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Unrühmlicher Abgang

Verica Spasovska / kap4. Januar 2003

Nahezu unbemerkt findet nach über zehn Jahren auf dem Balkan ein Wachwechsel statt: Das UN-Mandat in Bosnien-Herzegowina endet, die EU übernimmt die Aufgabe.

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Blauhelme verlassen Bosnien, die Menschen atmen aufBild: AP

Nach einer Dekade der Truppenpräsenz übergaben am Mittwoch (1. Januar 2003) die Vereinten Nationen (UN) den Stab an die Europäische Union (EU), die mit rund 500 Mann die Polizeitruppe in Bosnien-Herzegowina übernehmen wird. Damit endet eine vielfach umstrittene und höchst problematische Mission der UN im ehemaligen Jugoslawien. Ihr Einsatz wird immer mit den Massakern von Srebrenica und Zepa verbunden bleiben.

Humanitäre Hilfe leisten

Gekommen waren die Blauhelme kurz nach Beginn des Krieges im Jahre 1992, um in der auseinanderbrechenden Vielvölkerrepublik Bosnien-Herzegowina humanitäre Missionen durchzuführen. Im Vordergrund stand somit die Versorgung der eingekesselten Bevölkerung mit Lebensmitteln und Medikamenten. Für tausende von Menschen im belagerten Sarajevo war dies während des dreieinhalbjährigen Krieges oft die einzige Lebensader.

Aber ihre Hoffnungen auf echten Schutz vor den Angreifern wurden rasch zunichte gemacht. Denn die Blauhelme kamen als zahnlose Tiger. In diesem grausamen Krieg, unter dem vor allem die Zivilbevölkerung zu leiden hatte, erhielten die unbewaffneten Blauhelme kein Mandat zum militärischen Eingreifen. Absurderweise war es ihnen sogar verboten, Flüchtlinge vor Übergriffen der marodierenden Soldaten und Paramilitärs zu schützen, denn in diesen Fällen leisteten sie angeblich der so genannten ethnischen Säuberung Vorschub. Wenn also Blauhelmsoldaten die Rettung der Flüchtlinge als ihre moralische Pflicht erachteten, wurden sie mit Blick auf das Mandat davon abgehalten.

Die Wunden von Srebrenica sitzen tief

Als besonders dunkles Kapitel des Blauhelmeinsatzes ist der Fall der Enklaven Srebrenica und Zepa in die Geschichte eingegangen. Mehr als 8000 bosnische Muslime wurden ermordet, weil die Blauhelmsoldaten nicht eingriffen. Dabei hätten sie durchaus die Handhabe gehabt, Luftunterstützung durch die NATO anzufordern, um das Massaker zu verhindern. Die Leichen der Ermordeten werden noch immer exhumiert und identifiziert. Viele der Hinterbliebenen wissen bis heute nichts über das Schicksal ihrer verschwundenen Männer, Brüder, Väter und Söhne.

Die Wunden dieses Massakers sitzen auch deshalb so tief, weil die Drahtzieher noch immer frei herumlaufen: Der ehemalige Serbenführer Radovan Karadzic und General Ratko Mladic. Dass sie noch immer auf freiem Fuß ist, betrachten viele Menschen in Bosnien als Skandal. Und vor dem Hintergrund der letzten Wahlen, die den nationalistischen Parteien Auftrieb gaben, sind die Prognosen für eine Stabilisierung der zweigeteilten Republik alles andere als rosig.

EU-Polizisten unter Beobachtung

Angesichts dieser ambivalenten Bilanz wundert es kaum, dass die Menschen in Bosnien aufatmen, dass die UN geht und die EU kommt. Schon deshalb, weil das Balkanland in die euro-atlantischen Strukturen strebt. Aber nun werden die EU-Polizisten daran gemessen werden, wie sie ihre Aufgaben in den Griff bekommen, wozu nicht nur der Aufbau der multi-ethnischen Polizei und des gesamtbosnischen Grenzdienstes gehört, sondern auch die Eindämmung des Menschenhandels.

Der Fahnenwechsel auf dem Balkan ist ein richtiges und richtungsweisendes Signal. Dass Deutschland und Frankreich angeregt haben, die EU solle auch militärische Operationen in der Nachfolge der UN-Truppen SFOR übernehmen, die derzeit unter NATO-Mandat läuft, sowie die Aufgaben der NATO-Friedenstruppe in Mazedonien, zeigt, dass die Europäer eine Dekade nach dem Beginn des Balkankrieges ihre Verantwortung für den Hinterhof Europas ernst nehmen. Denn obwohl sich der Blick der westlichen Welt seit dem 11. September 2001 auf die islamische Welt konzentriert, dürfen die Europäer nicht übersehen, dass die Lunte am Pulverfass Balkan noch immer schwelt.