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„Uns liegt an guten Beziehungen, aber ohne Vorhaltungen“

9. März 2006

Im Interview mit DW-RADIO/Polnisch äußert sich der polnische Staatspräsident Lech Kaczynski zu den deutsch-polnischen Beziehungen und den Prioritäten Warschaus in Europa.

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Kaczynski beim Antrittsbesuch in BerlinBild: dpa

DW-RADIO/Polnisch: Sie kritisieren die Zusammenarbeit im Weimarer Dreieck und fahren zuerst nach Paris. Warum diese Prioritäten ?

Lech Kaczynski: Ich habe die Arbeit des Dreiecks analysiert und bin zu dem Schluss gekommen, dass es in dem Moment besser war, Frankreich zu besuchen, wo es Missverständnisse gab. Es ging darum, diese zu beenden.

Warum kommen Sie so spät nach Berlin?

Spät? Zweieinhalb Monate nach meiner Vereidigung?

Viele andere Länder haben Sie früher besucht.

Lassen wir den Vatikan beiseite. Dorthin würde in Zukunft selbst ein konfessionsloser Nachfolger fahren. Das ist einfach polnische Tradition. Dann kam die USA. Die Vereinigten Staaten sind unser strategischer Partner, für uns lebenswichtig. Der Besuch in den USA an erster Stelle war einfach eine Selbstverständlichkeit. Die Einladung von Präsident Klaus in Tschechien habe ich mit großer Freude angenommen, weil ich die Unstimmigkeiten zwischen Polen und Tschechen für zutiefst irrational halte. Es gibt keine divergierenden Interessen zwischen uns Polen und den Tschechen. Das möchte ich unterstreichen. Später sind noch die ukrainischen Angelegenheiten dazugekommen, die für uns einen Schlüsselcharakter haben. Ich habe darüber auch in den USA gesprochen, in Frankreich und ich werde mit Frau Kanzlerin und dem Herrn Präsidenten Köhler darüber reden. Die Angelegenheiten der Ukraine und ihr Weg in den Westen haben für uns einen Schlüsselcharakter, aber wir finden dafür bei unseren Partner nicht immer das richtige Gehör. Außerdem, wie immer bei solchen Besuchen, spielen auch die Terminmöglichkeiten der jeweiligen Seite eine wichtige Rolle.

Herr Präsident, sie haben die Schlüsselrolle der Ukraine unterstrichen, sollte Deutschland als größter Partner und Nachbar Polens, der dieses Land in die EU geführt hat, nicht auch einen Schlüsselcharakter haben?

Deutschland ist sicher ein Schlüsselland in Europa, dies stellt keiner in Frage. Präsident Chirac zeigte sich erfreut, dass ich in so kurzer Zeit nach Frankreich kommen konnte. Das gleiche betraf den Präsidenten Tschechiens und der USA. Wenn es um Deutschland geht, so muss ich mich ständig gegen Vorwürfe wehren. Da drängt sich bei mir die Frage auf, ob man in den deutsch-polnischen Beziehungen nicht etwas ändern sollte? Ich wiederhole - ich bin voll guten Willens, aber die Deutschen müssen verstehen, dass in unseren Beziehungen Partnerschaft besonders wichtig ist. Die Deutschen haben uns geholfen, in die EU zu kommen, besonders zu Zeiten von Kanzler Kohl. Allerdings erinnern wir uns auch daran, dass es Anfang der 90-er Jahre Kanzler Kohl relativ schwer gefallen ist, die offensichtlichen Fakten, die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurden, anzuerkennen. Ich weiß das, und ich habe das nicht vergessen. Es ist schwer zu sagen, ob es für Polen eine wichtigere Frage gibt als die, welche die Anerkennung der Staatsgrenzen betrifft. Uns liegt an guten partnerschaftlichen Beziehungen mit Deutschland, sogar an sehr guten, aber nicht auf der Grundlage, dass man uns Vorhaltungen macht, dass wir eine Woche zu früh oder zu spät gekommen sind.

In Deutschland wird Ihre Einstellung zu den deutsch-polnischen Beziehungen als Paradigmenwechsel interpretiert. Und die Regierung des Premierministers Marcinkiewicz wird als euro-skeptisch angesehen. Haben sie die Absicht, dieses Image zu ändern?

Wir sind nicht euro-skeptisch; weder die Regierung noch ich - wenn man unter der Bezeichnung "Euro-Skeptiker" die Gegner der EU verstünde. Die Partei, aus der ich komme, und der Premierminister und deren Vorsitzender haben beim EU-Referendum für die EU gestimmt. Ich betrachte auch die beinahe zweijährige Mitgliedschaft Polens in der EU als einen großen Erfolg. Für Euro-Skeptiker werden manchmal all jene gehalten, die keine Euro-Enthusiasten sind. Wer die Abschaffung der Nationalstaaten nicht fordert, wer nicht will, dass die ganzen Machkompetenzen entweder nach Brüssel oder nach unten in die Regionen übertragen sein sollen, der wird zum Euro-Skeptiker erklärt. Dies ist aber kein Euro-Skeptizismus. Ich bin ein Freund der EU und der Integrationsgrad in der EU soll bitte die europäische Wirklichkeit widerspiegeln, die Vielfalt der europäischen Nationen, die unterschiedliche öffentliche Meinung. Würde man das heutige Europa als einen Staat begreifen, dann würde es keinen demokratischen Charakter haben, weil es keine einheitliche europäische öffentliche Meinung gibt.

Wollen Sie sich denn um gute Beziehungen zu Deutschland bemühen?

Ich wiederhole es noch einmal. Muss man da nicht etwas verändern - angesichts derartiger Vorhaltungen? Ich meine, dass gerade in den Beziehungen zu Deutschland das Prinzip der Partnerschaft eine wesentliche Rolle spielt. Ich möchte mich um gute Beziehungen bemühen und die Deutschen müssen es auch tun. Weder das Pipeline-Unternehmen durch die Ostsee, noch das geplante Zentrum gegen die Vertreibungen, sowie die allgemeine Haltung der politischen Klasse - diesen Eindruck gewinnt man beim Lesen der deutschen Presse - kann man zu Aktivitäten zählen, die man als Bemühungen um gute Beziehungen zu Polen bezeichnen könnte.

Das Interview führte Maria Depta

DW-RADIO/POLNISCH, 7.3.2006, Fokus Ost Südost