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Unisex, Schnupftabak und Dijon-Senf

Bernd Riegert15. Dezember 2004

In Brüssel dreht sich derzeit alles um die Türkei. Leider gehen dabei die wirklich wichtigen Entscheidungen der Eurokraten völlig unter: der Umgang mit französischem Senf und schwedischem Schnupftabak.

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Bernd Riegert

Die "Türkei-Woche" überschattet so ziemlich alles in Brüssel. Die Frage, ob und wann die Türkei aufgenommen wird in den Klub, drängte zum Beispiel wegweisende Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes in der öffentlichen Wahrnehmung in den Hintergrund. Dabei haben die 25 Richter in Luxemburg über wirklich grundlegende Fragen entschieden, die zum täglichen (Europa)-brot der Eurokraten gehören: französischen Senf und schwedischen Schnupftabak.

Das höchste Gericht Europas erkannte für Recht, dass französischer Senf aus Lyon und Dijon von den USA mit Hundert Prozent Sonderzoll belegt wird. Damit rächen sich die Amerikaner für das Einfuhrverbot gegen ihr Hormonfleisch, für die französische Opposition gegen den Irak-Krieg und für die Widerworte, die Frankreichs Präsident Chirac ständig gibt. Besonders wurmte die Franzosen, dass britischer Senf von den US-Sanktionen nicht betroffen war.

Keine Senf-Krise

Die EU-Kommission wollte wegen der grünen Würzpaste aber keine neue extrascharfe, transatlantische Krise riskieren und legte die Hände in den Schoß. Gegen diese Untätigkeit klagte die Grande Nation und verlor. Die Richter erkannten nach monatelangen Beratungen, dass britischer Senf a) nicht schmeckt und deshalb b) kaum in die USA exportiert wird. Also liege kein Handelshemmnis im Sinne der EG-Verträge vor. Aha!

Im zweiten Fall bestätigten die Luxemburger Richter, dass SNUS, eine Art schwedischer Kautabak, nur im nordischen Königreich vermarktet werden darf. Der Verkauf von SNUS in Großbritannien oder Deutschland, wie das die klageführenden Händler planten, sei unzulässig. Nicht weil der Kautabak wie englischer Senf schmeckt, sondern weil Schweden in einem wenig bekannten Zusatzprotokoll zu seinem EU-Beitrittsvertrag das SNUS-Privilieg festgeschrieben hat. Kautabak ist nach einer Richtlinie im Rest der EU eigentlich verboten, weil "Produkte zum mündlichen Gebrauch einen besonderen Anreiz für Jugendliche darstellen." Nur schwedische Jugendliche sind gegen Oral-Rauchen offenbar immun.

Unisex nicht nur beim Friseur

In dieser bewegenden Woche hat auch das Parlament einen entscheidenden Durchbruch zu vermelden: Unisex! Dabei geht es nicht um Studentenverkehr, sondern um geschlechterübergreifende Tarife bei Versicherungen. Ein Hoch auf die Gleichberechtigung! Unisex-Tarife waren wegen der unterschiedlichen Lebenserwartung von Männern und Frauen jahrelang umstritten, jetzt sollen Männer etwas mehr und Frauen etwas weniger zahlen.

Senf, Kautabak und Unisex. Das sind die Themen, die die europäischen Bürger - und die Bürgerin - wirklich direkt angehen. Wen kümmert da noch die Türkei?