisse bei den Wahlen der Minderheitenselbstverwaltung zurückkommen. Das Problem entsteht aus widersprüchlichen Formulierungen der Verfassung: Dort wird zunächst das Recht der Minderheiten festgehalten, ihre Vertretung selbst zu gestalten – gleichzeitig jedoch einem jeden Bürger des Landes das Recht eingeräumt, aktiv und passiv an den Wahlen der ethnischen Selbstverwaltung teilzunehmen.

Das führte dann zu der absurden Situation nach den Wahlen von 1998, als nach zahlreichen Klagen klar wurde, dass viele der gewählten Vertreter gar nicht den entsprechenden Minderheiten angehörten. (Ein Paradebeispiel war die Landesselbstverwaltung der Rumänen, von der die Angehörigen der Minderheiten bis dato keine Kenntnis hatten und deren Mitglieder auch der Sprache nicht mächtig waren.)

Prof. Kaltenbach wies mit Nachdruck darauf hin, dass ohne eine Revision des Gesetzes sich diese Erscheinungen auch bei den Herbstwahlen wiederholen und wiederum "Sympathisanten" in die Körperschaften kommen können, die nichts mit der Minderheit zu tun haben. Es bestehe die ernste Gefahr noch schwerwiegenderer Anomalien, die das ganze System diskreditieren können. (Bedenklich ist auch, dass nach den Wahlen 1998 die Ungardeutschen mit Genugtuung vermerkten, dass wesentlich mehr Bürger für ihre Liste stimmten, als es Angehörige der deutschen Minderheit gibt; dies wurde – vermutlich zu Recht – als ein Zeichen des Vertrauens empfunden. – Anm. d. Red.)

Das Bericht stellt auch fest, dass die Finanzierung der Selbstverwaltung ebenfalls eine von Anfang an ungelöste Frage sei. Die staatlichen Subventionen reichten nicht oder nur in minimalem Umfang für ihre Tätigkeit. Darüber hinaus erhalten alle Selbstverwaltungen die gleichen Beträge, doch auf Grund der ungleichen Stärke der einzelnen Minderheiten und der unterschiedlichen Aufgaben kommt es zu Unebenheiten.

Roma-Kinder schwer diskriminiert

Auf der Grundlage von Expertisen und eingegangenen Beschwerden stellt der Ombudsmann fest, dass die Nachteile und die Diskriminierung der Roma-Kinder im Bildungswesen nicht geringer wurden. In immer größerem Maße werden diese Kinder unter verschiedenen Vorwänden gesonderten Gruppen oder Klassenzügen zugestellt, in denen ein niedrigeres Niveau der Erziehung und des Unterrichts vorherrscht. Eine der Ursachen für diese Situation besteht auch in der demographischen Entwicklung: Sowohl in den kleinen Dörfern als auch in heruntergekommenen Bezirken der Städte wächst der Anteil der Roma-Bevölkerung, während die anderen Bevölkerungsschichten abwandern bzw. es möglichst vermeiden, ihre Kinder in auch von Roma besuchte Schulen zu schicken. Aus dieser Ablehnung und der wachsenden Segregation entstehe die Notwendigkeit der Erziehung der Gesellschaft für ein multikulturelles Modell, für die Akzeptanz anderer Lebensweisen und Ansichten.

Schon früher hatte eine Untersuchung über die Einstellung der Studenten an den Lehrerbildungsanstalten zu dieser Frage landesweit Aufsehen erregt. Es stellte sich heraus, dass 14 Prozent der Hörer starke Vorurteile gegenüber den Roma haben, und ein gewisser Teil von ihnen ist als ausgesprochen rassistisch zu betrachten. Nur 7,4 Prozent könnten als völlig vorurteilsfrei bezeichnet werden bzw. als solche, die den "Zwang des Zusammenlebens" zwar zu Kenntnis nehmen, doch die Roma nicht als gleichrangige Mitglieder der Gesellschaft ansehen.

Für die Bestrafung rassistischer Hetze

Der Bericht kommt auch auf die langgehegte Forderung zurück, die Aufwiegelung zum Hass gegen die ungarische Nation, eine ethnische Minderheit oder religiöse Gruppe unter Strafe zu stellen. Prof. Kaltenbach hatte schon in seinem Bericht über das Jahr 2000 die Notwendigkeit eines entsprechenden Gesetzes angesprochen und auch einen detaillierten Entwurf vorgelegt. Laut diesem – nunmehr wiederholten – Vorschlag soll derjenige, der zum Hass aufruft, mit Freiheitsentzug bis zu drei Jahren, und falls er zu Straftaten aufordern sollte, bis zu fünf Jahren bestraft werden können. Sollten Personen des öffentlichen Lebens diese Straftaten begehen, könnten Freiheitsstrafen von bis zu acht Jahren verhängt werden.

Eine entsprechende gesetzliche Regelung forderte auch der Bund jüdischer Glaubensgemeinschaften mit der Begrünung, dass die Juden neben den Roma am häufigsten mit "Hassreden" angegriffen werden.

Die Glaubensgemeinschaft erinnerte an entsprechende Gesetze in Deutschland und in Österreich, wo auch das Leugnen des Holocaust als Straftat geahndet wird. Die Orban-Regierung vertrat in den vergangenen vier Jahren den Standpunkt, dass das Strafgesetzbuch ausreichende Möglichkeiten biete, die erwähnten Straftaten zu ahnden. (fp)