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US-Japanerin: "Das will niemand hören"

Mara Bierbach, Washington / glh29. Mai 2016

Während des Zweiten Weltkrieges ließ die US-Regierung japanische Amerikaner in Lagern internieren. Eine von ihnen war Mary Murakami. Der DW erzählt sie, warum ihre Geschichte heute noch bedeutsam ist.

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Die japanischstämmige Amerikanerin Mary Murakami
Bild: DW/M. Bierbach

Es begann nach dem Angriff der japanischen Armee auf den US-amerikanischen Pazifikhafen Pearl Harbor im Dezember 1941. Kurz darauf erklärten die USA Japan den Krieg und gleichzeitig alle im Land lebenden Japaner oder japanischstämmigen Bürger zu einem Sicherheitsrisiko. Im Februar 1942 unterzeichnete der damalige US-Präsident Franklin D. Roosevelt ein Dekret, auf dessen Grundlage über 120.000 Menschen gegen ihren Willen in Lagern inhaftiert wurden. Nur ein Fünftel der Internierten war in Japan geboren. Die meisten gehörten der zweiten oder dritten Generation japanischer Auswanderer an. Heute wird ihre Internierung als Ausdruck einer rassistischen und fremdenfeindlichen Politik bewertet.

Mary Murakami war 14 Jahre alt, als die US-Regierung sie und ihre Familie aus Kalifornien in ein Lager in Utah brachte. Heute erzählt die pensionierte Mikrobiologin ihre Geschichte bei Vorträgen in Schulen oder Universitäten.

Deutsche Welle: Wie schnell veränderte sich die Stimmung in den USA nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor?

Mary Murakami: Es begann alles schon am selben Tag. Wir wussten, dass das FBI bereits eine Liste besaß, und dass sie kommen und Menschen abholen würden. Der Neffe meines Vater war bereits abgeholt worden.

In dieser ersten Nacht nach Pearl Harbor wurde es sehr ruhig bei uns in "Japanese Town" in San Francisco. Als wir aus unserem Fenster schauten, sahen wir die US-Armee. Die Männer standen Schulter an Schulter auf der Straße, von einem Gehweg zum anderen. Man kam weder in unseren Stadtteil herein noch heraus. Da wussten wir, dass es sehr schlecht für uns aussah.

Mary Murakami (Foto: DW/M. Bierbach)
Mary Murakami als junge Frau. Sie war 14 Jahre alt, als die Regierung sie in das Internierungslager brachteBild: DW/M. Bierbach

Wie war die Zeit, bis Sie im Frühling 1942 in das Internierungslager mussten?

Zunächst gab es eine Ausgangssperre. Es hieß, sie beziehe sich auf "einige Meilen". Doch diese "Meilen" wurden immer kürzer. Der Bereich, in dem wir uns bewegen durften, wurde von Tag zu Tag kleiner. Bald konnten meine ältere Schwester und mein Vater nicht mehr zur Arbeit gehen. Und dann konnte mein älterer Bruder nicht mehr zur High School gehen. Irgendwann galten die Ausgangssperren sogar für die einzelnen Häuserblocks, da konnte dann auch ich nicht mehr zur Schule gehen.

Viele wurden wegen der Ausgangssperre arbeitslos. Dazu kam, dass die Bank bestimmte, welchen Betrag man monatlich abheben konnte, sodass man nicht an seine Ersparnisse kam, um davon zu leben.

Bevor man Sie im Frühjahr 1942 in das Lager brachte, informierte die US-Armee Sie auf Plakaten darüber. Dort stand auch, dass Sie nur mitnehmen durften, was Sie tragen konnten. Was passierte mit Ihrem ganzen Hab und Gut?

Meine Eltern mussten alles verkaufen - sieben Zimmer voll Möbel. Am nächsten Tag kamen die Käufer und verkauften unser Klavier für einen Betrag weiter, den sie uns für das komplett möblierte Haus gezahlt hatten.

Manche Kirchen, die japanische Mitglieder hatten, boten an, ein paar Dinge zu lagern. Wir brachten Sachen dorthin, die wir für die Zeit nach dem Krieg aufheben wollten. Aber als wir zurückkamen, war alles weg - das gute Geschirr, das meine Mutter noch aus Japan hatte, unsere Puppen. Die meisten der öffentlich gelagerten Habseligkeiten wurden uns weggenommen. Viele US-Japaner haben alles verloren, ihre Häuser, ihre Arbeit, ihr ganzes Hab und Gut.

Internierungslager in Utah (Foto: DW/M. Bierbach)
So sieht das Lager aus, in das Mary Murakami mit ihrer Familie ziehen mussteBild: DW/M. Bierbach

Wie war das Leben im Internierungslager für Sie?

Wir wurden in Baracken mit etwa 200 Personen untergebracht. Jeder Familie wurde eine Nummer zugewiesen - wir waren Nummer 22416. Jedem einzelnen Familienmitglied wurde dann sogar noch eine persönliche Nummer zugeteilt, sodass man genau wusste, an welcher Stelle man in der Familie war, meine Nummer war 22416E. Mein Vater war 22416A, meine Mutter 22416B. Wir waren nur noch Zahlen.

Wir hatten Glück, weil meine Schwester zwei Zimmer für unsere siebenköpfige Familie organisieren konnte - eins für meine Eltern und Brüder, eins für uns Mädchen. Eigentlich hätten wir nur eins bekommen. Die einzigen Möbel, die wir hatten, waren Armeebetten und ein Kanonenofen, der uns warm hielt. Es war manchmal bitterkalt in Utah, aber die Kälte hat uns nicht so sehr gestört. Schlimmer waren die Sandstürme. Der Sand traf uns mitten ins Gesicht, man konnte sich nirgends davor schützen - und die Böden in den Baracken hatten alle Löcher, so dass alles voll Sand war.

Wir hatten eine Gemeinschafts-Latrine für alle Familien in unserer Baracke. Die Toiletten hatten keine Türen und standen sich gegenüber. Genauso waren die Duschen.

Was ist Ihre schlimmste Erinnerung aus der Zeit in dem Lager?

Einmal kam ein Mann zu nah an den Stacheldrahtzaun. Der Mann war ungefähr so alt wie meine Eltern und konnte kein Englisch. Die Wache verstand ihn nicht und erschoss ihn.

Ich fand es auch schrecklich, wenn ich zu Fuß an den Baracken entlanglief und einen goldenen Stern im Fenster sah. Der Stern bedeutete, dass die Familie einen Sohn in der Armee hatte und er gefallen war.

Es gab also Männer aus dem Lager, die in der US-Armee dienten?

Ja, eine ganze Menge sogar. Einige Männer entschieden sich freiwillig für die Armee, um ihre Loyalität zu den USA zu beweisen. Auch hofften sie, dass die Lager durch ihren Einsatz früher geschlossen würden. Aber das geschah nicht. Der Mann meiner Schwester diente auch freiwillig in einem gesonderten japanisch-amerikanischen Bataillon. Es bekam die meisten Auszeichnungen.

Irgendwann kamen die Rekrutierer auch in die Lager, um die jungen Männer zu holen. Sobald sie 18 Jahre alt waren, mussten sie zum Militär. Auch mein Bruder wurde direkt nach seinem Schulabschluss eingezogen und nach Deutschland geschickt.

Eine japanisch-amerikanische Einheit der US-Armee befreite eines der Nebenlager von Dachau. Es war so ironisch, weil die meisten der Soldaten in dieser Einheit selbst Eltern hatten, die in Internierungslagern waren.

Internierungslager in Utah (Foto: DW/M. Bierbach)
Ein Feldbett und ein Ofen - die spärliche Einrichtung in den BarackenBild: DW/M. Bierbach

Nun gehen Sie in Schulen und andere Institutionen und erzählen von ihren Erlebnissen. Warum ist Ihnen das so wichtig?

Es ist ein Teil der US-amerikanischen Geschichte, von dem die meisten Menschen nichts wissen wollen. Aber sie müssen sich diese Geschichte anhören, vor allem jetzt. Einige Zeitungen und Politiker behandeln die Muslime bei uns heute so, wie sie uns damals behandelten.

Was bewegt Sie, wenn Sie an die anstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA denken?

Ich bin sehr besorgt. Wenn Trump Präsident wird… Wie er über Muslime spricht, macht mich sehr besorgt. Das ist einer der Gründe, warum ich meine Geschichte erzähle. Ich möchte zeigen, was für ein großer Fehler es war, als man uns unsere Bürgerrechte einfach so wegnahm. Diese Wahl zeigt uns klar und deutlich, dass so etwas wieder passieren kann.