1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Durch den Konflikt in der Ukraine schwindet das Interesse an Syrien

Ben Knight/JS10. April 2014

Mit den Spannungen in der Ukraine schwinden die Chancen für einen Frieden in Syrien. Die Bevölkerung leidet weiterhin: Sie zahlt den Preis für die Pattsituation zwischen Russland und dem Westen.

https://p.dw.com/p/1Bew9
Foto: REUTERS/Muhammad Hamed
Bild: Reuters

Trotz seiner wachsenden Bedeutungslosigkeit ist der Syrische Nationalrat (SNC) noch immer aktiv. Vor wenigen Tagen traf das syrische Oppositionsbündnis wieder einmal zusammen: In einem Istanbuler Hotel, über tausend Kilometer von Damaskus entfernt, wählte der Nationalrat eine neue politische Vertretung und ernannte einen Gesundheits-, Bildungs- sowie einen Innenminister. Dass dieses syrische Übergangskabinett aber jemals irgendetwas regieren wird, ist unwahrscheinlicher denn je. Die zweite Runde der Genfer Friedensgespräche ist Ende Januar ohne Beschluss zu Ende gegangen. Und seit der militärischen Eskalation in der Ukraine und der Vertiefung der Kluft zwischen den USA und Russland sieht es nicht danach aus, dass die Gespräche in absehbarer Zeit wieder aufgenommen werden.

Erste Priorität: Umgang mit der Krim-Krise

Die Krise um die Halbinsel Krim hat dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad in die Hände gespielt - und den Rebellen einen weiteren Schlag versetzt. In der libanesischen Zeitung As-Safir berichtete eine "Quelle aus der Opposition", dass die US-Regierung nicht nur Waffenlieferungen an die Rebellen zurückhalte, sondern auch "die Bekanntgabe seiner Politik zu Syrien verschoben hat, um die Spannungen mit Russland nicht zu verstärken."


Für Jonathan Eyal, Direktor für internationale Studien am britischen Royal United Services Institute, passt diese Meldung zu den derzeitigen Prioritäten des Westens. "Die USA sind entschlossen, die Problematik in Syrien getrennt von der Krise in den Beziehungen zwischen Russland und den Vereinigten Staaten zu halten", sagt er im Gespräch mit der DW. "Das Letzte, was die US-Regierung jetzt braucht, ist eine kritische Analyse ihrer Syrien-Politik in den Medien."

Türkei Syrien Treffen syrischer Nationalrat in Istanbul
Syrischer Nationalrat (SNC): Machtlos in IstanbulBild: BULENT KILIC/AFP/Getty Images

Mit anderen Worten: Der syrische Konflikt, der mindestens 140.000 Menschen das Leben gekostet hat, seit 2011 friedliche Proteste in eine gewalttätige Unterdrückung der Opposition umgeschlagen sind, gerät ins Hintertreffen. Es ist der Preis dafür, den Frieden mit Russland zu wahren, das Assad unterstützt und sich einer ausländischen Intervention in Syrien widersetzt. "Die Westmächte können Russland nur mit einer begrenzten Menge von Themen gleichzeitig konfrontieren", meint Marc Pierini, ehemaliger EU-Diplomat in Damaskus und Gastwissenschaftler an der Carnegie Europe, einem Think-Tank in Brüssel. "Die Krise auf der Krim hat Priorität, weil sie begleitet wird von der - echten oder nur wahrgenommenen - Bedrohung einer russischen Militärintervention in der Ukraine", sagte Pierini der DW.

Zweite Priorität: Iran im Griff halten

Im Vorgehen des Westens spiegelt sich eine reale Angst: dass sich jede Konfrontation mit Russland zu einem weltweiten Konflikt entwickeln könnte. "Es ist ein Gefühl, dass wir keine Positionen vertreten sollten, die nicht mehr umkehrbar sind und zu einem neuen Kalten Krieg führen könnten", meint auch Jonathan Eyal. Anders gesagt: Der Westen sollte Russland genügend Raum lassen, im Zweifel einen Rückzieher machen zu können.

Foto: AP photo/RIA
Putin bleibt an Assads SeiteBild: dapd


In diesem blutigen Spiel gibt es noch einen weiteren wichtigen Aspekt: Der jahrzehntealte Streit über die nuklearen Ambitionen Irans. "Die US-Regierung läuft auch beim Thema Iran auf einem schmalen Grat", sagt Eyal. "Und sie weiß, dass ein Bruch der Übereinkunft zwischen Russland und den USA zu Syrien den Umgang mit dem Iran erschweren dürfte."
Barack Obamas Unentschlossenheit in der Syrien-Frage ist deutlich älter als die Krim-Krise. Der US-Präsident schien erleichtert, als Russlands Präsident Wladimir Putin Assad Ende vergangenen Sommer dazu überredete, auf seine chemischen Waffen zu verzichten. Obama konnte so eine militärische Intervention in Syrien umgehen. "Man könnte argumentieren, dass die US-Regierung ohnehin keine kohärente Politik zu Syrien hatte", so Eyal. "Und man kann sagen, dass der US-Präsident die langfristigen Interessen in Syrien schon im Spätsommer des vergangenen Jahres geopfert hat, als Obama eine vermeintliche rote Linie festlegte, die er dann aber ignorierte."

Die Genfer Verhandlungen sind tot

Die russische Regierung hat ihrerseits ebenfalls ein großes Interesse daran, die Krim-Krise auf Europa zu beschränken. So sehr die Spannungen an anderer Stelle auch zugenommen haben mögen: Der Deal, Assads Chemiewaffen zu zerstören, ist bestehen geblieben. Aber der Preis dieser Kooperation zwischen Russland und dem Westen war, dass das größte syrische Oppositionsbündnis SNC an den Rand gedrängt wurde - und das Schicksal des Landes jetzt faktisch über die Köpfe des syrischen Volkes hinweg verhandelt wird.


Offiziell ist das Ziel der US-Regierung zwar noch immer, das Assad-Regime durch eine Übergangsregierung unter Beteiligung des SNC zu ersetzen. Doch die Aussichten dafür sind im Moment gleich Null. Unterdessen nutzt Assad die Schwäche des SNC offenbar dazu, mit Präsidentschaftswahlen seine Macht neu zu legitimieren. "Niemand im Westen würde eine solche Volte ernst nehmen", sagt der ehemalige EU-Diplomat Marc Pierini. "Aber die Idee könnte Unterstützung aus Russland bekommen, und sei es nur, um den Westen auf andere Weise herauszufordern." Und Jonathan Eyal fügt hinzu: "Den Preis dafür müssten dann natürlich die Menschen in Syrien zahlen."

Foto: REUTERS/Kevin Lamarque
Obamas unpolitische Syrien-PolitikBild: Reuters


Während die Syrien-Gespräche in Genf auf Eis liegen, geht die Gewalt im Land weiter: Assad führt seine Luftangriffe fort, Bombenanschläge und Hinrichtungen durch extremistische islamistische Kräfte sind weiter an der Tagesordnung. Auch vom Iran finanzierte Hisbollah-Kämpfer dringen weiterhin ins Land ein. Es besteht die Gefahr, dass der Konflikt auf den Libanon übergreift. "Ich sehe nicht, dass die Gespräche in Genf in diesem Stadium irgendwohin führen könnten", sagt Pierini. "Und Russland hat auch gar kein Interesse daran."