1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Verdienen deutsche Arbeitnehmer zu wenig?

Sabine Kinkartz26. November 2012

Das dürfte manchen überraschen: In einigen Ländern der Eurozone verdienen Arbeitnehmer zu viel, und in Deutschland viel zu wenig. Das sei ein Grund für Europas Misere, meinen Forscher der Hans-Böckler-Stiftung.

https://p.dw.com/p/16q2A
Ein Mann nimmt Euro-Geldscheine aus einer Geldbörse (Foto: dpa)
Volle Geldbörse Griff in den GeldbeutelBild: picture-alliance/dpa

Wer in der Europäischen Union möglichst viel verdienen will, der sollte in Belgien, Schweden, Dänemark, Frankreich oder Luxemburg arbeiten. Dort wird in der Industrie, vor allem aber auch im Dienstleistungssektor weitaus mehr bezahlt als in Deutschland. Hierzulande belaufen sich die Arbeitskosten, die sich aus dem Bruttolohn und den Lohnnebenkosten, also den Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung, sowie Weihnachts- und Urlaubsgeld zusammensetzen, auf durchschnittlich 30,10 Euro pro Arbeitsstunde.

In Belgien sind es 39,30 Euro, die skandinavischen Länder folgen knapp dahinter. Deutschland landet auf einer Rangliste der 27 EU-Länder auf Platz sieben. Gemessen an der Produktivität müssten die deutschen Löhne aber rund 16 Prozent höher liegen, sagt Gustav Horn, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.

Abwerten geht nicht

Seine Argumentation: Innerhalb der Währungsunion kann kein Land auf- oder abwerten. Dort, so erklärt Horn, müssten sich die Länder an andere Regeln halten, um das gesamtwirtschaftliche Gefüge stabil zu halten. Eine dieser Regeln ist für den Ökonomen die Balance zwischen den Lohnstückkosten und der Produktivität.

Seit Beginn der EU-Währungsunion seien die Arbeitskosten und damit auch die Lohnstückkosten in Deutschland im Verhältnis zur Produktivitätsentwicklung zu gering gestiegen. Das habe nicht nur die Binnennachfrage gelähmt und den sozialen Sicherungssystemen geschadet. Deutschland habe so auch ein gewaltiges Plus in der Leistungsbilanz aufgebaut - was sich auch im Minus der Leistungsbilanz seiner Handelspartner widerspiegelt.

Auch Lohnzurückhaltung schadet

"Die Währungsunion", so Horn, "ist eigentlich eine Vereinbarung der Mitgliedsstaaten darüber, ein gemeinsames Inflationsziel zu verfolgen. Im Euroraum sind das etwa zwei Prozent Preissteigerung. Das hat natürlich auch Einfluss auf den Spielraum, der für Lohnsteigerungen zur Verfügung steht."

Um maximal zwei Prozent hätten die Löhne seit Beginn der Währungsunion also durchschnittlich steigen dürfen. In den Krisenländern war es teilweise deutlich mehr, Deutschland durchbrach die Schranke mit der allgemeinen Lohnzurückhaltung hingegen nach unten. Mit fatalen Folgen für die allgemeine Wettbewerbsfähigkeit, so Horn. Die habe in den Krisenländern deutlich nachgelassen, während Deutschland in der Gemeinschaft zu stark geworden sei.

Keine Durchhaltestrategie

"Was sich auf den ersten Blick sehr positiv anhört", so Horn, "ist auf Dauer aber keine Durchhaltestrategie. Das Ergebnis basiert auf Pump, nämlich auf den Schulden der anderen Länder. Das geht eine ganze Weile gut, aber nicht auf ewig, wie wir in den letzten Jahren erfahren mussten."

Gut wäre, so Horn, wenn sich die Euro-Mitgliedsländer auf einen Stabilitätspfad auch bei der Inflation einigen könnten. Ein Denkansatz, dem allerdings weder die Bundesregierung noch die deutschen Unternehmen bislang viel abgewinnen können. Bislang gelte die Maxime, dass je niedriger die Kosten sind, umso mehr Produkte angeboten werden können und umso mehr der Absatz und damit auch die Beschäftigung steigt.

Zwei Seiten einer Medallie

Für IMK-Direktor Gustav Horn ist das aber nur eine Seite der Medaille. "Niedrige Löhne heißt niedrige Einkommen, heißt niedrige Nachfrage, heißt niedrige Beschäftigung. Wir haben also gegenläufige Effekte, und da muss man einen optimalen Pfad finden. Der lautet bei den gegebenen Bedingungen, bei dem gegebenen Inflationsziel, dass die Löhne in Deutschland im Durchschnitt der Jahre nominal zwischen drei und dreieinhalb Prozent steigen sollten."

Das war 2011 erstmals seit Langem wieder der Fall. Für das laufende Jahr und auch für 2013 rechnet das IMK hingegen mit Lohnsteigerungen in Höhe von maximal 2,5 bis 2,6 Prozent. Auf diese Weise ist nach Ansicht des gewerkschaftsnahen Instituts die Schere in der Leistungsbilanz der Euro-Länder nicht zu schließen. Gustav Horn bringt es auf eine provokante Formel: Aktuell müssten die Löhne in der deutschen Privatwirtschaft um 16 Prozent höher liegen, um die Wettbewerbskrise im Euroraum in den Griff zu bekommen.