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Revisionsantrag im Gröning-Prozess kritisiert

Ben Knight / ago23. Juli 2015

Oskar Gröning wurde verurteilt, weil er das Geld von Holocaust-Opfern verwaltete. Doch nun ist Revision beantragt worden. Damit bleibt zunächst offen, in welchem Maß Beihilfe zum NS-Massenmord als Straftat gilt.

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Oskar Gröning vor dem Lüneburger Landgericht (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/A. Heimken

Das Urteil des Landgerichts Lüneburg wirkte wie ein sehr später Schlussstrich unter eine lange zurückliegende Straftat: Vier Jahre soll der als "Buchmacher von Auschwitz" bezeichnete ehemalige SS-Offizier in Haft. Doch mit dem Richterspruch von vergangener Woche ist das Justizverfahren wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen keineswegs abgeschlossen. Sowohl Grönings Verteidiger als auch die Anwälte mehrerer Nebenkläger kündigten an, vor dem Bundesgerichtshof (BGH) in Revision zu gehen. Ob die Richter in Karlsruhe den Fall neu aufrollen, entscheidet sich erst nach der schriftlichen Begründung sowohl des Lüneburger Urteils als auch der Revisionsanträge. Das kann mehrere Monate dauern.

Nach Ansicht einiger Nebenkläger, die in den USA leben, ist die Haftstrafe zu kurz. Sie beauftragten ihren Berliner Anwalt Andreas Schulz, vor dem BGH zu erreichen, dass Gröning nicht wegen Beihilfe zum Mord, sondern wegen Mordes verurteilt wird. "Die Rechtsfolge einer Verurteilung wegen Mordes wäre eine lebenslängliche Haftstrafe gewesen", sagte Schulz dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel".

Dieser Vorstoß wurde von verschiedenen Seiten mit Unverständnis quittiert. Gröning hatte in Auschwitz zwei Jahre lang das Bargeld von Juden verwaltet, die in das Vernichtungslager transportiert wurden. Er bewachte außerdem die Bahnrampe, an der Neu-Angekommene aus den Waggons geholt wurden. Ohne Beweis einer konkreten Straftat sei eine Verurteilung wegen Mordes nach deutschem Recht nicht möglich, meinen Juristen. Anwalt Thomas Walther sagte, dass im Verfahren kein Beweisstück präsentiert worden sei, das für eine Mordanklage ausreiche.

Anwalt Cornelius Nestler (Foto: DW/B. Knight)
Anwalt Nestler vertrat mehr als 50 Holocaust-ÜberlebendeBild: DW/B. Knight

Walther vertrat mit seinem Kollegen Cornelius Nestler im Prozess mehr als 50 Holocaust-Überlebende. Aus ihrer Sicht wäre eine Revision nicht nur sinnlos, sondern damit könnte das Ergebnis des ganzen Verfahrens auf der Kippe stehen. Falls der 94-jährige Gröning vor Abschluss einer Revision sterben sollte, wäre das Urteil gegen ihn hinfällig. Zudem berge eine Neuauflage des Prozesses die Gefahr, dass der BGH das vorinstanzliche Urteil aus verfahrenstechnischen Gründen aufhebt.

Verpasste Gelegenheit

Ingo Müller dokumentierte in seinem Standardwerk "Furchtbare Juristen - Die unbewältigte Vergangenheit unserer Justiz" das Versagen der Richter in der Nachkriegszeit, Nazi-Verbrechen aufzuarbeiten. "Ich ärgere mich furchtbar, denn hier wäre die Chance gewesen, so etwas einmal rechtskräftig werden zu lassen", sagt Müller im DW-Gespräch. "Der Richter hat ganz klar gesagt: Auschwitz war eine Mordmaschine. Auschwitz war der Mord - und jeder, der da irgendwie mitmacht - Koffer sortiert, oder Vermögen auflistet - leistet Beihilfe zu diesem Mord."

Ein Blick auf die Geschichte der deutschen Justiz nach der NS-Zeit macht deutlich, welche Bedeutung der Lüneburger Richterspruch hat. Im Jahr 1969 hatte der BGH einen Freispruch für den SS-Lagerzahnarzt in Auschwitz, Willi Schatz, bestätigt. Damals hatten die Richter noch erklärt, dass eine Tätigkeit in Auschwitz noch nicht per se ein Straftatbestand sei.

Nebenklägerinnen im Prozess gegen Oskar Gröning. (Foto: Reuters)
Holocaust-Überlebende traten in dem Prozess als Nebenkläger aufBild: Reuters/J. Stratenschulte

"Das wäre die allerletzte Chance gewesen, das [Willi Schatz-Urteil] rückgängig zu machen", sagt Müller. Durch die Revision werde verhindert. dass das Urteil rechtskräftig werde. "Die deutsche Justiz hätte sich da ein kleines bisschen rehabilitiert. Die ganzen positiven Effekte dieses Urteils sind verpufft, weil es vermutlich nicht rechtskräftig wird", klagt der Jurist.

Unabhängig von der Nebenklage hat auch Grönings Anwalt Hans Holtermann Revision beantragt. Er will erreichen, dass Grönings Kooperation in früheren Ermittlungen zu Nazi-Verbrechen im Urteil berücksichtigt wird. Holtermann zufolge hätte auch die lange Verzögerung in dem Justizprozess das Strafmaß reduzieren müssen. Bereits in den späten 1970er Jahren hatte die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Gröning aufgenommen.

Künftige Holocaust-Verfahren unklar

Noch gibt es eine Chance auf weitere Holocaust-Prozesse. Die "Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen" in Ludwigsburg versucht mit akribischen Recherchen, Nazi-Verbrechen vor Gericht zu bringen.

Die Arbeit der Behörde bekam neuen Schub mit dem Urteil gegen John Demjanjuk im Jahr 2011. Er hatte der Wachmannschaft im Vernichtungslager Sobibor in Polen angehört. Das Urteil war bahnbrechend, weil es bedeutete, dass theoretisch jeder Lagerwachmann niederen Ranges vor Gericht gestellt werden könnte. Ausschlaggebend dafür wäre kein persönlich begangenes Verbrechen, sondern die Rolle als Zahnrad in der Vernichtungsmaschinerie des Holocaust. Allerdings starb Demjanjuk vor Abschluss der Revision gegen sein Urteil. Es wurde nicht rechtskräftig.

Acht laufende Ermittlungen

Die Ludwigsburger Behörde erstellte damals eine Liste mit 50 Namen. Alle sollen in den großen Lagern gearbeitet haben. Einer von ihnen war Gröning. Diese Liste sei nun auf acht laufende Untersuchungen zusammengeschrumpft, sagte Staatsanwalt Thomas Will. In drei Verfahren sei Anklage erhoben worden. Es liege bei den Staatsanwaltschaften in Dortmund, Schwerin und Frankfurt am Main, die Verfahren vor Gericht zu bringen.

In Frankfurt wird laut "Bild"-Zeitung gegen den einstigen Auschwitz-Wachmann Ernst T. ermittelt. Er soll laut Staatsanwaltschaft an drei Transporten in Konzentrationslager beteiligt gewesen sein. Von den insgesamt 1870 Menschen in den Zügen sollen mindestens 1075 unmittelbar nach ihrer Ankunft in den Gaskammern von Auschwitz getötet worden sein. Ein eher absurdes Detail im Verfahren gegen Ernst T. wirft ein Schlaglicht auf die schleppende Aufarbeitung der NS-Vergangenheit: Weil sich T. als 19-Jähriger freiwillig bei der SS meldete, wird der heute 92-Jährige wohl nach Jugendstrafrecht behandelt.