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Unsere Gene verraten die meisten Krankheiten

21. Oktober 2010

Ein Gentest kann drohende Erbkrankheiten aufdecken. Für Mediziner, wie den renommierten Genetiker Francis Collins, eine große Chance, vorbeugende Maßnahmen sowie individuelle Therapien und Medikamente zu entwickeln.

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Francis Collins, Direktor der National Institutes of Health, USA (Foto: NIH)
Francis CollinsBild: National Institutes of Health

Der 60-jährige Francis Collins leitet die Nationalen Gesundheitsinstitute der USA (National Institutes of Health, NIH) in Bethesda bei Washington. Jahresbudget: 32 Milliarden Dollar, etwa 23 Milliarden Euro. Keine andere Forschungs-Förderorganisation der Welt hat mehr Geld.

DW-WORLD.DE: Herr Collins, Sie haben das Humangenomprojekt geleitet und sind durch die Sequenzierung des menschlichen Genoms weltweit bekannt geworden. Jetzt sind Sie Direktor der National Institutes of Health, der wichtigsten Behörde für biomedizinische Forschung in den USA. Was würden Sie sagen - was hat die Genom-Entschlüssellung für Patienten gebracht?

Es vergeht natürlich viel Zeit, bis eine fundamentale Information für die klinische Praxis nutzbar wird. Aber man kann schon jetzt Erfolge vorweisen: Für Patientinnen mit Brustkrebs gibt es zum Beispiel einen Genom-basierten Test, der ihnen sagt, ob sie nach ihrer Operation, ihrer Bestrahlung auch noch eine Chemotherapie brauchen oder nicht. Das ist doch fantastisch! Oder nehmen Sie die Prävention: Wir können nun immer besser bestimmen, wer ein Risiko für welche Krankheit hat und den Menschen die Chance geben, ihren Lebensstil so anzupassen, dass sie gesund bleiben. All diese Möglichkeiten werden im Lauf der Zeit immer besser und immer billiger.

Es gibt ein Sprichwort, das sagt: Eine wahrhaft umwälzende Entwicklung in der Wissenschaft wird auf kurze Sicht immer überbewertet und auf lange Sicht immer unterschätzt. Ich denke, das trifft auch bei der Genetik zu. Es gibt Leute, die angekündigt hatten, dass sich die klinische Medizin durch die Entschlüsselung des menschlichen Genoms quasi über Nacht verändern würde. Das ist nicht passiert. Aber ich vermute, dass wir, wenn wir in 50 Jahren zurückblicken, sehen werden, dass die Sequenzierung etwas wirklich Revolutionäres in Gang gesetzt hat. Bevor das tatsächlich unser aller Leben beeinflusst, dauert es einfach eine Weile.

Abbildung einer DNA, die sich spiralförmig um eine Nuklesom-Spule wickelt(Foto: MPI)
Krebs-relevante Regionen im Genom besitzen oft eine hohe Dichte an CG-Sequenzen (im Hintergrund hell hervorgehoben). Ist die Verpackung der DNA verändert (Vordergrund: DNA wickelt sich spiralförmig um eine Nuklesom-Spule), können wichtige Anti-Krebs-Gene abgeschaltet oder krebsfördernde Gene aktiviert werdenBild: MPI für Informatik / Bock

Vision: Personalisierte Medizin

Was wird im Bereich der genetischen Analyse als Nächstes passieren?

Wir lernen gerade viel über die erblichen Grundlagen von Diabetes, Herzerkrankungen, Krebs, Asthma, einer wirklich langen Liste von Krankheiten. Denn die Familiengeschichte ist eine starke Einflussgröße für fast alle Krankheiten. Das Risiko steckt in der DNA, die von Eltern zum Kind weitergereicht wird. Je mehr Informationen wir bekommen, desto einfacher wird es, künftige Gesundheitsrisiken von jedem von uns vorherzusagen. Wir können das bis zu einem gewissen Grad schon jetzt.

Ich selbst habe zum Beispiel vor einem Jahr einen Gentest gemacht und weiß seither von erblichen Risiken, denen ich vorher keine Aufmerksamkeit geschenkt habe. Zum Beispiel habe ich ein höheres Risiko, an Diabetes zu erkranken, als mir lieb ist. Und da gibt es etwas, was ich dagegen tun kann: Ich wiege jetzt 25 Pfund weniger als vor einem Jahr. Ich achte nun darauf. Und diese Chance wird es zukünftig für mehr Menschen geben.

Aber die in nächster Zeit spannendsten Entwicklungen im Bereich der Genetik wird es wahrscheinlich bei den Krebserkrankungen geben. Denn Krebs ist eine Erkrankung der DNA, verursacht durch Mutationen, Fehler in der DNA einer Zelle. In einigen Fällen – etwa bei Lungenkrebs oder Leukämie – konnten wir schon neue Therapien entwickeln, die wir ohne unser Wissen über das Genom noch nicht hätten. Es rettet also Leben. Leute, die gedacht haben, sie würden auf ein schreckliches Ende zusteuern, haben Zugang zu einer dieser neuen Therapien bekommen und Jahre später geht es ihnen einfach gut.

Genetiker Francis Collins und US-Präsident Barack Obama (Foto: NIH)
Im Juli 2009 ernannte US-Präsident Barack Obama den weltweit renommierten und mehrfach ausgezeichneten Genetiker Francis Collins zum Direktor der NIHBild: National Institutes of Health

Sprechen wir über eine nahe oder über eine ferne Zukunft?

Oje, das ist schwer zu sagen, wie nah oder fern! Ich denke, die Zeit wird kommen, wo jeder von uns effektivere Prävention betreiben wird. Wir werden wissen, was unsere Risiken sind und werden in der Lage sein, mit Hilfe eines Gesundheitsexperten einen Präventionsplan zu entwickeln, der genau auf uns zugeschnitten ist. Dann haben wir die Chance, einer vermeidbaren Krankheit vorzubeugen.

Und wenn wir doch krank werden, wird es künftig mehr Medikamente geben, die auf unsere Situation abgestimmt sind. Wir werden individuell sicherstellen können, dass das Medikament, mit dem wir behandelt werden, das richtige Medikament für uns ist und wir die richtige Dosierung bekommen, denn das kann ebenfalls durch die sorgfältige Analyse des Genoms vorhergesagt werden.

In Ihrem Buch "The Language of Life" (2010) werben Sie für eine solche personalisierte Medizin - die ein sehr fortschrittlicher, aber auch sehr teurer Ansatz ist. Gleichzeitig sprechen Sie darüber, dass die globalen Gesundheitsunterschiede dringend überwunden werden müssen. Wie passt beides zusammen?

Wir müssen die Gesundheits-Agenda in der ganzen Welt vorantreiben. Sicherlich ist eine personalisierte Medizin in einkommensschwachen Ländern jetzt noch nicht praktikabel. Aber sie wird in einkommensstarken Ländern praktikabel werden, denn die Kosten für eine DNA-Analyse sinken rapide. Wir werden in den nächsten fünf Jahren die Chance haben, unsere komplette DNA-Sequenz für weniger als 1000 Dollar zu bekommen. Und dann werden meiner Meinung nach viele Leute zu dem Schluss kommen, dass es das Geld wert ist, um eine bessere Prävention und Behandlung zu bekommen.

In einkommensschwachen Ländern ist das jetzt noch nicht realisierbar. Aber wissen Sie, ich habe einige Male in Krankenhäusern in diesen Ländern gearbeitet. Und wenngleich die Ressourcen dort natürlich nicht mit dem vergleichbar waren, was ich von amerikanischen Krankenhäusern gewöhnt war, konnte man doch sehen, dass die Ressourcen, die es gab, den gleichen Prozess durchlaufen haben: Erst wurden sie an einem reichen Ort entdeckt, dann wurden sie allmählich etablierter, erschwinglicher und schließlich in der ganzen Welt vertrieben.

Daher würde ich nicht ausschließen, dass personalisierte Medizin in 20, 30 Jahren auch in einkommensschwachen Ländern möglich wird. So weit werden wir aber nicht kommen, wenn wir jetzt nicht irgendwo anfangen. Es ist nicht richtig, personalisierte Medizin und die Überwindung der globalen Gesundheitsunterschiede gegenüberzustellen. Es ist kein entweder oder, sondern ein sowohl als auch!

Das Gepräch führte Anna Corves
Redaktion: Judith Hartl