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Glaube

Unterdrückt und gefoltert

11. August 2017

Keine Kompromisse: Jesuitenpater Eberhard von Gemmingen von der katholischen Kirche fragt sich, wie gläubige Menschen im kommunistischen Albanien trotz schlimmen Leidens an Jesus Christus festhalten konnten.

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Die katholische Bischofskirche im albanischen Shkodra
Die katholische Bischofskirche im albanischen Shkodra, in der Ernest Simoni 1956 zum Priester geweiht wurde: nach dem die Sozialisten Albaniens den atheistischen Staat ausriefen, wurde die Kathedrale in eine Mehrzwecksporthalle umgewandelt. Nach dem Fall des Kommunismus konnte die Kirche 1991 wiedereröffnet werden.Bild: Sigismund von Dobschütz

Der erste absolut fundamentalistische Staat der Welt war Albanien. Er nannte sich seit 1967 „Erster atheistischer Staat der Welt“. Ein kleines Land am „Rande“ Europas. Europa versteht sich als Hort der Menschenwürde, der Menschenrechte, der Religionsfreiheit. Aber dieses Europa hat es fast nicht wahrgenommen, was dort fast 50 Jahre lang passiert ist. Fundamentalisten waren am Werk, die sich auf Karl Marx beriefen. Es ist bemerkenswert, wie sehr Fundamentalisten am rechten Rand der Gesellschaft beachtet werden, die am linken Rand genießen Nichtbeachtung. Aber es gab dort auch Überzeugte,  die keine Kompromisse mit dem Atheismus schlossen.

Christen vertraten dort das, was in aller Welt verkündet wird: Freiheit! Und viele von ihnen gaben ihr Leben für diese Freiheit. Sie hatten ihr Leben an dem Befreier schlechthin festgemacht: dem Mann am Kreuz. Er war nicht herunter gestiegen von dem Schandpfahl, er hatte es auf sich genommen, dort zu bleiben. Millionen anderer sind seinem Beispiel gefolgt, standen zu ihrer Freiheit und ihrem Gott. Er hatte sie befreit von allem Hängen an sich selbst.

Sklavenarbeit unter Tage

38 von diesen Tausenden unterdrückten und gefolterten Christen sind vor etwa einem Jahr seliggesprochen worden. Als Beispiel sei hier das Leben eines Priesters erzählt, der jetzt, fast 90-jährig, zum Kardinal berufen wurde: Ernest Simoni. Mit 35 Jahren wurde er nach der Weihnachtsmesse von der Polizei verhaftet, vom Gericht zum Tode und dann zu 25 Jahren Straflager verurteilt. Er arbeitete 500 Meter unter der Erde, wo giftige Dämpfe und im Wasser Schwefelsäure waberte. Weil er bei der Sklavenarbeit immer Rosenkranz betete und dabei die Lippen bewegte, hielten ihn die anderen Gefangenen für verrückt. Nach 18 Jahren wurde er zu Kanalarbeiten „begnadet“ und dabei ständig überwacht, weil man ihn für subversiv hielt. Das dauerte neun Jahre bis zum Ende der kommunistischen Fundamentalisten im Jahr 1990. Nun war er 62 Jahre alt. Papst Franziskus erfuhr bei seiner Albanienreise 2014 vom Schicksal vieler überzeugter Katholiken und von Simoni.

Wir im Westen bewundern solche Märtyrer, aber sind doch manchmal geneigt, sie für dialogunfähig zu halten, für fanatisch. Was hätte Kardinal Simoni einem gebildeten kommunistischen Funktionär gesagt, wenn der versucht hätte, ihm die Idee der sozialistischen Gesellschaft zu erklären? Was hätte Simoni gesagt, wenn ein gebildeter Funktionär erklärt hätte: „Religion ist Opium für das Volk“. Religion vertröste die Ausgebeuteten, damit sie still halten, aufs Jenseits hoffen. Gebildete wüssten doch, dass Religion nur Tröstung sei, um die Härten des Lebens zu ertragen. Er solle nur Voltaire und Freud und Kant lesen. Hätte sich Kardinal Simoni beeindrucken lassen? Ich denke: Er und seine Leidensgenossen konnten nur widerstehen, weil sie sich gründlich und persönlich auf Christus eingelassen hatten, sich mit ihm auseinander gesetzt hatten, weil sie Christus erfahren hatten, weil sie wussten, dass der Glaube an Christus sie trägt.

Zeit, Ruhe und Nähe

Religiöser Glaube gelingt nur, wenn man – ähnlich wie in einer gelingenden Ehe – drei Dinge ernst nimmt: Zeit, Ruhe und Nähe. Eheleute brauchen Zeit füreinander, wenn sie sich keine Zeit füreinander nehmen, zerfällt die Ehe. Getaufte müssen sich Zeit für Gott nehmen. Nur einmal in der Woche zu beten, das trägt nicht. Eheleute brauchen Ruhe. Es muss still werden um sie. Wenn immer Lärm ist, können sie nicht aufeinander hören. Gottes Stimme hört man nur, wenn es still ist, wenn der Lärm aufhört. Ehe braucht auch Nähe. Man muss sich nicht nur körperlich nahe kommen, sondern auch geistig. Nicht-Verstehen bringt Entfremdung. Nähe zu Gott bedeutet: genau hinschauen, was im Neuen Testament steht. Nicht nur oberflächliches Blättern. Verweilen bei einem Satz. Er muss absinken ins Herz. 

Simoni und die Seinen konnten den Fundamentalisten nur standhalten, weil sie in Gott geborgen waren. Wir können Entwicklungshilfe aus Albanien bekommen. Es ist nicht weit. Wenn Sie wollen, lesen Sie am 26. August von einem anderen Anti-Fundamentalisten.

Pater Eberhard von Gemmingen Radio Vatikan
Bild: picture-alliance/dpa

Pater Eberhard von Gemmingen SJ ist 1936 in Bad Rappenau geboren. Nachdem er 1957 in den Jesuitenorden eingetreten ist, studierte er 1959 Philosophie in Pullach bei München und Theologie in Innsbruck und Tübingen. 1968 erfolgte seine Priesterweihe. Pater Eberhard von Gemmingen SJ war Mitglied der ökumenischen Laienbewegung action 365, bischöflicher Beauftragter beim ZDF und Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan. Seit 2010 ist er Fundraiser der deutschen Jesuiten.