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Hilfe in kalten Winternächten

17. Dezember 2009

Zwischen 5000 und 10.000 Wohnungslose leben in Berlin. Im Winter hilft ihnen die "Berliner Kältehilfe" mit Notunterkünften und einem Kältebus. Die Berliner Stadtmission unterhält ein Zentrum am Hauptbahnhof.

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Plakat "Spenden Sie Wärme", mit dem die Berliner Stadtmission auf die Notsituation Obdachloser aufmerksam macht (Foto: dpa)
Ortrud Wohlwend von der Berliner Stadtmission vor dem Plakat "Spenden Sie Wärme"Bild: DPA

Es ist halb neun Uhr am Abend. Im "Zentrum am Hauptbahnhof“ der Berliner Stadtmission haben sich die freiwilligen Helfer zu einer Andacht in der kleinen Kapelle zusammengefunden. Mit Gesang und Gebet stimmen sie sich auf die Nacht ein. Rote Kerzen verbreiten ein warmes festliches Licht. Es wird eine lange Nacht werden, in der die Helfer mehr als 100 Obdachlose betreuen, die hier in der Notunterkunft der Stadtmission Zuflucht vor der beißenden Kälte finden.


Einige der Gäste, wie die Wohnungslosen respektvoll genannt werden, warten schon seit Stunden vor der Tür. Sie haben Sorge, dass es nicht genug zu essen geben könnte oder dass sie keinen Schlafplatz mehr ergattern könnten, wenn sie zu spät kommen, erläutert Sabine Jaeckel-Engler, die bei der Stadtmission die ehrenamtlichen Helfer betreut. Und sie fügt hinzu: "Wir nehmen alle auf, auch die Betrunkenen und die Drogensüchtigen und die, die mit ihren Hunden kommen.“

Obdachlose sind hier Gäste

Marie-Therese Reichenbach am blauen Kältebus der Berliner Stadtmission. (Foto: dpa)
Der Kältebus der Berliner StadtmissionBild: DPA


Auch Ausländer finden den Weg hierher in die Notunterkunft. Sie kommen vor allem aus Polen und der Tschechischen Republik, denn in diesen Ländern gibt es noch keine ausreichende Versorgung für Wohnungslose. Wenn das Tor sich schließlich um 21 Uhr öffnet, werden die Gäste mit Handschlag begrüßt. Ein Beinamputierter wird im Rollstuhl hereingerollt, ein gehbehinderter Mann wird von zwei Sanitätern gebracht, ein anderer humpelt auf zwei Krücken gestützt herein. In der Notunterkunft der Stadtmission finden sie alle Aufnahme, hier bekommen sie einen trockenen warmen Platz zum Schlafen und eine warme Mahlzeit. Heute Abend gibt es Gemüsesuppe mit Fleischeinlage, Salat und Obstsalat, Stollen und Kekse. Dazu gibt jederzeit heißen Tee und morgens auch heißen Kaffee. Alle Lebensmittel sind gespendet worden.

Ehrenamtliche Hilfe

In der Küche steht die Rentnerin Ruth Winter am Herd. Sie kommt von der Schwäbischen Alb und ist schon zum vierten Mal hier in Berlin. Zusammen mit ihrem Mann arbeitet sie fünf Wochen lang als freiwillige Helferin in der Notunterkunft, vom ersten Advent bis nach dem Dreikönigstag. "Ich will denen helfen, denen es nicht so gut geht wie mir“, sagt sie mit freundlichem Lächeln und leuchtenden Augen. Ihre Kinder seien schon groß, ihrer Familie gehe es gut, alle seien gesund. Darum wolle sie etwas abgeben von ihrem Glück. "Ich möchte ein bisschen was von der Weihnachtsfreude weitergeben als Geschenk, weil ich selbst mich beschenkt weiß.“

Eine Mitarbeiterin in der Berliner Stadtmission mit Obdachlosen, die hier nach einem warmen Essen einen Schlafplatz finden können. (Foto: dpa)
Nach einem warmen Essen finden Obdachlose in der Berliner Stadtmission einen SchlafplatzBild: DPA

Mittlerweile hat sich der Aufenthaltsraum gefüllt. Hauptsächlich Männer sind gekommen, die miteinander reden oder wortlos ihr Essen einnehmen, um dann so schnell wie möglich ins Schlafhaus hinüberzugehen, wo es Duschen gibt, siebzig einfache Schlafstellen. Eine Ärztin leistet ehrenamtlich Dienst. "Für die Obdachlosen sind Erkältungen und Krankheiten schlimmer als für Menschen, die Wohnungen haben“, erklärt Jaeckel-Engler. Denn sie können sich nicht für ein paar Tage ins Bett legen und erholen. Bei ihnen werden aus einfachen Erkältungen oft schnell Lungenentzündungen oder andere schwere Krankheiten.

In einer Ecke des Aufenthaltsraums haben sich zwei junge Männer niedergelassen, die so gar nicht dem gängigen Klischee der Obdachlosen entsprechen. Sie sind gut gekleidet und wirken gepflegt. Nennen wir sie Thomas und Andreas.

Schicksale

"Im Sommer schlafe ich draußen, aber im Winter komme ich hierher in die Notunterkunft“, erzählt Thomas, ein schlanker, hoch gewachsener Mann mit hellen wachen Augen. Er ist drogenabhängig und lebt seit fünf Jahren auf der Straße. Ein Einzelgänger, der am Bahnhof Zoo die Obdachlosenzeitung verkauft. Wie wird er Weihnachten verbringen? Thomas zuckt mit den Schultern. "Für mich gibt es kein Weihnachten, denn Weihnachten ist ein Familienfest.“ Er selbst hat schon 15 Jahre lang keinen Kontakt mehr zu seiner Familie. Am Heiligen Abend wird er zum Weihnachtsfest der Stadtmission gehen, aber eigentlich ist ihm das Fest nicht wichtig. "Meinetwegen könnte man es abschaffen“, sagt er und schaut etwas verloren aus.


Niemand wird abgewiesen

Auch Andreas erwartet nichts von Weihnachten. Der 26-jährige Computertechniker hat vor drei Jahren seinen Job und danach seine Wohnung verloren. Auch er war drogenabhängig, hat sich darüber mit seiner Familie und seinen Freunden entzweit und den Boden unter den Füßen verloren. Inzwischen ist er wieder "clean“ und hofft nun, bald wieder eine Stelle zu finden und dann auch möglichst bald wieder eine eigene Wohnung. Vor vier Wochen ist er aus Hamburg nach Berlin gekommen. "In den ersten zwei Wochen, wusste ich nicht, wo ich hingehen soll“, berichtet er. Zuerst habe er im Park geschlafen, aber da sei es nun zu kalt, zumal er keinen Schlafsack habe.

(Foto: Berliner Kältehilfe)
Bild: Berliner Kältehilfe


Seit zwei Wochen komme er nun regelmäßig hierher, in die Notunterkunft der Berliner Stadtmission. Aber das soll kein Dauerzustand bleiben. Andreas will raus aus der Obdachlosigkeit. Er will wieder eine Wohnung haben und ein selbständiges Leben führen.

Das ist sein Vorsatz für das neue Jahr. "Ich sag nicht, ich hör auf zu rauchen. Ich sage, ich will wieder eine Wohnung und ein selbständiges geregeltes Leben. Das ist mein Plan für das nächste Jahr.“

Autorin: Bettina Marx
Redaktion: Hartmut Lüning