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Ungewollt im Dopingsumpf - Der Jugendradsport

Lutz Kulling10. Januar 2009

Von Armstrong bis Zabel: Die Liste prominenter Radprofis, die des Dopings überführt oder damit in Verbindung gebracht werden, wächst stetig. Doch auch junge Radsportler hierzulande bekommen die Folgen heftig zu spüren.

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Junge Radsportler des Hannoverschen Radclub (HRC) fahren auf einer Landstraße in Hannover. Quelle: dpa
Junge Radsportler beim TrainingBild: picture-alliance/ dpa
Erik Zabel, Radfahrer des Team Milram, gesteht den Journalisten bei einer Pressekonferenz in Bonn 24. Mai 2007, in seiner aktiven Zeit beim Team Telekom EPO-Doping betrieben zu haben. Quelle: ap
Erik Zabel bei seinem DopinggeständnisBild: AP

"Ich bin absolut unter Schock und werde ein paar Tage für mich brauchen", gab etwa Deutschlands einziger Tour-Sieger Jan Ullrich zu Protokoll. "Dann werde ich mit meinem Anwalt versuchen, meine Unschuld zu beweisen." Ganz anders Sprint-Ikone Erik Zabel, der unter Tränen ein früheres Doping-Vergehen zugab: "Jetzt ist einfach der Zeitpunkt da, um die Wahrheit zu sagen!" Doch ob nun EPO, Wachstumshormone oder andere Laborbefunde, ob geständig oder nicht -wie zuletzt auch Stefan Schumacher-, eine Doping-Lawine mit immer neuen Enthüllungen hat den Profi-Radsport förmlich überrollt. Das hat Konsequenzen, auch für Thomas Schneider vom Verein Kölner Straßenfahrer. Der 16jährige war bereits deutscher Schülermeister und wechselte unlängst auf ein Sport-Internat in Kaiserslautern: "Als ich auf meiner alten Schule vom Meistertitel erzählte, hieß es eher: Ja, was hast Du denn genommen?" Auf dem Internat fühlt er sich im Kreis anderer Jugendsportler jetzt wieder mehr anerkannt.

"Hängt der mich ab, weil er gedopt ist?"

Lance Armstrong im Gelben Trikot der Tour de France. Quelle: ap
Für junge Radsportler heute ein rotes Tuch - Lance ArmstrongBild: AP

Auch sein jüngerer Bruder Stefan tritt recht erfolgreich in die Pedale. Er bringt die Emotionen, wenn Idole reihenweise enttarnt werden, auf den Punkt: "Ist halt schade….ein Scheißgefühl!" Kein Verständnis zeigt der 14jährige denn auch für das Comeback des siebenmaligen Tour-Siegers Lance Armstrong: "Als er überprüft wurde auf Doping, kam der mit seiner Krebserkrankung an oder hat aufgehört - und jetzt will er einfach wieder anfangen!" Der ältere Bruder Thomas kann der Dauermisere wenigstens noch positive Seiten abgewinnen. "Dass zum Beispiel jetzt Leute auch auffallen, dass die Kontrollen greifen." Der Jugendfahrer verweist auf andere Sportarten, wo weniger intensiv oder gar nicht kontrolliert werde. "Und da sagen sie alle: Wir sind sauber!" Dennoch sitzt bei ihm die Ungewissheit jetzt immer mit im Rennsattel: Natürlich stelle man sich im Fahrerfeld häufiger die Frage, ob der Nebenmann etwas genommen habe oder nicht, erzählt Thomas. Erst recht, wenn die Entscheidung am Berg oder beim Schlussspurt näher rücke: "Hängt der mich vielleicht gleich ab, nur weil er gedopt ist, oder ist er am Ende wirklich stärker?"

Radprofi als neues Schimpfwort

Teilnehmer des Radrennens Paris-Nizza am 10. Maerz 2005 auf einer Etappe zwischen Saint Peray und Montelimar. Quelle: ap
Heute nicht mehr gut angesehen - ProfiradsportlerBild: AP

Wilfried Schneider, der Vater der beiden, betreibt in Köln ein Radsport-Fachgeschäft. Er bekommt den Imageschaden gleich doppelt zu spüren. Da sind zum einen die Trainingsfahrten mit seinen Söhnen: "Oft genug werden wir von Autofahrern beschimpft, die uns zurufen: Ach, Ihr seid ja eh nur Doper!" Hinzu kommen Verlagerungen beim Sortiment, wobei nicht etwa Rennräder außer Mode geraten sind. Bis vor kurzem war Wilfried Schneider auch spezialisiert auf Profiteam-Fanartikel, fanden Gerolsteiner-Trikots oder die des früheren Teams Telekom fleißige Abnehmer: "In dieser Warengruppe ist der Umsatz um 90 Prozent eingebrochen, stattdessen laufen die neutralen Trikots umso besser." Derart auf Distanz zu Profis und ihrer Doping-Aura möchte man auch beim Bund Deutscher Radfahrer gehen. "Denn hier wird eine ganze Sportart kollektiv für das Fehlverhalten einiger weniger bestraft", sagt Bundesjugendleiter Toni Kirsch. Und er betont, dass Verband und Vereine mit den Berufsfahrern kaum etwas gemein hätten. Nur bei Topevents wie WM oder Olympia gebe es Berührungspunkte.

Mitgliederschwund droht

Frankreich Radsport Tour de France 2008 Radkranz
Mehr als nur SchaltproblemeBild: AP

Laut Funktionär Kirsch setzt der BDR neben verschärften Kontrollen vor allem auf Prävention: "Gerade im Nachwuchsbereich, wobei wir nicht nur den Sportler aufklären wollen, sondern auch das Umfeld erreichen." Was in der Praxis bedeutet, auch Trainer, Arzt, Mechaniker oder Physiotherapeuten mit einzubeziehen. Ein Beispiel sei, dass die Trainer-Ausbildung des Verbands jetzt auch 24 Stunden Doping-Prävention verbindlich mache. Noch wirken sich die Negativ-Schlagzeilen nicht auf den Zuspruch in den Vereinen aus. "Aber ein Mitgliederschwund dürfte in ein, zwei Jahren kommen", merkt der BDR-Jugendleiter an. "Weil viele nicht informierte Eltern sagen werden, der Radsport sei grundsätzlich unsauber, und sie ihre Kinder nicht dorthin bringen wollen."

Ambivalente Jugend

Und das in einer Zeit, in der etwa jeder fünfte Jugendliche angeblich einmal pro Monat am so genannten "Koma-Saufen" teilnimmt. Abends gesund und ausgefüllt ins Bett zu gehen, sei wohl immer noch sinnvoller als Kampftrinken, kommentiert Wilfried Schneider: "Meine Jungs steigen sonntags morgens aufs Rad, die können samstags abends keine Flatrate-Party machen." Die Welt der Pedaleure also doch noch als "drogenfreie Zone" für Jugendliche? Wobei schon die Frage nach dem größten Rennfahrer aller Zeiten zeigt, wie sehr frühere Vor- und heutige Feindbilder mitunter verschwimmen. "Eddy Merckx", antwortet Stefan Schneider ohne Zögern – nur sein älterer Bruder Thomas räuspert sich kurz: "Jan Ullrich, trotz allem!"