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Völlig aus der Luft gegriffen

Julia Bindert27. Juli 2005

Rocken für den Weltfrieden - auf einer Gitarre, die es gar nicht gibt. Und das auch noch bei richtigen Meisterschaften? Ist das Irrsinn oder womöglich doch Kunst? Ein Erklärungsversuch mit einer, die es wissen muss.

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Katharina Tomaschek spielt Gitarre ohne GitarreBild: dpa

Hände in die Luft und applaudieren: Katharina Tomaschek alias Leni Krawitzkowsy ist die amtierende Deutsche Meisterin im Luftgitarrespielen. Sie ist die erste Frau, die Deutschland bei den Weltmeisterschaften vom 25. bis 27. August 2005 in Oulu, Finnland, vertreten wird. Was durchaus absurd klingen mag, ist jedoch ein weltweiter Trend, der immer mehr begeisterte Anfänger findet.

Voraussetzungen und Regeln

Luftgitarre Logo
Logo German Air Guitar Federation

Wer das Luftgitarrenspektakel als kostengünstiges Hobby und die Teilnehmer gar als Luftikusse abtut, liegt falsch. Die Events unterliegen, man mag es kaum für möglich halten, strengen, weltweit geltenden Regeln. Oberste Priorität hat das Material der Gitarren: Luft. Allerdings kann sich jeder im Rahmen des künstlerischen Spielraums natürlich aussuchen, ob er die Jury mit einer imaginären Akustik- oder E-Luftgitarre beeindrucken will. Ebenso ist die Spielweise, sei es mit oder ohne Luftplektrum, vollkommen uneingeschränkt.

Einem Dresscode unterliegen die Künstler auch nicht, obwohl man sich einig ist, dass die Kleidung besser nicht aus Luft bestehen sollte. Gegen Luftroadies, die den Künstlern ihre Instrumente tragen und gegebenenfalls säubern, hat die Jury ebenfalls nichts einzuwenden. Die Bewertungsskala orientiert sich an den Regeln des Eiskunstlaufs. Schließlich steht ja der Stil der Sprünge, egal ob mit Schlittschuhen oder nicht vorhandenen Gitarren, im Vordergrund. Technische Fähigkeiten sowie eine vorhandene Airness spielt bei der Punktevergabe auch eine große Rolle. Unter "Airness" versteht die offizielle Definition die besondere Gabe, "die bloße Imitation zu transzendieren und das Spielen zu einer eigenständigen Kunstform zu erheben".

"Leni Krawitzkowsky"

BdT: Luftgitarrenmeisterschaft in Berlin: Katharina Tomaschek aus Eberswalde
Katharina Tomaschek performt das Lied 'Fields of Joy'Bild: AP

Für Katharina Tomaschek ist das Spielen der Luftgitarre ein Ausdruck purer Lebensfreude. Das Talent zum Luftgitarrespielen liegt ihrer Meinung nach in ihren Genen, eine Überzeugung, die die meisten Luftgitarrenspieler teilen: "Ich komme aus einer sehr musikalischen Familie, mein Vater ist außerordentlich musisch begabt." Sie selber spielt neben der Luftgitarre ebenfalls noch ein "echtes" Instrument: Klavier. Zum Luftgitarrespielen kam Katharina Tomaschek per Zufall. "Ich habe mein Auslandssemester in Oulu, Finnland, verbracht und da die Weltmeisterschaften im Luftgitarrespielen besucht. Ich war sofort begeistert", erzählt sie.

Somit war der Grundstein auf dem Weg zur deutschen Meisterin gelegt. Die Wahl des Künstlernamens war nicht schwer. "Leni Krawitzkowsky" setzt sich zusammen aus dem Musiker Lenny Kravitz und Mike Wazowski, dem liebenswürdigen Monster aus dem Trickfilm "Monster AG". Weitaus schwieriger und von großer Bedeutung ist die Auswahl der Stücke zu denen man die Luftgitarre spielt. "Man muss natürlich eine besondere Beziehung zu dem Stück haben, das merkt man beim Üben aber sehr schnell. Das Lied muss zu einem passen. Ich habe mich für Lenny Kravitz entschieden, da die Stücke eine weibliche Seite von ihm zeigen, die mich anspricht", erklärt Katharina Tomaschek.

Nun ist der Titel der deutschen Meisterin im Luftgitarrespielen nicht unbedingt eine Ehrung, die alltäglich ist. So drängt sich die Frage auf, wie das familiäre Umfeld reagiert. "Meine Familie ist stolz und sie freuen sich, mich in Zeitungsausschnitten und Radiointerviews zu hören. Am Anfang haben sie meinen Entschluss anzutreten allerdings etwas belächelt. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass Luftgitarrespielen eine so große Sache ist", beschreibt Tomaschek die Reaktionen in ihrem Umfeld.

Die Fangemeinde wächst

Deutsche Meisterschaft im Luftgitarrespielen
FansBild: Leixnering

Jedoch ist das Luftgitarrespielen in vielen Ländern schon seit Jahren bekannt und gleichermaßen beliebt. "Die Weltmeisterschaften in Oulu feiern 2005 ihr zehnjähriges Jubiläum", weiß Friederike van Meer, Vorsitzende der German Air Guitar Federation (GAGF). Neben Deutschland hat das Luftgitarrespielen in vielen europäischen Ländern sowie in Amerika, Neuseeland und Australien mittlerweile Tradition. Und die Fangemeinde wächst weiter. Dieses Jahr reisen Vertreter aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, Kanada und Spanien zum ersten Mal nach Finnland. Oulu ist nicht nur der jährliche Austragungsort der Weltmeisterschaften, sondern auch der Geburtsort des Luftgitarrenspielens. Am Rande des Oulu Video Festivals entstand dieser Trend und zog erfolgreich in die Welt hinaus.

Seit 2004 finden in die Deutschen Meisterschaften unter der Leitung der GAGF statt. "Ich kam zufällig auf die Internetseite des Weltverbandes und war sofort begeistert", erzählt Friederike van Meer. Das wachsende Interesse von Fans und Medien registriert sie mit großer Freude. "Die Zahl der regionalen Vorentscheide ist dieses Jahr gewachsen. Nächstes Jahr werden sie wahrscheinlich in jedem Bundesland stattfinden."

Schwerter zu Luftgitarren

Weiße Friedenstaube mit Ölzweig
FriedenstaubeBild: AP

Das erklärte Ziel der Luftgitarrenspieler aus aller Welt sowie des Weltverbandes ist der Weltfriede, der erreicht wird, wenn alle Menschen zusammen Luftgitarre spielen. Denn: Wer Luftgitarre spielt, hat keine Zeit mehr für Krieg. Und diesem Ziel wollen alle dienen. Andere ziehen ihre Faszination aus der gekonnten Mischung zwischen Ironie und Selbstdarstellung. Das Vorurteil, Luftgitarrenspielen sei nichts anderes als eine nach Aufmerksamkeit lechzende Selbstinszenierung, halten die Künstler für völlig aus der Luft gegriffen.

Das Urteil ob Luftgitarrespielen tatsächlich Kunst oder nur heiße Luft ist, sei jedem selbst überlassen. Humorvoll und interessant anzuschauen sind diese Veranstaltungen allemal. In diesem Sinne: Keep on Rockin'!