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Maduro macht mobil

Jan D. Walter25. August 2015

Venezuelas Präsident hat 1500 Soldaten an die Grenze zu Kolumbien entsandt. Um den Schmuggel mit subventionierten Gütern zu unterbinden, sagt die Regierung. Doch es könnten ganz andere Gründe dahinter stecken.

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Grenze zwischen Venezuela und Kolumbien geschlossen (Foto: Picture-alliance /dpa/S. Mendoza)
Bild: picture-alliance/dpa/S. Mendoza

Für José Colina ist der Fall klar: "Das venezolanische Regime provoziert einen Konflikt mit Kolumbien, um einen Grund zu haben, die Parlamentswahlen im Dezember abzusagen." Nachdem drei Nationalgardisten im Kampf gegen Schmuggler angeschossen wurden, hatte Präsident Nicolás Maduro 1500 Soldaten in den Bundesstaat Táchira entsandt und für 60 Tage den Ausnahmezustand über die Region verhängt.

Seit geraumer Zeit werden hoch subventionierte Waren von Venezuela ins Nachbarland Kolumbien geschmuggelt. Allen voran Benzin: Der Liter kostet in Venezuela nach offiziellem Wechselkurs zwischen ein und zwei Eurocent, in Kolumbien kostet er das 60-Fache. Die Nationalgarde soll den Schmuggel laut Regierungsangaben unterbinden. Doch Exillant Colina bezweifelt diese Version: "Hohe venezolanische Offiziere sind selbst tief verstrickt in Schmuggel und Drogenschmuggel." Die Aktion sei eindeutig im Kontext der Parlamentswahlen im Dezember zu sehen.

Aufstieg der Offiziere

José Colina ist Vorsitzender der venezolanischen Oppositionspartei VEPPEX mit Sitz in Florida. Das Kürzel steht für "Politisch verfolgte Venezolaner im Exil": Colina war Leutnant der venezolanischen Armee und wird in seiner Heimat wegen Terrorismusverdachts gesucht, weil er der Clique von Militärs angehört haben soll, die 2002 versuchte, den damaligen Präsidenten Hugo Chávez zu stürzen. Colina weist die Vorwürfe weit von sich. Es sei nicht einmal ein Putsch gewesen, sondern der Versuch, ein Machtvakuum zu füllen, betont er im Gespräch mit der DW.

Colina hat also allen Grund, gegen Chávez' Nachfolger Maduro und dessen chavistische Gefolgschaft zu wettern. Er stand - so könnte man sagen - auf der falschen Seite des venezolanischen Militärs, zumindest nicht auf der Seite, die von der 16 Jahre währenden Regierung der Kommunistischen Einheitspartei Venezuelas PSUV profitierte.

Venezolanische Provinz Tachira (Foto: Getty Images /AFP/ E. Abramovich)
Der Schmuggel mit subventionierten Lebensmitteln und Benzin aus Venezuela blüht an der Grenze zu Kolumbien.Bild: Getty Images/AFP/E. Abramovich

Auch Hugo Chávez und Parlamentschef Diosdado Cabello stammen aus dem Militär. Sie hatten bereits 1992 mit ihrer eigenen Offiziersclique erfolglos geputscht. Als Chávez 1998 zum Präsidenten gewählt wurde, stiegen seine Verbündeten bis in die obersten Ränge des Militärs auf. Inzwischen besetzen viele von ihnen auch politische Ämter und Managerposten in Staatsunternehmen. Verteidigungsminister Vladimir Padrino López ist General der Armee, Wirtschaftsminister Rodolfo Clemente Marco Torres ist Brigadegeneral, der ehemalige Luftwaffenchef Generalmajor Giuseppe Yoffreda ist Transportminister und seit Mitte 2015 Präsident der staatlichen Außenhandelsgesellschaft Corpovex.

Stärkste politische Kraft: das Militär

Militärmanöver in Venezuela Verteidigungsminister Vladimir Padrino Lopez (Foto: Getty Images /AFP/J. Barreto)
Militär in der Regierung: General Vladimir Padrino Lopez ist VerteidigungsministerBild: Getty Images/AFP/J.Barreto

Inzwischen, sagen politische Analysten, ist das Militär wohl die stärkste politische Kraft in Venezuela. Die Anhängerschaft der Regierung ist auf den harten Kern des Chavismus zusammengeschmolzen: Seit fast einem Jahr würde nur noch ein Viertel der Venezolaner für Maduro stimmen.

Hauptgrund dafür ist die anhaltende Versorgungskrise. Inzwischen mangelt es laut Medienberichten praktisch im ganzen Land an Grundnahrungsmitteln und Medikamenten. Die müssen wegen der nahezu brachliegenden Wirtschaft weitgehend importiert werden. Zuständig für das lukrative Geschäft ist zum Beispiel die Corpovex von Generalmajor Yoffreda: Importeure von wichtigen Mangelgütern wie Lebensmitteln und Medikamenten profitieren maßgeblich von subventionierten Devisen.

Dringend überfällige Reformen, sagt Reggie Thompson vom texanischen Think-Tank Stratfor, scheitern deshalb auch am Widerstand ranghoher Offiziere: "Sie verteidigen ihre Pfründe. Viele von ihnen stehen im Verdacht, am Schmuggel von Lebensmitteln, Benzin und sogar Drogen beteiligt zu sein." Eine funktionierende Wirtschaft oder auch nur eine Freigabe der subventionierten Preise würden solche Geldquellen schnell versiegen lassen.

Keine demokratischen Wahlen in Sicht

Falls die Vorwürfe gegen Militärs und Politiker stimmen, läge der Schluss nahe, dass die 1500 Soldaten an der Grenze zu Kolumbien wohl tatsächlich Schmuggler - nämlich konkurrierender Banden - ausschalten sollen.

Ein Ablenkungsmanöver, um die Wahlen im Dezember abzusagen, sieht Strafor-Analyst Thompson darin jedenfalls nicht: "Ausnahmezustand oder Kriegsrecht ist nicht der Weg, um ein Land langfristig zu regieren. Die Regierung ist an Stabilisierung interessiert, um weitere soziale Unruhen zu vermeiden." Schon im Frühjahr 2014 hatte es bei wochenlangen Protesten in der Hauptstadt Caracas 43 Tote gegeben.

Venezuela Maria Corina Machado Isabel Pereira (Foto: Picture-alliance /dpa/M. Gutierrez)
Die Oppositionsführerin Corina Machado wurde nicht zur Parlamentswahl im Dezember zugelassen.Bild: picture-alliance/dpa/M. Gutierrez

Die Regierung könnte jedoch auf andere Weise versuchen, die Wahlen zu ihren Gunsten zu nutzen. In den vergangenen Wochen hat der Venezolanische Nationalrat bereits die Kandidaturen mehrerer hoffnungsreicher Oppositionskandidaten abgelehnt, andere wurden aus zweifelhaften Gründen auf Jahre für politische Ämter gesperrt. Auch eine Neuordnung der Wahlkreise könnte die Sitzverteilung im Parlament zugunsten der Regierung beeinflussen.

Ob das der immer breiteren Opposition nicht Grund genug wäre, wieder auf die Straße zu gehen? Exilpolitiker José Colina hofft das nicht: "Wenn die Regierung die Wahlen abhält, wird es massiven Betrug geben. Und dann kann ich nur hoffen, dass das venezolanische Volk seine Recht auf der Straße erkämpft." Der politische Wille der Generation, die in 16 Jahren PSUV-Herrschaft herangewachsen ist, hofft Colina, sei stark genug, um dem gescheiterten Modell der Bolivarischen Revolution ein Ende zu setzen.