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Ungarns Fernsehlandschaft

29. August 2002

- Staatssender MTV im Zuschauer-Niemandsland

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Budapest, 28.8.2002, BUDAPESTER ZEITUNG, deutsch, Andreas Gulya

Das Fernsehen kommt in Ungarn nicht zur Ruhe. Bei den öffentlich-rechtlichen Anbietern drücken nicht nur die politischen Probleme, sondern auch die wirtschaftliche Lage aufs Gemüt. Bei den Privaten, die sich immer sehr bedeckt halten, gibt es lediglich wirtschaftliche Sorgen. Als Wurzel allen Übels gilt nach Ansicht vieler das 1996 verabschiedete Mediengesetz. Es ist aber umstritten, ob die Kritik berechtigt ist.

Fakt ist, dass 1996 Ungarn auch Frequenzen an private Anbieter offerierte. Man wollte ein duales System schaffen, neben der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalt MTV sollten die Ungarn auch in den Genuss privater Anbieter kommen. Der Teufel steckte aber im Detail - MTV wurde nicht auf den Ansturm der Privaten vorbereitet. Ein Sender kann sich aus öffentlichen Mitteln oder Werbeeinnahmen und Sponsoring finanzieren. Bei MTV hob man einen Zwitter aus der Taufe, der Sender sollte Werbung betreiben und auch nach anderen Möglichkeiten der Einnahmen Ausschau halten.

Allerdings begrenzte man die Werbezeit auf sechs Minuten die Stunde, zudem dürfen Filme und andere Sendungen nicht durch Werbeblöcke unterbrochen werden. Ein weiteres Manko ist, dass MTV eher bescheidene Zuschauerquoten in der Altersgruppe der 18- bis 49-Jährigen aufweist, die für die Werbekunden allerdings am interessantesten ist. Trotz der umstrittenen Methodik zur Ermittlung der Zuschauerzahlen kann man davon ausgehen, dass MTV mit den beiden Kanälen m1 und m2 im letzen Jahr bei etwas über zwölf Prozent aller Zuschauer lag. Für einen öffentlich-rechtlichen Sender recht wenig. Im Marksegment der 18- bis 49-Jährigen liegt die Zuschauerquote deutlich unter neun Prozent.

Demnach besitzen die anderen Marktanbieter 91 Prozent des Marktes, der über die Werbeeinnahmen entscheidet. Die zwei wichtigsten Privatanbieter, TV2 und RTL, schlagen die öffentlich-rechtlichen Sender haushoch.

Wenn man tiefer in die Analyse einsteigen will, könnte man noch hinzuziehen, mit welchem Budget die Sender ihre Ergebnisse erreichen. MTV muss seine Zahlen offen legen, die Privaten halten sich da eher zurück. Bei MTV kann im Durchschnitt von einem Budget von mehr als 30 Milliarden Forint ausgegangen werden. Auf dem Medienmarkt herrscht die einhellige Auffassung, dass MTV damit mit Abstand den größten Umsatz hätte. Und mit diesem Finanzaufkommen belegt der Sender den letzten Platz, was Zuschauerzahlen und Werbeeinnahmen angeht.

Dass in Ungarn eine öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt nicht unbedingt so desaströs agieren muss, beweist Duna TV. Der Kanal hat die spezielle Aufgabe, in erster Linie Sendungen für Ungarn zu produzieren, die außerhalb der eigenen Landesgrenzen leben. Er kann mit seinem Budget gut wirtschaften und zieht das intelligenteste Publikum an. 51 Prozent seiner Zuschauer haben die mittlere Reife, Abitur oder einen Hochschulabschluss. Bei den Privaten liegen diese Zahlen unter 30 Prozent.

Es ist schwierig, Ungarn mit dem westlichen Ausland zu vergleichen, was die Zuschauerquoten angeht. Ungarische Kritiker werfen häufig ein, dass in der EU die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten deutlich höhere Mittel zur Verfügung haben. Dies mag richtig sein, aber man sollte nicht die absoluten Zahlen vergleichen. Eine objektive, regierungsunabhängige Rundfunkanstalt ist auf jeden Fall wünschenswert. In westeuropäischen Ländern erfreuen sich die Öffentlich-Rechtlichen eines Marktanteils von 30 Prozent - drei Mal soviel Zuschauer wie die öffentlich-rechtlichen TV-Programme in Ungarn haben.

Seit 1996 haben sich in Ungarn zwei große private Anbieter, TV2 und RTL, etabliert. TV2 wird der amerikanischen TV-Einflusssphäre zugeordnet, RTL der deutschen. Die größte Pleite bisher war der Sender TV3, der seinen Betrieb komplett einstellte. Bei TV2 hört man auch viele Gerüchte, an denen etwas wahr sein muss, denn im Sommer tauschte man die komplette Führung des Senders aus. Im Moment sieht es so aus, dass der beständigste Anbieter RTL ist. Bei den Zuschauern hat der Kanal mit etwas über 70 Prozent den größten Anteil bei den Hauptschulabsolventen - diese halten dem Sender die Treue. Im Vergleich zu den anderen Sendern steht RTL im Bereich Fiktion an zweiter, bei nicht-musikalischen Unterhaltungssendungen an erster Stelle. Im Sportbereich hat RTL erheblich aufgeholt, zumal man die Formel-Eins-Übertragung von MTV loseisen konnte.

Obwohl der Kanal ein Privatanbieter ist, werden die Ausstrahlungen, im Gegensatz zum deutschen RTL, nicht durch Werbeblöcke unterbrochen.

Kritiker verlangen, die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalt des Landes, MTV, finanziell und programmtechnisch auf eine neue Grundlage zu stellen. Sie sollte wieder zum Flagschiff der Fernsehlandschaft werden und dadurch diesen Markt aufwerten. Die ungarischen Zuschauer werden nach wie vor zwischen den großen Privaten TV2 und RTL und den Nischenplayern ATV, Satelit und Budapest TV wählen dürfen. Im Moment stagniert der Werbemarkt, ein wesentlicher Aufschwung ist nicht in Sicht. Daher wird der Kampf um die Zuschauer und um Werbeeinnahmen an Schärfe zunehmen. Ob die Quote dann auch bessere Programme bewirkt, sei dahingestellt. MTV könnte in diese Bresche springen. (ykk)