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Völkerrechtlicher Meilenstein

Heinrich Bergstresser11. April 2002

Die Etablierung des Internationalen Strafgerichtshofs ist nicht zuletzt ein Erfolg Europas. Ein Kommentar von Heinrich Bergstresser.

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Vier Staaten hätten noch unterzeichnen müssen, nun sind es sogar neun: Mit der Hinterlegung dieser noch fehlenden Ratifikationen wurde der permanente Internationale Strafgerichtshof Wirklichkeit. Das Tribunal soll künftig u.a. über Völkermord und Kriegsverbrechen richten. Seine
Einrichtung ist ein Meilenstein in der Geschichte des Völkerrechts und nicht zuletzt den intensiven Bemühungen der Europäer zu verdanken.

Soviel steht jetzt schon fest: Der 11. April 2002 wird als denkwürdiger Tag in die Rechtsgeschichte und in die Geschichte der internationalen Beziehungen und dem damit verbundenen Völkerrecht eingehen.

Denn an diesem Tag ist die Grundvoraussetzung erfüllt
worden, den lang gehegten Traum von einem permanenten
Internationalen Strafgerichtshof Wirklichkeit werden zu lassen.

60 Ratifizierungsurkunden waren nötig, um dieses Gericht
rechtsverbindlich zu etablieren. Und nun sind es bereits 66 Staaten, die den Willen bekundet und bekräftigt haben, das Recht weiterzuentwickeln. Aber es ist mehr als nur ein formaler Akt, dem sich noch eine ganze Anzahl weiterer Staaten anschließen wird.

Es ist eine zivilisatorische Glanzleistung, wie sie in der Geschichte nicht allzu häufig vorkommt, die dafür aber Marksteine setzt, an der sich die Menschheit dauerhaft orientieren kann. Und wir erleben einen Emanzipationsprozess, in dem nach mehr als 300 Jahren nicht mehr der Nationalstaat als alleiniges Völkerrechtssubjekt handelt, sondern auch der Mensch, das Individuum, als internationales Rechtssubjekt anerkannt wird.

Europa und das europäische Denken haben ihre Wurzeln in der Aufklärung und den Idealen der französischen Revolution
glücklicherweise nie ganz aufgegeben. Nach einem Jahrhundert der Selbstzerfleischung hat Europa endlich einmal wieder Geschichte zum Wohle der Menschheit mitgestaltet und in weiten Teilen sogar bestimmt.

Denn es waren im wesentlichen die europäischen Staaten und zivilgesellschaftliche Gruppen auf dem alten Kontinent, die die Idee des Internationalen Strafgerichtshofes außerhalb der kleinen Expertenzirkel in der UNO hochhielten. Sie nutzten die Gunst der Stunde, im Angesicht der Gräultaten auf dem Balkan, in Ruanda und des Zusammenbruchs der Sowjetunion ihren Traum umzusetzen. Und es war sicherlich kein Zufall, dass vor vier Jahren an einem historischen Ort wie Rom die Weichen gestellt worden sind.

Fast die Hälfte der Ratifizierungsurkunden stammt aus Europa einschließlich Großbritanniens. Damit zeigt Europa Flagge und gibt sein überzeugendes Bekenntnis zu Rechtsstaatlichkeit und Demokratie ab. Der Internationale Strafgerichtshof ist ein wesentlicher Bestandteil dieses Bekenntnisses, denn er hat sich aus den Zwängen
und Fesseln der fünf Jahrzehnte währenden Weltordnung befreit. Der Bezugspunkt strafrechtlich relevanten Völkerrechts ist nun nicht mehr allein der UN-Sicherheitsrat, sondern - das Recht.

Genau das trifft die einzig verbliebende Supermacht USA ins Mark, die mit allen Mitteln diesen Gerichtshof verhindern wollte. Denn eine Hegemonialmacht duldet kein Völkerrecht, das diese Stellung einschränken und unterminieren könnte.

Dabei vergessen die USA, dass hegemoniale Phasen die Ausnahme und nur von kurzer Dauer sind. Gerade die USA, die wie kein anderes Land auf eine Erfolgsgeschichte
in Sachen Demokratie zurückblicken können, müssen sich auf ihre ureigensten Werte zurückbesinnen. Und diese Wertvorstellungen stammen im wesentlichen aus Europa.

Zur Zeit überdeckt gewaltige militärische und wirtschaftliche Macht das Denken in den USA. Aber sie bildet keinen Ersatz für allgemein gültige und verbindliche Rechtsverhältnisse, denen sich auch die USA nicht auf Dauer werden entziehen können.

Der Internationale Strafgerichtshof ist ein Meilenstein in der
Demokratisierung internationaler Institutionen. Und wenn in etwa einem Jahr die Ad-Hoc-Tribunale der Vergangenheit angehören und das Gericht zugleich als ein ständiges Tribunal Recht spricht, beginnt eine neue Ära in der Geschichte der Internationalen Beziehungen.