Verena und Linda - zwei ungleiche Siegerinnen
30. Juli 2010Es sprudelte nur so aus Verena Sailer heraus, nachdem sie am Donnerstag (29.07.2010) in 11,10 Sekunden Europameisterin über 100 m geworden war. Die Freude übermannte die schlanke Blondine dermaßen, dass sie zu keinem vollständigen Satz mehr in der Lage war. Ganz anders wenig später Linda Stahl nach ihrem Erfolg im Speerwerfen mit 66,81 m. Sie strahlte zwar und freute sich sichtlich, analysierte aber auch sofort ganz nüchtern und sachlich, dass nur einer ihrer Würfe wirklich gut gewesen sei.
Verena Sailer – die weiße Sprinthoffnung
In einer Disziplin, in der die deutschen Leichtathleten lange Jahre nur ein Statistendasein fristeten, stand die gebürtige Allgäuerin Verena Sailer als früh erkanntes Talent schnell im Rampenlicht. Die Karriere der schlanken 24-Jährigen – 57 Kilogramm bei einer Köropergröße von 1,66 m – verlief ziemlich schnörkellos. Angefangen mit dem Jugendmeistertitel 2003 lief sie sich über Bronze bei den U-23-Europameiserschaften 2005 zu ihrem ersten Titel als Deutsche Meisterin 2006. Mit dem U-23-Europameistertitel 2007 war sie dann endgültig bei der internationalen Elite angekommen.
Zielstrebigkeit und Siegeswille kennzeichnen die heute in Mannheim lebende und trainierende Sprinterin. Ihren Kampfgeist bewies sie nicht zuletzt bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2009 in Berlin, als sie sich ins Ziel stürzte und dem deutschen 4x100-m-Quartett damit die Bronzemedaille rettete – Schürfwunden und Prellungen waren die Folge, wurden von ihr aber locker weggesteckt. Typisch ihr anschließender Kommentar: "Für eine Medaille lege ich mich schon mal gerne auf die Schnauze."
Mit dem Gold von Barcelona gibt sich Verena Sailer längst noch nicht zufrieden. Sie glaubt nicht, dass sie schon das Maximale aus sich herausgeholt hat und ärgert sich maßlos, wenn man ihr als weißer Athletin gegenüber den schwarzen Läuferinnen kaum Chancen einräumt. Sie glaubt nicht, dass sie weniger Talent hat, weil sie weiß ist – und sie will es beweisen.
Linda Stahl – immer im Schatten
Wenn man vor der Leichathletik-EM Menschen in Deutschland nach Linda Stahl gefragt hätte, wäre wohl selbst von vielen Fans der Szene nicht die richtige Antwort gekommen. Dabei ist die 24-Jährige schon lange erfolgreich. Doch sie hatte das Pech, in einer Zeit im Speerwerfen aktiv zu sein, in der es immer noch erfolgreichere Athletinnen gab. So stand sie in den letzten Jahren immer im Schatten – entweder von Steffi Nerius oder von Christina Obergföll.
Dabei kann sich die Erfolgsliste der dunkelhaarigen Schwerathletin der neuen Generation – 72 Kilogramm bei 1,74 m Körpergröße – absolut sehen lassen. 2007 war sie U-23-Europameisterin, im selben Jahr belegte sie bei den Weltmeisterschaften den 8. Rang, in Berlin wurde sie 2009 dann WM-Sechste. Einen Rückschlag musste sie ausgerechnet im Olympiajahr 2008 verkraften. Bandscheibenprobleme behinderten sie und als sie dann endlich die Olympianorm schaffte und sogar bis auf Platz drei in der Welt kam, war es zu spät – Peking fand ohne sie statt.
Dass sie immer im Schatten stand, hat Linda Stahl zumindest als Person nie wirklich gestört. Die eher zurückhaltende gebürtige Lipperländerin drängte von sich aus nie in die Öffentlichkeit. Ruhig und sachlich treibt sie ihre Karriere in Leverkusen voran und schafft es dabei auch noch, nebenbei ein Medizinstudium in Köln zu absolvieren.
Autor: Wolfgang van Kann (mit sid,dpa)
Redaktion: Joscha Weber