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"Iran stehen harte politische Kämpfe bevor"

Matthias von Hein20. Dezember 2015

Wie geht es weiter im Iran? Die Aufhebung der Sanktionen steht bevor und es gibt wichtige Wahlen im Februar. Zugleich provoziert das Land mit Raketentests. Iran-Experte Ali Vaez schildert im DW-Interview mögliche Folgen.

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Wachmann steht am 28.09.2011 vor dem petrochemischen Komplex Mahshahr in der Provinz Khuzestan im Südwesten des Iran. (Foto: ABEDIN TAHERKENAREH dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Zwölf Jahre lang hat die Internationale Atomenergiebehörde IAEA die Vorwürfe untersucht, der Iran arbeite an der Entwicklung von Atomwaffen. Jetzt hat die IAEA diese Untersuchung beendet. Ist damit der Weg frei zur Aufhebung der Sanktionen?

Ali Vaez: Was die IAEA beendet hat, waren ihre Untersuchungen zu Irans vergangenen Nuklearaktivitäten. Jetzt wird sie sich auf die Zukunft konzentrieren und auf die Umsetzung des Atomabkommens mit dem Iran (Joint Comprehensive Plan of Action, JCPOA). Damit die Sanktionen gegen den Iran aufgehoben werden können, muss der Iran zwei Drittel seiner noch aktiven Zentrifugen abbauen. Er muss den Kern seines Schwerwasserreaktors in Arak ausbauen und zerstören. Und er muss 97 Prozent des bereits angereicherten Urans außer Landes bringen - wahrscheinlich zum Teil nach Russland und auch nach Kasachstan. Dieser Prozess wird mindestens zwei bis drei Wochen dauern. Danach muss die IAEA überprüfen, dass der Iran tatsächlich diese Schritte vollzogen hat. Erst dann werden die Erleichterungen bei den Sanktionen ausgelöst. Nach meiner Einschätzung könnte das gegen Ende Januar oder im Februar geschehen.

Ali Vaez - International Crisis Group
Iran-Experte Ali VaezBild: International Crisis Group

Für viele überraschend hat der Iran aber am 10. Oktober und am 21. November Raketen getestet - und damit Resolutionen des UN-Sicherheitsrates verletzt. Könnte das neue Sanktionen des Sicherheitsrates zur Folge haben oder den Prozess der Aufhebung der bestehenden Sanktionen verzögern?

Die iranischen Raketentests verletzen die Sicherheitsrats-Resolution 1929 aus dem Jahr 2010. Die verbietet dem Iran den Test von Kurz- und Mittelstreckenraketen. Diese Resolution ist noch in Kraft. Sie wird von der Resolution 2231 ersetzt werden - an dem Tag, an dem die Atomvereinbarung umgesetzt wird, also wenn der Iran seinen Teil der Abmachung erfüllt hat. Die Resolution 2231 enthält keine bindende Verpflichtung für den Iran, auf Raketentests zu verzichten. Sie fordert den Iran lediglich auf, keine Raketen zu testen, die nukleare Sprengköpfe tragen könnten. Die Resolution ist mehrdeutig formuliert und gibt beiden Seiten Spielraum.

Mit den Raketentests liefert der Iran Hardlinern in Washington und andernorts Munition, um den Deal zu unterhöhlen. Vermutlich rechnet Teheran nicht damit, dass der Westen den Iran für diese Tests einen hohen Preis bezahlen lässt. Der Westen ist ja sehr interessiert daran, dass der Iran sein Atomprogramm abbaut. Die wichtigste Zielgruppe für diese Tests waren die Menschen im Iran. Sie sollten sehen, dass der Iran nicht aus einer Position der Schwäche heraus Kompromisse eingegangen ist und die Nationale Sicherheit des Landes nicht gefährdet wurde. Und: Der Iran wollte auch ein Signal an regionale Rivalen senden, dass der Kompromiss mit dem Westen nicht bedeutet, dass er in wichtigen strategischen Fragen der Region übergangen werden kann.

Nachdem diese Tests also die Aufhebung der Sanktionen wahrscheinlich nicht verzögern werden: Welche Auswirkungen wird das Ende der Sanktionen auf den Iran vermutlich haben?

Der Iran ist das am stärksten unter Sanktionen stehende Land der Welt. Jetzt wird das Atomabkommen den Iran in das am strengsten überwachte Land der Welt verwandeln. Im Gegenzug wird die Welt die Sanktionen zurück fahren. Davon wird der Iran massiv profitieren. Der Internationale Währungsfonds rechnet damit, dass die Wirtschaftsleistung des Irans im kommenden Jahr zwischen sechs und sieben Prozent steigen wird - nach null Prozent in diesem Jahr. Im Iran glauben viele, das Ende der Sanktionen werde ein Wirtschaftswunder auslösen. Ich halte das für übertrieben. Es gibt viele strukturelle Probleme in der iranischen Wirtschaft, die den Effekt der Sanktionsaufhebung dämpfen werden. Am Ende des Tages wird der Iran wirtschaftlich von diesem Abkommen profitieren. Und der Westen hat ein Interesse daran. Denn sonst hätte der Iran keinen Anreiz, seinen Teil des Abkommens zu erfüllen.

Aber: Das Abwerfen der Sanktionsketten hat auch eine zerstörerische Seite für den Iran. Die wirtschaftliche Öffnung weckt Ängste, sie könne auch zu einer politischen Liberalisierung führen. Das aber würde den Einfluss vieler machtvoller Akteure im Iran schwächen. Außerdem gibt es viele Einzelinteressen an den Sanktionen. Starke Akteure wie etwa die Revolutionären Garden befürchten, die wirtschaftliche Öffnung könne zu ihren Lasten gehen. Mindestens wollen sie sicher stellen, dass sie zu den Gewinnern bei der wirtschaftlichen Öffnung gehören. Das wird zu harten politischen Kämpfen im Land führen. Deshalb ist meine Vorhersage: Wirtschaftlich wird es dem Iran erst einmal ein wenig schlechter gehen, bevor es wieder besser wird. Das liegt auch an dem niedrigen Ölpreis. Und da steht für Iran viel auf dem Spiel.

Ende Februar wird ja nicht nur das Parlament neu gewählt, sondern auch der sogenannte Expertenrat, bestehend aus 86 Theologen. Welche Rolle spielt er bei der Gestaltung der Zukunft des Landes?

Der Expertenrat hat die Aufgabe, den Obersten Führer auszuwählen. Nun ist Ayatollah Chamenei schon 76 Jahre alt. Und die Amtszeit des Expertenrates beträgt acht Jahre. Deshalb kann es sehr gut sein, dass der neue Expertenrat den Nachfolger des Obersten Führers wählen wird. Da der Oberste Führer im politischen System des Iran eine überragende Bedeutung hat, ist die kommende Wahl des Expertenrates vielleicht eine der wichtigsten in der Geschichte der Islamischen Republik.

Aber auch die Parlamentswahlen sind wichtig. Sie bereiten die Bühne für die Präsidentenwahl 2017. Wenn Rohani und seine Verbündeten die Oberhand behalten, sind sie in einer sehr viel besseren Position, um andere Machtzentren herauszufordern und ihre Agenda voranzubringen. Sollte das Gegenteil eintreten, wäre Rohani bis zum Ende seiner Amtszeit eine "lahme Ente" und vielleicht würde er dann auch die Präsidentenwahl verlieren.

Ali Vaez ist Iran-Analyst der International Crisis Group. Er hat die Studie Iran After the Nuclear Dealverfasst.

Das Gespräch führte Matthias von Hein.