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Vampire und Südseezauber

Dorothee Ott26. Januar 2003

Ein Melancholiker des Stummfilms: Eine Ausstellung im Berliner Filmmuseum erinnert an das Werk des Regisseurs Friedrich Wilhelm Murnau. Seine Filme berühren bis heute durch ihre eindringliche Bildsprache.

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F.W.Murnau, Visionär und Revolutionär des KinosBild: Filmmuseum Berlin

Langsam gleitet der Schatten einer Hand über das unschuldig weiße Nachthemd der jungen Frau. Die Augen weit aufgerissen, sitzt sie, gelähmt vor Angst und auch vor Faszination, auf ihrem Bett. Plötzlich krampfen sich die krallenartigen Finger zusammen, genau über dem Herzen des Opfers, als wollten sie noch den letzten Tropfen Blut aus dem zarten Frauenkörper herausquetschen.

Dies ist nur eine der zahlreichen suggestiven Szenen aus Friedrich Wilhelm Murnaus "Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens" (Deutschland 1921/22). Ein Stummfilm, der seitdem das Genre des Vampirfilms prägt und bis heute Generationen von Regisseuren beeinflusst. Die berühmte Szene wird bei der Ausstellung in einer Endlosschleife auf einen großen Monitor projiziert, zudem kann man kann sogar im Drehbuch Murnaus Regieanweisung nachlesen: ! Hand – Herz ! – so lakonisch wie nachdrücklich.

Suggestive Bildsprache

Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen die wohl bedeutendsten fünf Filme des Regisseurs. Dabei legen die Ausstellungsmacher besonderen Wert auf das große Format, denn nur auf der Leinwand kommen Murnaus bis ins kleinste Detail ausgeleuchtete Bilder richtig zur Geltung. Man sieht Ausschnitte aus den drei großen deutschen Filmproduktionen: "Nosferatu", "Faust" und "Der letzte Mann". Auch Murnaus dreimal oscar-prämierter Film "Sunrise", den er in Hollywood drehte und sein letzter Film "Tabu" verdeutlichen die visuelle Kraft seiner Filmsprache und die dichte, intensive Erzählweise. Um die "Guckkästen" herum sieht man Fotos von den Dreharbeiten, Modelle des Filmsets, auch eigene Fotografien des Regisseurs und bisher unveröffentlichtes Material aus Murnaus Nachlass, das den Privatmann hinter dem Regisseur sichtbar macht.

Auch die technischen Neuerungen der 1920er Jahre werden in der Ausstellung lebendig: In einer Vitrine findet man die Stachow-Kamera, die der Kameramann Karl Freund sich wie eine Art "steady cam" in "Der letzte Mann" vor die Brust schnallte. So entstanden mit dieser "entfesselten Kamera" zum ersten Mal in der Geschichte des Films leichte und schwerelose Bilder – die in der heutigen Filmsprache längst Standard sind. "Murnaus Bildsprache ist außerordentlich vielschichtig", betont Hans Helmut Prinzler, der Leiter des Filmmuseums, "er nahm auch Motive aus der Malerei auf, zitierte in 'Nosferatu' Gemälde von Caspar David Friedrich und von Paul Gaugin in 'Tabu'."

Von Deutschland nach Hollywood

Die Berlinale (6. bis 16. Februar) widmet dem "romantischen Preußen" F.W. Murnau eine Retrospektive. Gezeigt werden zwölf der erhaltenen Filme in restaurierten Kopien. Am 8. Februar wird die restaurierte Fassung von Murnaus "Der letzte Mann" an der Volksbühne gezeigt, sogar mit der rekonstruierten Originalmusik. "Dieser Blick in die Vergangenheit ist wichtig für die Berlinale", betont Hans Helmut Prinzler und ist stolz, eine solch umfangreiche Ausstellung zu Murnau präsentieren zu können, "zumal Murnau ein Regisseur internationalen Ranges ist."

So habe der Bielefelder, der 1926 nach Hollywood ging, den europäischen Filmstil nach Amerika mitgenommen. "Dort hat er bei den Filmschaffenden die Neugier auf Europa geweckt, die damals, so Prinzler, "vielleicht noch mehr vorhanden war als in der heutigen Filmstadt Hollywood". Der "German Genius", wie man ihn in Kalifornien nannte, war jedoch in Hollywood nicht glücklich und flüchtete sich auf die Südseeinsel Tahiti, wo er seinen letzten großen Film "Tabu" drehte - ein Film ganz nach seinen eigenen Vorstellungen und ohne Hollywood-Konventionen. 1931 starb der Regisseur nur 42jährig bei einem Autounfall.

Bilder wecken Sehnsucht

Dreharbeiten zu Tabu um 1930 Friedrich Wilhelm Murnau Filmmuseum Berlin
Dreharbeiten im Paradies. Murnau inszeniert "Tabu" auf TahitiBild: Filmmuseum Berlin

Kurz vor dem Verlassen der Ausstellung kann man noch die Originalkostüme des Liebespaares Reri und Matahi bewundern: einfache Baströckchen, an denen man noch ein wenig Südseesand vermuten mag. Murnaus letzter Film "Tabu" ist vielleicht auch sein persönlichster Film, eine schöne und traurige Liebesgeschichte, die besonders den Melancholiker herausstreicht. Denn den Liebenden ist in "Tabu" kein Glück vergönnt. So nimmt man, selbst ein wenig melancholisch geworden, nicht nur viele wiederentdeckte und eindringliche Filmbilder mit, sondern auch einen Hauch von Murnaus Sehnsucht nach dem Paradies.