1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Unverschleierte Klänge

Stephen Graham, ap16. Januar 2004

In Afghanistan macht die Ausstrahlung eines alten Musikvideos Furore. Der Grund: Die Sängerin ist eine afghanische Frau. Noch dazu unverschleiert. Wenn auch mit Kopftuch.

https://p.dw.com/p/4ZnW
Afghanistan wird wieder bunterBild: AP

Der Auftritt der beliebten Popsängerin Salma dauerte nur wenige Minuten. Sehen konnten ihn nur wenige Afghanen - nämlich die, die einen Fernseher besitzen und zum entscheidenden Zeitpunkt Strom hatten. Dennoch löste das Video eine hitzige Debatte über Kultur, Moral und Religion aus. "So etwas habe ich seit der kommunistischen Zeit nicht mehr gesehen", sagt ein 25-Jähriger Imbissbudenbesitzer in Kabul. "Wir sind alle aufgesprungen, haben uns um den Bildschirm versammelt und den Ton aufgedreht."

Pro und Contra

Im sowjetisch besetzten Afghanistan der 1980er Jahre waren Auftritte von Musikerinnen ein ganz normaler Teil des Fernsehprogramms - einige trugen sogar kurze Röcke. Schließlich bemühte sich Moskau, die afghanische Stammesgesellschaft ins Industriezeitalter zu katapultieren. Doch nach dem Abzug der sowjetischen Truppen und der Machtübernahme islamistischer Warlords war es mit der Emanzipation der Frauen vorbei.

Unter den Taliban, die 1996 die Hauptstadt Kabul eroberten, wurden Fernsehen und Musik komplett verboten. Nur zu religiösen Anlässen durfte noch musiziert werden. Während Musik zumindest in Kabul heute wieder zum Alltag gehört, geht die Ausstrahlung von Salmas Video einflussreichen Konservativen entschieden zu weit. "Dieser Fehler sollte sich nicht wiederholen", sagt Fasel Ahmed Manawi, Richter am Obersten Gerichtshof des Landes. "Die Verfassung verbietet Dinge, die dem Islam widersprechen."

Frauen im Fernsehen

Es ist in der Tat so: Die kürzlich von der großen Ratsversammlung Loja Dschirga verabschiedete Verfassung enthält einen Artikel, demzufolge afghanische Gesetze den "Vorgaben" des Islams nicht zuwider laufen dürfen. Westliche Menschenrechtsgruppen fürchten, dass diese unbestimmte Formulierung eine Hintertür für die Einführung der Scharia, des islamischen Rechts, öffnet.

Wer sich heute das afghanische Fernsehprogramm anschaut, gewinnt allerdings den Eindruck, dass die Konservativen den Kampf schon verloren haben: Schon vor der Ausstrahlung des umstrittenen Musikvideos nahm das staatliche Fernsehen indische Filme ins Programm, in denen es vor tanzenden, unverschleierten jungen Frauen nur so wimmelt. Der Auftritt einer einheimischen Sängerin war trotzdem eine Revolution, aber eben nicht die erste.

Fortschrittliches Ministerium

Hinter den Programmänderungen soll das vergleichsweise fortschrittliche Ministerium für Kultur stecken, das nach heftigem Streit mit den Fernsehdirektoren erst vor einem Monat einen neuen Senderchef installierte. Künftig sollen häufiger auch Sängerinnen gezeigt werden, sagt der Programmdirektor der Auslandsabteilung, Abduk Rahman Pandschiri: "Das ist doch ganz normal - der Mann ist ohne Frau unvollständig. Wie können wir sie vom Bildschirm fernhalten?" Natürlich müsse man die Reaktion der Zuschauer abwarten, schränkt er ein. "Aber hoffentlich wird es ein regulärer Teil des Programms."

Das hofft auch Imbissbudenbesitzer und Fernsehzuschauer Nasari. Musik gehe den Obersten Gerichtshof nichts an, findet er. Doch schon eine kurze Straßenumfrage in Kabul zeigt, dass die neue Freiheit nicht nur von konservativen Richtern abgelehnt wird. Drei Kommandeure der einflussreichen Nordallianz, die den USA beim Sturz der Taliban half, geben auf Anfrage das ganze Meinungsspektrum zu dieser Frage wieder: Der erste hat mit Musikerinnen kein Problem, der zweite will sie nur verschleiert im Fernsehen auftreten lassen, der dritte schließlich ist für ein striktes Verbot. "Gott und der Prophet haben gesagt, dass Frauen nicht singen sollten", erklärt er.