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USA und Russland einigen sich auf Atom-Abrüstung

8. April 2010

US-Präsident Obama und Kremlchef Medwedew haben in Prag ein neues START-Abkommen zur atomaren Abrüstung unterzeichnet. Die Einigung der ehemaligen Gegnermächte Russland und USA gilt als historischer Schritt.

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Obama, Medwedew (Foto: AP)
Kommt es zum historischen Handschlag zwischen Russland und den USA?Bild: picture-alliance/ dpa

"Als einzige Atommacht, die Nuklearwaffen eingesetzt hat, haben die USA eine moralische Pflicht, zu handeln". Mit diesem Satz, ausgesprochen vor genau einem Jahr bei einer Grundsatzrede in Prag, überraschte Barack Obama die internationale Gemeinschaft. Der US-Präsident sprach sich für nichts weniger als eine atomwaffenfreie Welt aus.

Eine historische Rede, der nun Taten folgen sollen. Und die Erwartungshaltung ist groß: Nicht zuletzt wegen der Ankündigung, die Atomwaffen zu reduzieren, erhielt Obama schließlich im Herbst 2009 den Friedensnobelpreis.

Menschenmassen und Obama (Foto: AP)
April 2009: Obama wirbt für eine atomwaffenfreie Welt in PragBild: abaca

Entscheidendes Abkommen

Als wichtigen ersten Schritt setzt der US-Präsident auf eine Atom-Verständigung mit Russland. Und erneut ist Prag Kulisse für einen historischen Obama-Auftritt: Dort will der US-Präsident am Donnerstag (08.04.2010) zusammen mit Russlands Präsidenten Dmitri Medwedew den neuen START-3-Vertrag zur Verringerung von Atomwaffen unterzeichnen. START steht für "Strategic Arms Reduction Treaty" und ist ein Abkommen zwischen den ehemaligen Feinden USA und Russland: Schrittweise sollen auf beiden Seiten die strategischen nuklearen Waffen aus Zeiten des Kalten Krieges abgebaut werden.

Historische Kulisse

Für Medwedew ist der geplante Handschlag mit Obama zwar nicht gerade ein Triumph, aber dennoch ein wichtiges Zeichen: Er hatte oft dazu aufgerufen, das Erbe des Kalten Krieges zu begraben. Er will zeigen, dass Russland dem Westen auf Augenhöhe begegnet. Einzig die Kulisse dürfte dem Kreml-Chef bitter aufstoßen: Seit dem "Prager Frühling", bei dem 1968 sämtliche Reformansätze von sowjetischen Panzern blutig niedergeschlagen wurden, fühlen sich russische Entscheidungsträger in Prag geschichtlich bedingt nicht ganz wohl.

Lange Vorgeschichte

Michail Gorbatschow (Foto: AP)
Unterzeichnete das erste START-Abkommen: Michail GorbatschowBild: AP

Dem historischen Handschlag gehen lange Verhandlungen voraus: Seit Jahrzehnten ist das START-Abkommen Streitpunkt zwischen den Großmächten. Bereits Anfang der 80er Jahre hatte US-Präsident Ronald Reagan die Idee eines solchen Abkommens. Dieses wurde sogar noch vor Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 vom nachfolgenden US-Präsidenten George Bush senior und dem russischen Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow unterzeichnet.

Der Vertrag, genannt "START 1", trat 1994 in Kraft und regelte den Abbau tausender Raketen und Sprengköpfe sowohl in Russland als auch in den USA: Nur noch maximal 6000 Atomsprengköpfe durften am Ende auf beiden Seiten übrig bleiben.

Vorgänger-Abkommen gescheitert

Um diese Zahl noch weiter zu reduzieren, sollte in den 90er Jahren das nächste Abkommen, "START 2" folgen. Es sah den Abbau von weiteren 3000 Sprengköpfen auf jeder Seite vor, verpflichtete aber weder zu einer Vernichtung der Sprengköpfe, noch klärte es eine Lagerung der Waffen. Die damaligen Präsidenten George Bush senior und Boris Jelzin unterschrieben den Vertrag 1993, der US-Senat ratifizierte das Abkommen drei Jahre später. Das russische Parlament, die Duma, sperrte sich jedoch: Durch die US-Politik der folgenden Jahre (NATO-Osterweiterung, Nato-Einsatz im Kosovo) weigerte sich Russland, das Abkommen zu ratifizieren.

Reizthema Raketenabwehr

Kernstreitpunkt ist und bleibt das Raketenabwehrsystem, das die USA im östlichen Mitteleuropa errichten wollen. Russland lehnt diese Pläne strikt ab. Das war auch schon vor zehn Jahren so: Als die Duma schließlich im Jahr 2000 das START-2-Abkommen ratifizierte, geschah dies nur unter der Bedingung, dass die USA weiterhin auf den Bau eines Raketenabwehrsystems verzichten. Auf dieses Spiel ließ sich Washington damals jedoch nicht ein - und START 2 trat nie in Kraft. Als Alternative einigten sich die damaligen Präsidenten George W. Bush (junior) und Wladimir Putin auf ein unilaterales Abrüsten von Sprengköpfen - jedoch ohne einen bindenden Zeitplan.

Demonstration (Foto: AP)
In Osteuropa gab es zahlreiche Proteste gegen die US-RaketenabwehrBild: AP

Obama kündigte im September 2009 an, auf ein Raketenabwehrsystem in Polen und Tschechien vorläufig zu verzichten und erhielt dafür von Russland viel Lob. Allerdings verfolgt Obama weiterhin ein US-Raketenabwehrprojekt in Bulgarien und Rumänien. Auch dieser Plan wird von den Russen rigoros abgelehnt. Unmittelbar vor dem Treffen in Prag richtete der Kreml erneut einen scharfen Appell ans Weiße Haus, jegliche Raketenabwehrpläne zu begraben. Das Obama/Medwedew-Papier ist in diesen Dingen ein Kompromiss. So bestand Russland auf die Klausel, dass die landeseigenen Sicherheitsinteressen auch in Zukunft von den USA berücksichtigt werden müssten.

Unter Zeitdruck

Vielleicht wäre es gar nicht zu einer Einigung zwischen Obama und Medwedew gekommen, würde den beiden Staatschefs nicht die Zeit davonlaufen. Denn: Das START-1-Abkommen läuft im April 2010 aus. Dementsprechend wichtig war es Barack Obama, das Thema START-Abkommen schnellstmöglich wieder auf die Tagesordnung zu setzen und einen neuen, bindenden Vertrag mit Russland zu unterzeichnen.

Russlands Präsident Dmitri Medwedew (Foto: AP)
Russlands Präsident Dmitri Medwedew einigte sich mit ObamaBild: AP

So vereinbarten Medwedew und Obama in langen Verhandlungen einen weiteren Abbau von Sprengköpfen und Raketen in den kommenden zehn Jahren. Danach darf jedes der beiden Länder nur noch maximal 1550 Sprengköpfe und 800 Raketen-Trägersysteme besitzen. Militärexperten warnen allerdings davor, diese Reduzierung überzubewerten: Insgesamt könne kaum von einem Abbau von mehr als 30 Prozent der Arsenale gesprochen werden, so ein russischer Militärexperte. Die atomare Überlegenheit der USA gegenüber Russland bliebe unangetastet. Auch westliche Diplomaten sehen in dem neuen Vertrag vor allem eine symbolische Bedeutung: Die Verständigung der ehemaligen Feinde Russland und USA sei ein wichtiges Stopp-Signal an andere Länder, die nach Massenvernichtungswaffen streben.

Dieser START-3-Vertrag soll jetzt in Prag feierlich unterzeichnet werden. Im Anschluss müssen noch die Parlamente beider Länder den Vertrag ratifizieren. Im Gegensatz zum Vorgänger-Abkommen sieht es diesmal gut aus, dass auch die russische Duma den START-Vertrag zügig durchwinkt.

Weitere Verhandlungen

Kurzstreckenrakete (Foto: AP)
Werden sie vernichtet? Eine russische KurzstreckenraketeBild: AP

Damit sind die Gespräche zwischen den beiden Ländern aber keineswegs abgeschlossen: Bei den weiteren Verhandlungen mit Russland soll es nicht nur um Langstreckenraketen, sondern auch um den Abbau der Atomwaffen mit kurzer Reichweite gehen. Erst dann könnten auch die US-Atomwaffen in Deutschland verschwinden: Immer noch lagern als Relikte des Kalten Krieges schätzungsweise bis zu 20 Atomsprengköpfe in der Bundesrepublik. Noch legte sich Obama aber nicht auf einen Zeitpunkt zum Abzug dieser Waffen fest.

Großer Gipfel

Die Anti-Atom-Bewegung von Barack Obama geht aber noch weiter: Nachdem er bereits am Dienstag eine neue US-Atomwaffen-Strategie vorgestellt hatte, reisen nun in der kommenden Woche die Staats- und Regierungschefs aus mehr als 45 Staaten auf Einladung des US-Präsidenten nach Washington D.C. Dort sollen auf einem riesigen Nuklear-Gipfel die internationalen Abrüstungsstrategien beraten werden. Zentrum der Debatte wird sein, wie man verhindern kann, dass Atomwaffen in die Hände von Terroristen fallen.

Und natürlich geht es auch bei diesem Gipfel wieder um Obamas Lieblingsfrage: Ist eine atomwaffenfreie Welt möglich? Die Antwort dazu hat er selbst gegeben, vor einem Jahr, bei seiner Grundsatzrede in Prag: "Ich bin nicht naiv. Das Ziel ist nicht rasch zu erreichen. Vielleicht auch nicht in der Zeit meines Lebens."

Autorin: Anna Kuhn-Osius (apn, dpa, afp, rtr)

Redaktion: Sabine Faber