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Urteil im Ayodhya-Streit

1. Oktober 2010

Moschee oder Tempel - über dieser Frage kam es zwischen Muslimen und Hindus im nordindischen Ayodhya 1992 zu blutigen Ausschreitungen. Jetzt hat ein Gericht die Aufteilung des Geländes verfügt. Die Parteien lehnen ab.

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Mit verschiedenen religiösen Symbolen appellieren Schulkinder an ein friedliches Miteinander (Foto: AP)
Mit verschiedenen religiösen Symbolen appellieren Schulkinder vor dem Urteil an ein friedliches MiteinanderBild: AP

Nach 60 Jahren hat ein indisches Gericht die explosive Frage zu klären versucht, wem eine von beiden Religionsgruppen gleichermaßen beanspruchte heilige Stätte gehört. Vor 18 Jahren hatten fanatische Hindus die in Ayodhya im Bundesstaat Uttar Pradesh liegende und im 16. Jahrhundert errichtete Babri-Moschee dem Erdboden gleichgemacht. Die Moschee sei gewaltsam auf dem Fundament eines im elften Jahrhundert gebauten Tempels errichtet worden, so der Vorwurf. Bei den folgenden tagelangen Ausschreitungen zwischen Hindus und Muslimen wurden mehr als 2000 Menschen getötet. Die Begründung des Urteils, das am Donnerstag (30.09.2010) gesprochen wurde, umfasst Berichten zufolge mehr als 10.000 Seiten.

Sensibles Thema

Sicherheitskräfte in den Straßen von Ayodhya (Foto: AP)
Sicherheitskräfte in den Straßen von AyodhyaBild: AP

Schon Tage vor der Urteilsverkündung wurden mehr als 200.000 Sicherheitskräfte in Ayodhya und anderen spannungsgeladenen Landesteilen stationiert, um mögliche Ausschreitungen zwischen Hindus und Muslimen zu verhindern. Schulen, Geschäfte und Büros in Ayodhya blieben geschlossen. Die gespenstische Stille verstärkte bei vielen Menschen die Angst und ließ Erinnerungen an die Ausschreitungen von 1992 aufleben.

Dabei rühmt sich Indien gerne als "Schmelztiegel der Kulturen", als ein Land, in dem alle großen Weltreligionen bis auf wenige Ausnahmen in harmonischer Koexistenz zusammenleben. Der indische Innenminister Palaniappan Chidambaram appellierte noch wenige Stunden vor dem Urteil an alle gesellschaftlichen Schichten: "Arbeiten Sie mit der Regierung zusammen und besinnen Sie sich auf die Werte, die allen in Indien so wichtig sind und uns so sehr am Herzen liegen."

Stark gesicherte Anlage

Soldaten-Patrouille in Mumbai (Foto: AP)
Erhöhte Sicherheitsmaßnahmen anlässlich des Urteils auch in MumbaiBild: AP

Der Komplex in der nur 50.000 Einwohner zählenden Stadt Ayodhya ist derzeit von einem vier Meter hohen Zaun umgeben und wird vom Militär bewacht. Bereits seit 1984 forderten Vertreter des Hindu-Nationalismus die Errichtung eines Rama-Tempels auf dem Gelände der Babri-Moschee. Der hinduistischen Mythologie zufolge wurde dort vor 900.000 Jahren der Gott Rama geboren. Die Forderungen erhielten neuen Zündstoff, als sich 1990 Lal Krishna Advani von der Bharatiya Janata Party (PJP) und andere führende Politiker in die Debatte einschalteten.

Nach der Zerstörung der Moschee 1992 wurde ein Schrein zu Ehren des Gottes Rama auf den Ruinen der Babri-Moschee errichtet. Der einzige überlebende Attentäter der Anschläge auf Mumbai von 2008, Muhammad Ajmal Kasab, gab an, dass die Angriffe auch eine "Vergeltungstat" für die Zerstörung eben dieser Moschee gewesen seien. Übrigens hieß der Komplex in Ayodhya bis in die 1940er Jahre Masjid-i-Janmasthaan. Dies bedeutet "Moschee des Geburtsortes" und verdeutlicht die Bedeutung der Stätte für beide Religionsgruppen.

Enttäuschung und Unverständnis

Hinduistische Schüler in Ayodhya bei der Vorbereitung auf das Morgengebet (Foto: AP)
Hinduistische Schüler in Ayodhya bei der Vorbereitung auf das MorgengebetBild: AP

Nach dem Urteil des Gerichts wird das Areal von rund 500 mal 500 Metern zwischen den teilweise schon seit 1949 klagenden Parteien aufgeteilt. Zwei Teile gehen an die beiden klagenden Hindu-Parteien, ein Teil an die Muslime. Der anerkannte Rechtsexperte Rajeev Dhawan zeigt sich enttäuscht über das Urteil. "Wenn man irgendwo Land aufteilen will, dann muss man doch zuerst feststellen, wem das Land überhaupt gehört. Ich finde, mit diesem Urteil hat das Gericht etwas gemacht, das es nicht hätte tun sollen, weil es auf diese wichtige Frage keine Antwort hatte." Seit Jahren hätten die Konfliktparteien es nicht geschafft, das Land zwischen sich aufzuteilen, und "jetzt sagt das Gericht: Ihr müsst das machen, und zwar in den nächsten drei Monaten."

Auch der Anwalt und Aktivist Prashant Bhushan sieht die Entscheidung kritisch. "Geht man nur nach Recht und Gesetz, dann ist dieses Urteil falsch. Denn die Grundlage ist der Glaube der Hindus, dass hier der Gott Rama geboren wurde." Allerdings, so der Anwalt weiter, ergebe sich daraus noch lange kein Rechtsanspruch.

Drei Bürger, drei Meinungen

Vor dem Fernseher wartet eine Familie auf die Urteilsverkündung (Foto: AP)
Großes Interesse beim Volk: Vor dem Fernseher wartet diese Familie auf die UrteilsverkündungBild: AP

In der Bevölkerung gehen die Meinungen auseinander. "Ich glaube, dass dieses Urteil für beide Religionsgruppen akzeptabel sein dürfte", meint ein indischer Bürger. Damit könne ein neues Exempel statuiert werden, was die Brüderlichkeit zwischen den Religionsgruppen angeht. Ein anderer geht noch weiter und wünscht sich, dass Muslime und Hindus gemeinsam an der heiligen Stätte beten würden. "Es bringt doch nichts, dauernd zu streiten und zu schimpfen." Eine Frau dagegen kann ihre Enttäuschung nicht verbergen. "Es wäre besser gewesen, das Land zu gleichen Teilen zwischen den Religionsgruppen aufzuteilen. Aber wenn das der Wille des Gerichts ist, dann müssen wir alle es auch akzeptieren."

Der Anwalt des sogenannten "Babri Masjid Action Committee", der Interessenvertretung der muslimischen Seite im Ayodhya-Streit, hat bereits angekündigt, vor dem Obersten Gericht Indiens gegen das Urteil zu klagen. Das Gericht habe zwar anerkannt, dass eine Moschee auf dem Gelände existierte, aber die Aufteilung in drei Teile sei trotzdem falsch, so der Jurist. Genauso hat auch der Vertreter der Hindu-Seite, der Präsident des "Hindu Ram Janambhoomi Trust", angekündigt, vor das oberste Gericht Indiens ziehen zu wollen. Er sieht den Anspruch der Muslime auf das Stück Land weiterhin als nicht gerechtfertigt an. Laut Urteil soll eigentlich in drei Monaten mit der Aufteilung des Areals begonnen werden.

Autorin: Priya Esselborn
Redaktion: Hans Sproß / Esther Broders