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Verdächtige Beschuldigung

Rainer Sollich30. Oktober 2002

Die Niederlassungen von drei deutschen politischen Stiftungen in der Türkei klagen über Schikanen: Es gab Hausdurchsuchungen, zudem stehen Spionage-Vorwürfe im Raum. Rainer Sollich analysiert.

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Politische Stiftungen: "In der Welt und für die Welt"Bild: KAS

Dass die politischen Stiftungen aus Deutschland - gemeinst sind hier die Konrad-Adenauer-Stiftung, die Friedrich-Ebert-Stiftung sowie die Heinrich-Böll-Stiftung - in der Türkei in das Visier der staatlicher Fahnder gekommen sind, ist kein Zufall. Es gibt bis tief in das Militär und den türkischen Staatsapparat hinein entsprechend interessierte Kreise - allen voran Nationalisten, die eine weitere Annäherung Ankaras an die EU sabotieren wollen. Einer der wichtigsten Initiatoren der Durchsuchungen ist der türkische Universitäts-Historiker Necip Hablemitoglu. Er hat ein Buch veröffentlicht mit dem Titel: "Deutsche Stiftungen und das Bergama-Dossier".

Absurde Vorwürfe

Die wichtigsten Thesen des Buches lauten: Die deutschen Stiftungen in der Türkei und auch das Goethe-Institut seien Spionagezentren des deutschen Geheimdienstes. Und, noch abstruser: Deutschland wolle die Goldförderung in der Türkei verhindern, weil es selbst ein wichtiger Goldhändler sei und zusätzliche Konkurrenz auf dem Weltmarkt befürchte. Deshalb, so Hablemitoglu, hätten die deutschen Stiftungen sogar heimlich Aufstände türkischer Bauern gegen eine angeblich umweltgefährdende Goldmine in Nähe der Kleinstadt Bergama organisiert.

Demokratie-Falle

Die Behauptungen erscheinen so absurd, dass man sie kaum ernst nehmen kann - ebenso wie die angeblich von den Stiftungen unterhaltenen "unerwünschten Kontakte" zu Oppositionellen. Die Türkei ist nach eigenem Verständnis immerhin ein demokratischer Rechtsstaat - da kann es keine Kontaktverbote geben. Trotzdem haben die türkischen Behörden schon vor einiger Zeit sogenannte "Vor Untersuchungen" aufgenommen.

Ein skandalöser, ja lächerlicher Vorgang. Denn sie schikanieren damit nicht nur die Arbeit von Institutionen, die gegenüber der deutschen Öffentlichkeit immer wieder für Verständnis für die Probleme der Türkei in Sachen Demokratisierung und Europäisierung geworben haben. Die türkische Justiz riskiert damit auch eine ernstzunehmende Belastung der deutsch-türkischen Beziehungen - und dies, ohne öffentlich konkrete Beweise oder Hinweise für ihre Anschuldigungen vorzulegen.Trotzdem wäre Deutschland gut beraten, die Affäre nicht allzu hoch zu hängen.

Ruhe bewahren!

Die Stiftungen werden vor allem in einem innenpolitischen Richtungskampf der Türkei instrumentalisiert, der sich angesichts der derzeitigen Regierungskrise in Zukunft noch verschärfen dürfte: Es geht um die weitere Annäherung an Europa. Und darüber müssen die Türken selbst entscheiden, möglicherweise schon bei Neuwahlen am 3. November. Deshalb ist es für Deutschland sinnvoller, in der Stiftungs-Affäre auf diplomatischem Weg Druck auszuüben.

Man kann die ganze Sache schließlich auch positiv sehen: Die deutschen Stiftungen werden von den Gegnern eines türkischen EU-Beitritts nämlich nur deshalb an den öffentlichen Pranger gestellt, weil sie in der Tat gute Arbeit geleistet haben - gerade was das Werben für europäische Standards und Werte betrifft. In der Türkei haben sie deshalb viele Gegner. Aber durchaus auch Freunde.