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USA und EU streiten über Militärpolitik

Bernd Riegert22. Oktober 2003

War alles nicht ganz so gemeint, hört man derzeit aus Brüssel, wenn es um die EU-eigenen Truppen geht. Damit soll das NATO-Mitglied USA besänftigt werden. Die fürchten um ihren militärischen Einfluss in Europa.

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Es begann alles mit einer Immobilie. Der belgische Premier Guy Verhofstadt suchte nach einer Verwendung für eine leerstehende Kaserne in Tervuren bei Brüssel. Da würde doch prima ein militärisches Hauptquartier für die aufstrebende militärische Supermacht EU reinpassen, dachten sich belgische Planer. Prompt schlug Verhofstadt seinen Kollegen aus Frankreich, Luxemburg und Deutschland Tervuren als Sitz der europäischen Generalität vor. Der "Pralinengipfel" stimmte zu und der Streit begann.

Den genießerisch klingenden Beinamen verpassten übrigens Amerikaner der Zusammenkunft. Sie spotteten, Luxemburg und Belgien hätten sich bisher eher durch die Fähigkeit, gute Schokolade herzustellen, hervorgetan als durch schlagkräftige Armeen. Doch die Entschlossenheit der Pralinenmächte, Europa aus dem militärischen Dornröschenschlaf zu wecken, hatten die USA und auch andere EU-Mitglieder wohl unterschätzt.

Mazedonien und Kongo als Belege

Frankreich und Deutschland wollen trotz aller anderslautender Beteuerungen ein militärisches Gegengewicht zu den Vereinigten Staaten und ihrer Präventivstrategie aufbauen, wenn es um Friedensmissionen, kurzfristige Befriedungsaktionen und ähnliche Militäraktionen geht. Im Prinzip hatte sich die Europäische Union (EU) schon 1999 zum Aufbau einer europäischen Armee bekannt, aber bislang waren die Bestrebungen mehr bürokratische Übungen. In jüngster Zeit hat die EU aber in Mazedonien und im Kongo erste Belege für ihre Fähigkeit abgeliefert, auch in Krisenregionen aktiv werden zu können.

Die USA, geschockt vor allem durch den Erfolg der Kongo-Mission unter französischer Führung, schlagen nun Alarm. Der NATO-Botschafter der USA, Nicolas Burns, schoss gleich mehrere verbale Breitseiten gegen die EU ab und redete eine Krise der NATO herbei, von der die europäischen Verbündeten nichts wissen wollen. Burns sieht, auf Weisung aus Washington, die NATO in Gefahr, wenn die EU parallele Strukturen aufbaue. Was er wohl eher in Gefahr sieht, ist der unbestrittende Einfluss, den die USA als wichtigste Macht in der NATO auf Europa ausüben.

Blair rudert zurück

Seit Jahren fordern die USA zwar die Europäer auf, mehr für ihre militärische Rüstung zu tun und die Technologielücke zur US-Armee zu schließen, aber eigenständiges Entscheiden war damit nicht gemeint. Eigentlich bräuchte sich Burns gar nicht so sehr aufregen, denn noch ist ein eigenständiges EU-Hauptquartier keineswegs von allen Mitgliedern beschlossen, ja sogar höchst umstritten. Die Pralinenstrategen hatten bis Freitag (17.10.2003) geglaubt, sie hätten auch den britischen Premier Tony Blair und damit eine der besten Streitkräfte der EU mit ins Boot geholt. Doch beim EU-Gipfel ruderte Blair wieder zurück. Er sagte, wohl nachdem Washington ordentlich Druck gemacht hatte, er lehne alles ab, was die NATO gefährden könnte. Allenfalls eine so genannte Planungszelle, aber bitte auf dem Gelände der NATO in Brüssel, sei möglich. Damit war Tervuren wieder vom Tisch. Endgültig.

Aber was ist in der EU schon endgültig? Der obstere General der EU, der Vorsitzende des Militärausschusses Gustav Hagglund, ließ die Zivilisten wissen, dass eine EU-Eingreiftruppe ohne eigenständige Kommando- und Führungsstrukturen keinen Sinn mache. Bisher sei man nämlich leihweise auf Einrichtungen der NATO, und damit auf das Wohlwollen der USA angewiesen.

In Brüssel gibt man sich derweil Mühe, die erzürnten Verbündeten auf der anderen Seite des Atlantiks wieder zu beruhigen. Nichts sei gegen die NATO gerichtet, die auf jeden Fall die klassische Landesverteidigung übernehmen solle.

Euros sollen für US-Waffen rollen

Die Befürchtung der USA, dass sich die Europäer verzetteln und ihr Geld in bürokratische Planungs-, Kommando- und sonstige Strukturen stecken, aber nicht in Bewaffnung und Transportflugzeuge, ist nicht ganz unbegründet. Ein Dorn im Auge ist den Amerikanern auch die von Teilen der EU angestrebte europäische Rüstungsagentur, die europäische Rüstungsgelder für europäische Produkte ausgeben soll. Lieber wäre es den USA allemal, wenn Euros, auch von den neuen NATO-Mitgliedern im Osten, für Rüstungsgüter "made in the USA" rollen würden.

Die größte Herausforderung für Truppen aus der EU könnte im nächsten Jahr kommen. Dann will die EU die Bosnien-Befriedungsmission SFOR von der NATO übernehmen. 6000 Mann sollen unter britischer Führung ausrücken. Die USA hatten Zustimmung signalisiert, die aber nach dem jüngsten Streit wieder zweifelhaft ist.