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Urlaubszentrum für die angepasste Masse

Ronny Arnold4. August 2004

Auf der Ostseeinsel Rügen steht ein Relikt der Nazi-Zeit: Der gigantische Erholungskomplex im Dorf Prora. Die Betonruine weckte bisher mehr Schauder als Interesse. Nun erzählt eine Ausstellung ihre Geschichte.

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Kleiner Abstecher in die deutsche GeschichteBild: picture-alliance/ZB

Gleich hinter der Stranddüne und einem kleinen Wald erhebt sich der mächtige Bau - 4,5 Kilometer lang. 1000 Zimmer sollte das "Kraft durch Freude"-Bad haben - alle mit Blick aufs Meer. Die Idee kam von Adolf Hitler selbst. Es ist das größte Seebad, das je entworfen wurde.

Ferien am Fließband

Ausstellung in Prora
Dokumentationszentrum ProraBild: dpa

Das Dokumentationszentrum Prora ist ganz neu eröffnet. Archivmaterial erzählt hier die Bau- und Nutzungsgeschichte des Seebades nach. 20.000 Volksgenossen sollten in Prora gleichzeitig preiswerte Ferien verbringen. Immer für zehn Tage - eine halbe Million Menschen pro Saison. Kontrollierte Ferien am Fließband: Jürgen Rostock, Leiter des Dokumentationszentrums, klärt über die wahre Rolle des Naziurlaubs auf:

"Der Führer der Arbeitsfront hat ja immer wieder gesagt, dass damit die Nerven gestärkt werden sollen. Wenn die Leute kräftig sind und gesund sind und fröhlich, dann können sie schwere Zeiten - und damit meinte man auf alle Fälle immer den Krieg - besser ertragen. Letztlich ist es ein kriegsvorbereitendes Projekt gewesen, Prora zu bauen."

Leer und verfallen

So weit kam es allerdings nicht: Ab Kriegsbeginn 1939 ruhten die Arbeiten in Prora größtenteils. Nur Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter mussten bis Kriegsende weiterbauen. Danach zogen für kurze Zeit erst die Sowjets ein, Mitte der 1950er-Jahre dann die Volksarmee der DDR. Heute ist die Anlage denkmalgeschützt, doch ein Großteil steht leer und verfällt.

Im Dokumentationszentrum widmet sich die Ausstellung "MACHTUrlaub" der Idee der deutschen Volksgemeinschaft. Denn in Prora sollte nur Urlaub machen, wer zur gleichgeschalteten und angepassten Masse gehörte. Man wollte die Gleichheit aller Volksgenossen vortäuschen. Leiter Rostock erklärt: "Dabei ging es bekanntermaßen im Nationalsozialismus sehr streng hierarchisch zu. Alles unterteilte sich in Führer und Gefolgschaft. Die Volksgemeinschaft war letztlich eine Illusion."

Auffallende Zurückhaltung

Im größten Raum zeigt das Zentrum eine Sonderausstellung über tschechische Zwangsarbeiter in Deutschland. Über ein Jahr hat die Kuratorin Zdenka Kokosková dafür in Prag Dokumente gesammelt. Die Ausstellung zeigt, dass die Arbeiter um 1939 noch freiwillig nach Deutschland kamen. Später zwang man sie zur Arbeit in der kriegswichtigen Industrie. "Die Dokumente stammen aus dem staatlichen Zentralarchiv in Prag, aber auch aus dem Deutsch-Tschechischen Zukunftsfond. Das ist das Büro für Naziopfer in Prag", berichtet Kokosková.

Die Gelder für das Dokumentationszentrum stammen ausschließlich von der EU. Die Initiatoren der umfangreichen Ausstellung wollen auch den Bund und die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern für Prora interessieren. Bisher hält man sich dort jedoch auffallend zurück. Kein Vertreter kam zur Ausstellungseröffnung.

Lernort statt Gedenkort

Immerhin war bei der Eröffnung der Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin zu Gast. Wolfgang Benz erklärt in seiner Rede, dass Prora weniger "Gedenkort" als vielmehr "Lernort" sei: "Hier werden Legenden aufgelöst und zerstört." Legenden wie jene, dass es den Arbeitern im Nationalsozialismus doch gut gegangen sei.

Hitler hält eine Rede mit Hakenkreuz im Hintergrund
Adolf HitlerBild: AP

Rechtsradikale gingen heute immer noch auf Stimmenfang mit diesem Argument, sagt Benz. Dass jedoch die Nazis ihr modernes und sozialpolitisches Engagement für Propaganda missbrauchten, davon können sich Besucher in Prora heute überzeugen. Bei einem kleinen Abstecher in die deutsche Geschichte, die auch auf Rügen zwischen stillen Wäldern, Strand und Wellen statt gefunden hat.